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© Johannes Rehorst

"I will haunt you in your sleep..." – diese eindringlich gesungene Zeile aus Matt Elliotts "Also Ran" wird manchen Konzertbesucher im Heidelberger Karlstorbahnhof die Nacht über wohl tatsächlich noch verfolgt haben.

Ein Glück, dass es in Strömen regnet. Graue Wolken und nasskaltes Schmuddelwetter passen besser zur Musik des Sänger/Songwriters aus Bristol als witterungsbedingte Frühlingsgefühle.

Dezentes blaues und rotes Licht, ein Stuhl auf der Bühne und rund 50 für das Publikum davor – das Setting im Karlstorbahnhof wird dem Anlass gerecht. Man nimmt Platz und ist gespannt auf das, was da kommen mag.  

Tongewordene Depression

"Meister des Schwermuts", "sympathischer Misanthrop", "Düstermann". Die Phrasen, mit denen Elliott oft beschrieben wird, kommen manchmal etwas platt daher, ein Fünkchen Wahrheit bergen sie dennoch.

Das neue Album mit dem großartigen Titel "Only Myocardial Infarction Can Break Your Heart" soll angeblick im Gegensatz zur tongeworden Depression des Vorgängers "The Broken Man" "fast optimistisch" klingen. Das ist Ansichtssache. 

Totenstille im Publikum

Klar ist, der Wahlpariser wird auch mit seinem aktuellen Album keinen Preis für gute Laune gewinnen, und seine Konzerte sind vor allem eines: Intensiv. Von dem Moment an, in dem der Künstler  die Bühne betritt und Platz nimmt, herrscht Totenstille im Karlstorbahnhof.

Zwischen den Songs hätte man die sprichwörtliche Stecknadel fallen hören können und die schwarzen Löcher, die sich den Abend über musikalisch auftun, sind so groß, dass dem, der sich darin verliert, sämtliches Zeitgefühl abhandenkommt.

Bescheiden und still

Authentisch, ohne Pathos, nur mit  filigran-virtuosem klassischem Gitarrenspiel irgendwo zwischen Flamenco, Folk und dem kraftvollen, unter die Haut gehenden Bariton, spielt sich Elliott die Seele aus dem Leib.

Er leidet dabei nicht, große Gesten sind auch nicht seins, wirkt ganz in sich gekehrt, die Kommunikation mit dem Publikum beschränkt sich auf bescheidenen Dank für den Applaus und zwei kurze Ansagen, eine davon eine Widmung an den gestern verstorbenen Paco de Lucía.

Erstaunlich ist bei allen Songs die Präsenz: Schließt man die Augen, meint man, da stünde nicht ein Mann sondern eine komplette Band auf der Bühne. Elliott interagiert quasi mit sich selbst, die Stimme wird zum Instrument, wird geloopt, gesampelt und verfremdet, beschleunigt, verlangsamt und macht im Zusammenspiel mit der Gitarre jeden Song zu einem Unikat.

Ein Lied über den Untergang

Höhepunkt des Konzertes ist "The Kursk". Schicht für Schicht legt Elliott dabei Gitarrenspur über Gitarrenspur, loopt gespenstisches Pfeifen und Gesangsspuren, so dass am Ende die Geister der russischen U-Boot-Matrosen, denen das Lied gewidmet ist, im Raum präsent zu sein scheinen.

Ein Gefühl, das beklemmender nicht sein könnte, ebenso endgültig wie erhaben in seiner Traurigkeit. "This is how it feels to be alone" singt Elliott in "Dust, Flesh and Bones": Im Karlstorbahnhof fühlt das Publikum das ebenfalls. Screamin‘ Jay Hawkins‘ "I Put a Spell on You" und Sonny Bonos "Bang Bang, My Baby Shot Me Down" verleiht Elliott in seinen Interpretationen eine zusätzliche Nuance an Düsternis, ohne die Songs dabei übermäßig zu verfremden.

Ein positiver Abschluss

Das türkisch-griechische Misirlou, dem Quentin Tarantino in Pulp Fiction in der Surf-Version von Dick Dale ein Denkmal gesetzt hat, holt das Publikum dann zurück aus den Sphären, in den man die letzten anderthalb Stunden verbracht hat. Ein ebenso schöner wie tatsächlich positiv gestimmter Ausklang eines emotionalen Abends.

Denn, das ist das ebenso Schöne wie paradoxe an Elliott und seiner Musik: In all der Depression, Misanthropie und  Dunkelheit scheint die Tür noch nicht ganz zu zu sein und durch den Spalt fällt ab und an immer noch ein Fünkchen Licht. Idealismus? Irgendwie schon. Aber was wäre die Welt schon ohne?