Martin Kohlstedt (live beim Heimspiel Knyphausen, 2023)

Martin Kohlstedt (live beim Heimspiel Knyphausen, 2023) © Denis Schinner

Stilistisch vielseitiger denn je präsentiert sich das Heimspiel Knyphausen 2023. So gibt es Marching Band-Techno, Neoklassik, Indie/Punk-Rock, Americana, Electroclash und vieles mehr. Und auch das Wetter wagt (fast) nicht, den gewohnten Genussfaktor des Festivals zu stören.

Dunkle Wolken ziehen über den malerischen Draiser Hof in Eltville. Nein, das ist keine Symbolik – statt Hochsommer und mediterranem Flair gibt es sehr mitteleuropäisches Sommerwetter mit Schauern und Gewittern.

Glücklicherweise ziehen die Regenwolken meistens am Heimspiel Knyphausen vorbei, was sicherlich bei Bands, Organisatoren und Besuchern gleichermaßen für Erleichterung sorgt. Die wie immer zahlreich vertretenen Kinder nutzen natürlich die Gelegenheit, in Pfützen zu hüpfen, was auf isländisch Hopp í polla heißt. 

Beide Seiten des Atlantiks

Nicht nur das Wetter, auch das musikalische Programm hat jede Menge Abwechslung zu bieten. US-Sänger und Songwriter Willy Mason eröffnet das Programm am Freitag mit erdigem Americana, wobei seine ausdrucksstarke Stimme besonders hervorsticht.

Dry Cleaning bieten im Anschluss mal gesungene, mal gesprochene lyrische Texte mit knackigem UK-Indie-Rock bzw. Post Punk. Musikalisch ragt Gitarrist Tom Dowse heraus, der mit seinem wilden Spiel einige Akzente zu setzen vermag.

Mit Tanz in die Nacht

Danach wird es tanzbar: Die elfköpfige Hamburger Band Meute sorgt mit ihren Blasmusik-Interpretationen von Techno und House-Tracks für jede Menge Feierstimmung im Publikum.

Die Musik ist größtenteils instrumental – und sollte es eigentlich immer sein – denn wenn die Band mal einen Song mit Vocals spielt, sind die eher zum Vergessen.

Das ändert aber nichts daran, dass die Zuschauer die Einladung zum Abgehen voll annehmen. Mit einer echten Rampensau auf der Bühne wäre vielleicht sogar mehr Eskalation drin gewesen.

Nix für Kinder

Der Samstag ist musikalisch nicht weniger vielfältig. The toten Crackhuren im Kofferraum sind so gar nicht familienfreundlich, aber die Band ist auch nicht die peinliche Selbstparodie, die man zu Beginn ihres Auftritts befürchten muss.

Ihr Electroclash klingt sehr nach Musik aus den 2000ern, aber die Band punktet mit poppigen Melodien und dem Willen, den Act einfach durchzuziehen.

Das Publikum findet aber erstaunlich großen Gefallen an den Provo-Punks, so dass man später am Tag Besucher mit "I love crackhuren"-Shirts auf dem Gelände trifft.

Die ernsthafte Seite

Muff Potter haben auch Wurzeln im Punk, sind aber gleichzeitig viel zu ernsthaft und nachdenklich, um Spaß-Punk zu machen. Ihre Musik ist im Verlauf der Zeit poppiger geworden und erinnert an Acts wie Kettcar und Tomte, aber live beweisen sie, dass sie noch jede Menge Feuer besitzen.

Im Anschluss spielt Neoklassik-Komponist Michael Kohlstedt eines seiner inzwischen berühmten vollständig improvisierten Sets. Mit zahlreichen Keyboards und Loops erzeugt er dichte, vollständig einnehmende impressionistische Klangwelten, welche die Zuschauer in ihren Bann schlagen.

Dass Kohlstedt dabei auch einmal einen Irrweg einschlägt, abwinkt oder die Hände frustriert in die Luft wirft, macht dabei auch einen Teil der Faszination aus. Im Vergleich zum Beginn seiner Karriere, als er kaum mit dem Publikum interagierte, ist das definitiv ein Fortschritt.

Abschluss mit einer Hoffnung

Die finale Band des Samstags spielte vor vielen Jahren als "Heimspiel Hoffnung" auf ebendiesem Festival. Inzwischen sind Ätna voll etabliert im Musikbusiness und kehren als Headliner zurück.

Mitgebracht hat das Duo eine exaltierte Bühnenshow, die ihrem elektronischen Art-Pop eine zusätzliche Dimension verleiht. Schade ist nur, dass ihr Auftritt von aufziehendem Regen beeinträchtigt wird. 

Solche kleinen Beeinträchtigungen muss man als Festival-Besucher und Festival-Macher in Kauf nehmen. Das Heimspiel Knyphausen weiß, damit umzugehen. Wie jedes Jahr schafft es eine kleine musikalische Oase im Rheingau – und alle wissen, was sie daran haben.