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Roger Waters (live in Mannheim 2018) © Rudi Brand

In der ausverkauften SAP Arena in Mannheim konfrontiert Roger Waters das Publikum mit den Übeln der Welt, wie er sie sieht, und sorgt damit für ein imposantes, aber auch zwiespältiges musikalisches und inhaltliches Erlebnis.

Es ist gut, dass Roger Waters keine Scheu vor Kontroversen hat, denn seine aktuelle "Us+Them"-Tour muss sich einiger Kritik erwehren.

Nicht nur Begeisterung

Das betrifft nicht nur diejenigen, die sich (aus welchem Grund auch immer) an Waters' politischer Einstellung stören, sondern auch jahrzehntelange und häufig sehr anspruchsvolle Fans, die an der Tour musikalisch so gut wie alles zu kritisieren haben.

Die Band sei falsch zusammengestellt, die Backgroundsängerinnen ein Graus, die Arrangements unpassend, die Gilmour-Gesangs-Parts schlecht umgesetzt und insgesamt treffe die Show nicht den Ton der Musik von Pink Floyd. 

Verlorene Schönheit

Insbesondere das erste Set macht klar, dass diese Kritik nicht völlig von der Hand zu weisen ist. Eine zentrale Rolle im Rahmen der "Us+Them"-Tour spielt das weltberühmte Pink Floyd-Album "Dark Side Of The Moon", das aber durch die sehr rockigen Arrangements viel von seiner zeitlosen Eleganz verliert. 

Der hämmernde, aggressive Sound schadet Klassikern wie "Breathe" und "Time", während bei "The Great Gig In The Sky" Jess Wolfe and Holly Laessig von der Band Lucius beweisen, dass sie möglicherweise gute Sängerinnen sind, aber die gänzlich falsche Wahl für diese Musik.

Dazu kommt, dass Jonathan Wilson als Sänger und "resident Hippie", wie Roger Waters ihn vorstellt, mit seinem glatten, allzu perfekten Gesang die für die Musik so wichtigen gesanglichen Brüche nicht wirklich gut transportieren kann. 

Leicht neben der Spur

Das alles soll nicht bedeuten, dass Roger Waters die Pink Floyd-Songs genauso hätte arrangieren sollen, wie sie im Original vor vierzig Jahren und mehr veröffentlicht wurden. Allerdings wird deutlich, wie viel dieses Material von seinem Reiz verliert, wenn man sich auch nur leicht im Ton vergreift.

Das zeigt sich deutlich bei "Wish You Were Here" vom gleichnamigen Album. Im Original drückt das Lied Bedauern, Isolation und Trauer aus, aber Waters bellt die Verse fast ins Mikrofon, so dass man ihm nicht abnimmt, was er singt. 

Nach diesem Tiefpunkt steigert sich das Konzert aber langsam. Die drei neuen Songs von Waters' gutem aktuellem Studioalbum "Is This The Life We Really Want?" überzeugen ebenso wie "Another Brick in The Wall", bei dem Kinder des Jugendhauses Herzogenried ihren großen Auftritt haben.

Steigerung nach der Pause

Nach der Pause wird das Konzert deutlich besser und damit wiederholt sich ein Phänomen, das die Zuschauer auch bei der "The Wall"-Tour vor einem halben Jahrzehnt erlebten. Schon der Auftakt mit "Dogs" ist imposant, noch eindrucksvoller gerät allerdings die aggressive Verhöhnung von Donald Trump mit "Pigs (Three Different Ones)". Wenn Waters an diesem Abend den richtigen Ton trifft, dann hier.

Aus welchen Gründen auch immer funktionieren jetzt auch die Lieder von "Dark Side" besser, ohne dass die Bedenken hinsichtlich der Arrangements völlig ausgeräumt wären. Die quer durch die Halle aufgespannten Videoleinwände, das durch die Arena fliegende Schwein, die Bilderflut von Krieg, Flüchtlingen, Politikern – das alles sorgt für mitreißende Momente. Am Ende erlauben "Brain Damage->Eclipse" ein Verschnaufen in der Bilderflut und setzen damit einen schönen Kontrapunkt.

Wir müssen über BDS reden

Die Pause vor der Zugabe benutzt Roger Waters, um über ein ihm sehr wichtiges Thema zu sprechen, nämlich die BDS-Bewegung, die für "Boycott, Divestment and Sanctions" steht. Die Ziele dieser Bewegung und ihre Problematik hier zu erörtern, würde diesen Rahmen sprengen. 

Allerdings sei so viel gesagt: Die BDS-Bewegung ruft nicht nur zum Boykott Israels auf, sondern fordert diesen auch in teilweise sehr aggressiver Weise von Künstlern ein, die Konzerte in Israel planen. In das Ziel der Gleichberechtigung der arabischen Bürger Israels und der Palästinenser allgemein mischen sich dezidiert anti-semitische Töne.

Roger Waters weist diese Vorwürfe zurück mit dem Argument, da er dieser Organisation seit nunmehr 10 Jahren angehöre, könne sie nicht antisemitisch sein. Das ist allerdings kein gutes Argument, mehr noch: damit wird er seinem eigenen Anspruch, der im Konzert breiten Raum einnimmt, nicht ansatzweise gerecht.

Zudem sollte er bedenken, dass er als Aushängeschild dieser Organisation fungiert und damit vermutlich kaum mitbekommt, was in den Niederungen der BDS-Bewegung alles passiert.

Und dann auch noch Heidelberg

Wie auch immer man zu BDS steht, es drängt sich der Eindruck auf, dass Roger Waters viel zu tief in diesem Thema steckt, als es gesund für ihn wäre. Er vermag sogar eine Abstimmung im StudierendenRat der Universität Heidelberg zu zitieren, die denkbar knapp BDS als "anti-semitische" und "anti-aufklärerische" Organisation bezeichnet und ihr die Unterstützung durch Räume oder Finanzmittel verweigert hat.

Waters nimmt den knappen Ausgang der Abstimmung als Ermutigung, es im nächsten Jahr erneut zu versuchen. Für die Besonderheiten der deutschen Geschichte im Umgang mit dem jüdischen Staat hat er offensichtlich keinen Blick, aber als Engländer trägt er auch nicht das Gewicht sechs Millionen ermordeter Juden.

Weniger wäre mehr gewesen

Es ist ein Verdienst von Roger Waters, dass er nach wie vor streitbar und engagiert ist und sein Publikum im Positiven wie im Negativen fordert. Sein Konzept ist aber nicht durchweg erfolgreich, im Gegenteil, es befremdet und verstört in Teilen.

Sowohl in Hinblick auf die musikalischen Arrangements wie auf die politischen Aussagen wäre weniger tatsächlich mehr gewesen – aber dafür standen Pink Floyd und insbesondere Roger Waters nie. 

Setlist

Set 1: Speak to Me / Breathe / One of These Days / Time / Breathe (Reprise) / The Great Gig in the Sky / Welcome to the Machine / Déjà Vu / The Last Refugee / Picture That / Wish You Were Here / The Happiest Days of Our Lives / Another Brick in the Wall Part 2 / Another Brick in the Wall Part 3

Set 2: Dogs / Pigs (Three Different Ones) / Money / Us and Them / Smell the Roses / Brain Damage / Eclipse // Comfortably Numb

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