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Nina Hagen (live in Mannheim 2017) © Rudi Brand

Unter dem Titel "Nina Hagen meets BB. Ein Lieder-Abend zur Klampfe" konnte man sich vieles vorstellen. Was Nina Hagen dem Publikum in der ausverkauften Alten Feuerwache in Mannheim bietet, übertrifft alle Erwartungen - auch dank einer jahrzehntelangen Verbundenheit mit Bertolt Brecht.

Nina Hagen betritt unter tosendem Applaus die Bühne der ausverkauften Alten Feuerwache in Mannheim. Sie sieht aus wie immer. Die Haare unter einem bunten Federkrönchen und einer großen Minnie Mouse-Schleife zusammengebunden. Ein weich fließender Poncho über kurzem Petticoat und einer Strumpfhose in den Farben des lange nicht mehr gesehenen Störbilds. Nina Hagen ist sie selbst. Sie verstellt sich nicht. Nicht mal für diesen Abend. Nicht einmal für Brecht.

Mit kratziger, fast angeschlagener Stimme beginnt sie gemeinsam mit ihrer Band um Fred Sauer (Piano und Keyboard), Warner Poland (Gitarre) und Michael Ryan (Bass) den Abend rund um biografische und werkbezogene Geschichten zu Brecht, eigenen Erfahrungen, politischen sowie religiösen Weltansichten und Popkultur. Ein Abend, dem auf den ersten Anschein vielleicht der berühmte rote Faden fehlt, der aber gänzlich durchdrungen ist von der literarischen Vision des großen Berthold – der Vision vom Epischen Theater. 

Jahrzehntelange Verbundenheit

Nina Hagen hat diese Philosophie verinnerlicht. Kein Wunder. 1955 in Berlin geboren, pilgerte sie schon im Alter von elf regelmäßig mit ihrer besten Freundin zum Berliner "Angsambel" und sog die Vorstellungen, die sie dort zu sehen bekam förmlich in sich auf.

Für 55 Pfennige, so betont die Godmother of Punk, saß sie regelmäßig oben auf dem zweiten Rang, auf älter geschminkt, damit nicht auffalle, dass sie noch so jung war. Stets hatte sie ein Auge auch auf die Plätze im Parkett, wo sie nach Möglichkeit nach der Pause Platz nahm, um den wunderbaren Geschichten des Geschichtslehrers Brecht noch näher zu sein.

Damals so aktuell wie heute

"Während das neuzeitliche Drama das bürgerliche Individuum durch 'Furcht und Mitleid' moralisch verbessern will, geht es Brecht um eine Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse in marxistischen Sinne; der Zuschauer soll im Bühnengeschehen nicht ein unabänderliches Fatum sehen, dessen Wirkung ihn allenfalls persönlich erschüttern kann, vielmehr soll er mit einer veränderbaren Welt konfrontiert werden und daraus Konsequenzen für die eigene politische Entscheidung ziehen. Das Drama wird damit ein Vehikel sozialer und politischer Revolution und ist entschieden politisch (marxistisches) Weltanschauungstheater.“ So heißt es im Eintrag über das Epische Theater in Metzlers Literaturlexikon.

Nina Hagen nutzt den Abend in der Alten Feuerwache, um auf die Parallelen zwischen der politischen Situation zu Zeiten Brechts und der heutigen Zeit hinzuweisen. Nicht ohne Ernst, aber immer mit dem nötigen Augenzwinkern, um die Inszenierung um ihre Person aufrecht zu erhalten und nicht in die aristotelischen Theaterprinzipien des Mitleids zurück zu fallen. "Was habe ich in der Zeitung gelesen? Jetzt sach doch mal... ach ja‚ Caroline Beil bekommt ein Kind, weil Russland Krieg übt."

Mit den Waffen einer Frau

Sie predigt Frieden und Lieben, belegt dies mit Gospeln der Rock’n’Roll-Erfinderin Rosetta Tharpe und "UFO" von Larry Norman, aber eben auch mit den kriegskritischen Liedern von Bertolt Brecht, wie beispielsweise dem "Kanonensong", den sie der Verteidigungsministerin widmet und abschließend kommentiert: "Die erste Strophe hab ich verkackt. Mit mir ist auch kein Krieg zu gewinnen."

Dabei bleibt sie bei den Interpretationen der Songs immer nah bei sich. Blues, Rock’n’Roll und Americana-Klänge dominieren den Abend. Neben den Klassikern von Brecht, singt die Hagen auch "Blowing in the Wind" und "Riders on the Storm". Dabei bedenkt sie klug auch immer beim musikalischen Gestus der Zeit Brechts zu bleiben und so kommt Meckie Messer aus der Dreigroschenoper beinahe konservativ jazzig herüber. Musikalisch passt der Abend somit wunderbar zum Bild einer großen Frau, die für die Kunst lebt.

Programm mit Leidenschaft

Überraschen kann die Hagen jedoch auch und so entwickelt sich aus der lupenreinen Rezitation des Goetheschen "Großer Brahma, Herr der Mächte!" eine gospelartige, musikalische Predigt. Insgesamt ist es unglaublich, was für ein Feuerwerk an rhetorischen Finessen im Popkulturjargon Frau Hagen an diesem Abend auf die Bühne bringt. Dass es sich um ein Programm und nicht um reine Improvisation und Leidenschaft handelt, wird erst deutlich, als der Teleprompter, gut versteckt hinter der Monitorbox, einmal nicht mit dem Tempo der Diva mitkommt.

Die rhetorisch-musikalische Beweisführung über die Aktualität des Brecht’schen Oeuvres, die Nina Hagen an diesem Abend mit ihrer Band niederlegt, ist amüsant, persönlich und logisch zugleich. Ein unfassbar gelungener Abend, mit einer inspirierenden und faszinierenden Frau des Epischen Theaters.

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