Kraftwerk (Pressebild 2015)

Kraftwerk (Pressebild 2015) © Boettcher

In der ausverkauften Jahrhunderthalle in Frankfurt gehen Kraftwerk ganz in ihrer Musik auf und bieten dadurch ein Konzerterlebnis, das in der populären Musik nur wenig Vergleichbares bietet.

Vielleicht waren Kraftwerk selbst überrascht, wie groß die Nachfrage nach Karten für ihre erste Deutschlandtour seit unvordenklichen Zeiten war. Anders als ihre Auftritte in Museen und vergleichbaren Institutionen locken die Konzerte ein altersmäßig gemischtes Konzertpublikum an – darunter auch viele, die Kraftwerk noch nie live erlebt haben.

Da viele nicht wissen, was sie erwartet, dominiert nicht stoische Bewunderung. Stattdessen ist durchaus Bewegung im Publikum, nicht nur durch Tanzen oder Wippen, sondern weil im Verlauf des Konzerts immer wieder Besucher im unbestuhlten Innenraum der Frankfurter Jahrhunderthalle den Bereich vor der Bühne verlassen. Die Gründe sind unklar.

Altbekanntes und Neuigkeiten

Im Vergleich zu ihrem Auftritt vor einem Jahr im ZKM Karlsruhe haben Kraftwerk einiges verändert. "Die Roboter" steht nicht mehr am Anfang des Sets, stattdessen eröffnen sie mit "Nummern". Der folgende Teil von "Computerwelt" bis "Radioaktivität" unterscheidet sich kaum vom Programm aus Karlsruhe, allerdings wirkt der Sound wärmer und nicht mehr ganz so knallig.

Ob das den unterschiedlichen Räumlichkeiten geschuldet ist, ist schwer zu sagen, jedenfalls erklingen ihre besten und bekanntesten Songs wieder näher am Original. Im Anschluss folgt ein stark verlängertes "Tour de France", das die bis dahin dominierenden Songstrukturen aufbricht und aufgrund seiner Länge und durch das Wiederaufgreifen musikalischer Motive fast eine Art elektronischer Sinfonie darstellt.

Zunehmende Beats

Neu sind darüber hinaus "La Forme" und "Planet der Versionen", während Trans Europa Express, und das lange abschließende "Boing Boom Tschak / Techno Pop / Musique Non Stop" feste Bestandteile der Konzerte sind. Der Sound wird im Verlauf des Abends zunehmend "technoider", die Beats härter, der Gesang verliert an Bedeutung.

In Hinblick auf die Dramaturgie des Abends ist das durchaus passend, da der dadurch entstehende Sog das Publikum fasziniert und teilweise großen Jubel in der ausverkauften Jahrhunderthalle hervorruft.

Warum vier Männer?

Woher die Musik stammt und wie sie erzeugt wird, bleibt ein Geheimnis dieser an Geheimnissen so reichen Band. Das Konzerterlebnis unterscheidet sich vollkommen von anderen Shows, wo die Musiker auf der Bühne in der Regel klar definierte Rollen übernehmen. Selbst bei rein elektronischen Acts wie den Pet Shop Boys existiert eine klare Rollenverteilung: Neil Tennant singt, Chris Lowe steht stoisch hinter seinen Keyboards.

Bei Kraftwerk singt zwar Ralf Hütter, aber seine Stimme ist häufig so sehr verfremdet, dass sie auch eingespielt sein könnte. Was die vier Männer hinter ihren Pulten machen, bleibt ein Mysterium. Warum sind es überhaupt vier? Es könnten genauso gut vierzig oder zwei sein. Oder gar niemand!

Bruch mit allen Konventionen

Dadurch brechen Kraftwerk mit der jedermann vertrauten Konzertkonvention, die es dem Zuschauer (jedenfalls scheinbar) ermöglicht, die Aktivitäten der Musiker nachzuvollziehen. Kraftwerk machen alles und nichts, sie stehen auf der Bühne, könnten aber auch woanders stehen oder zu Hause auf dem Sofa sitzen. Ihre Inszenierung ist die perfekte Distanzierung von allen Posen der populären Musik.

Das wissen sie selbst und so lassen sie sich bei der ersten Zugabe "Die Roboter" von roboterähnlichen Gestalten auf der Bühne vertreten. Die Individualität, so stilprägend für die populäre Musik, ist vollkommen aufgelöst, Kraftwerk sind ganz in ihrer Musik aufgegangen.

Setlist

Nummern / Computerwelt / It's More Fun to Compute / Heimcomputer / Computerliebe / The Man-Machine / Spacelab / Das Modell / Neonlicht / Autobahn / Ätherwellen / Sendepause / Nachrichten / Geigerzähler / Radioaktivität / La Forme / Electric Café / Tour de France 1983 / Tour de France Étape 2 / Tour de France 2003 / Trans Europa Express / Metall auf Metall / Abzug // Die Roboter // Aéro Dynamik / Planet der Visionen / Boing Boom Tschak / Techno Pop / Musique Non Stop

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