Mitch Ryder (Live 2007)

Mitch Ryder (Live 2007) © Buschfunk

Das Rhythm & Blues-Urgestein aus Detroit tourt wie jedes Jahr mit seiner deutschen Begleitband Engerling durch die hiesigen Liveclubs und zelebriert den Gegenentwurf zu Joe Cockers Karriereweg: Musik als Überlebensmittel.

{image}Mit seiner Band The Detroit Wheels hatte er Mitte der 60er Jahre Top Ten-Hits in seiner Heimat, die ihm im Rahmen von Oldie-Package-Touren in den Staaten das Auskommen sichern. Einmal im Jahr leistet er sich dann den Luxus nach Deutschland zu fliegen, um mit seiner langjährigen Begleitband Engerling erst den Probenraum und dann die Bühnen der Liveclubs im Lande zu stürmen und dort dann nicht die alten Hits, sondern die Songs, die ihm viel bedeuten, beherzt aufzuführen. So war am vergangenen Donnerstag das Lorscher Rex die 22. Station seiner insgesamt 25 Termine umfassenden Tour.

Erschöpft sei er, gibt er zu. Man sieht es ihm an. Wenn er nicht singt tritt er zurück, ergreift den Schellenkranz und begleitet, in sich selbst versunken, den Rhythmus. In diesen Momenten sieht er alt und schwach aus. Die Verdauung mache ihm heute auch zu schaffen, merkt er an – man möchte lieber nicht nachfragen. Später wird er erzählen, dass er zwei Wochen zuvor kurz vor dem Gig in Berlin die Nachricht erhalten habe, dass seine geliebte Schwester just gestorben sei, was die Tour für ihn sehr schwierig mache. Man ist befangen und möchte sein Beileid aussprechen. Bei der Ansage zu True Love gesteht er gar, dass er diesen Song zu einem Zeitpunkt schrieb, als er vorhatte sein Leben zu beenden. Nur kam ihm dann dieser Song dazwischen – man weiß gar nicht mehr, ob man den Mann jetzt bedauern oder ihm gratulieren soll, mit der Musik immer wieder sein Leben retten zu können. Aber darum geht es bei Mitch Ryder: Musik als Überlebensmittel. Er dankt seinem Publikum dafür, dass es kommt und ihm zuhört, wie er mit seiner Band über zweieinhalb Stunden alles gibt was er noch hat. Und das ist eine beachtliche Menge.

{image}Ryder ist flankiert von zwei Gitarristen, die sich über mangelnde Gelegenheiten zu Solo-Spots wahrlich nicht beklagen können (der durchschnittliche Mitch Ryder-live-Song bietet jedem der Gitarristen mindestens ein Solo, gern auch mehr!) und einem Keyboarder, der an seinem Digitalpiano leider nur die Sounds, die am meisten nach Digitalpiano klingen, auswählt und damit dem Bandsound wenig Gutes tut. Die Rhythmusgruppe agiert druckvoll und Mitchs Stimme hat bei den lauteren Songs ihre Schwierigkeiten sich gegen die Band durchzusetzen. Seine intensivsten Momente erzeugt er, wenn die Musik ruhig wird – wie etwa bei dem schönen, nur von zwei akustischen Gitarren begleiteten, Heaven takes you back oder dem soulig bluesigen All the fools it sees, beide von dem neuen Album You deserve my art.

Seit seinem legendären Rockpalast-Auftritt 1979 ist Deutschland für ihn das Land, das ihm die treueste Fanbase beschert. Während Joe Cocker, der in den 70ern einen ähnlich turbulenten Karriereverlauf wie Mitch Ryder hatte, in den 80ern jedoch den Sprung zum Wetten-Dass-Act mit Bierwerbungshit und glatt gebügelten Produktionen machte, blieb Mitch Ryder auf der kompromisslosen Schiene mit seinem erdigen Bluesrock ohne Weichspülersound, aber als Konsequenz auch auf eher kleineren Livebühnen und fernab der Charts. Interessanterweise finden beide Acts heute primär auf dem deutschen Musikmarkt statt. Während Ryder in den vergangenen Jahren immer noch betonte, dass er Deutschland auch deswegen liebe, weil das Land ihm das Rauchen nicht verbiete, musste er jetzt zwischendurch zum Rauchen die Bühne verlassen. Als Rauch-Pausenmusik boten der Keyboarder und einer der Gitarristen musikalische Variationen des alten Conny Francis-Schlagers Die Liebe ist ein seltsames Spiel – der absolute musikalische Tiefpunkt des ansonsten recht geschmackssicheren Abends.

{image}Sicher, man mag darüber streiten, ob der Stones-Klassiker Gimme Shelter wirklich davon profitiert, wenn man ihn derart zerrockt. Jim Morrision hätte jedoch bestimmt seine Freude an dieser Soul Kitchen-Version gehabt, die den Abend würdig beendete. Auch Chuck Berry (You never can tell), Al Green (Take me to the river) und The Velvet Underground (Rock’n’Roll) erfuhren an diesem Abend ihre Würdigung durch Ryder. Aber auch seine eigenen Klassiker wie Red scar eyes, War oder Ain’t nobody white wussten zu überzeugen.

Insgesamt ein gelungener Abend mit einem Mitch Ryder, dem man wünscht, dass die Musik ihn noch so lange es geht am Leben halten möge. Auch wenn Engerling für die Art von Show, die er seit Jahren mit ihnen praktiziert, sicherlich eine gute Wahl als Begleitband sind, würde ich mir wünschen ihn noch mal mit einer ruhigeren Begleitung, die seiner Stimme mehr Raum lässt, zu sehen. Er könnte sich da bei Tom Waits mal Inspiration holen, wie so etwas klingen könnte – eine reizvolle Vorstellung!

Setliste: Moondog House – When you were mine – 21st century – Thrill of it all – Yeah you right – Ain’t nobody white – All the fools it sees – Long hard road – Rock’n’Roll – Jenny take a ride – Red scar eyes – Heaven takes you back – True love – Take me to the river
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War – Testament – You never can tell – Gimme shelter
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Soul kitchen

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