Jona Steinbach

Jona Steinbach © Jona Steinbach

Nach einer längeren Pause hat der deutsche Musiker und eine Zeit lang nur unter seinem Vornamen in Erscheinung tretende Jona Steinbach sein neues Album "Alles Negieren" veröffentlicht. Das war Grund genug für unseren Redakteur Daniel Voigt, sich mit ihm in Berlin zu treffen und ausführlich über sein neues Werk zu sprechen. Außerdem erzählte Jona, was er von Träumen, Sehnsüchten, der deutschen Musikszene und Künstlerförderung hält.

{image}regioactive.de: Dein neues Album heißt Alles negieren. Warum hast du diesen Titel gewählt und was bedeutet er?
Jona Steinbach: Ich habe diesen Titel vor allem als Ansage und Slogan gewählt, nachdem ich jetzt 5 oder 6 Jahre nichts mehr veröffentlicht habe. Ich wollte diese Tatsache ignorieren und mit einer neuen Platte einfach nochmal etwas herausbringen. Und zum anderen geht die Platte sehr viel um Verdrängung, Zerrissenheit und Reflexion.
In diesen Begriffen steckt für mich etwas von Zweifel. Auch für dich?
Jona: Puh, das ist eine schwierige Frage. Aber es stimmt, dass ich schon jemand bin, der wahnsinnig viel über alles nachdenkt und der sich manchmal dazu anhalten muss, Dinge einfach zu machen anstatt darüber zu grübeln und zu reflektieren. Darum geht es auch auf der Platte. Ums Zweifeln, um Gedanken und dem totalen Ablehnen und Ausleben davon. Das zieht sich fast durch das gesamte Album.

Ein Song heißt Es Wird Böse Enden. Das klingt sehr negativ.

Jona: Das wird zwar immer so ausgelegt, aber ich empfinde das eigentlich gar nicht so. Gerade in diesem Stück geht es ja darum, dass man im Begriff ist, einen Riesenfehler zu begehen und die ganze Welt das einem auch deutlich machen will, so dass man die Fehler eigentlich sehen und von diesen wissen muss, aber man  trotzdem weiter auf diesen Fehler zurennt. Das ist auch der Grund, warum ich den Titel als nicht unbedingt negativ behaftet, sondern eher als eine Warnung ansehe. Es heißt ja auch Es Wird Böse Enden und nicht "Es Wird Böse Sein". Nur wenn man immer mit den gleichen Fehlern weiter machen würde, würde es böse enden.

{image}Deine Musik klingt verträumt, nachdenklich und ein wenig desillusionierend. Wie würdest du deine Musik in eigenen Worten beschreiben?

Jona: Mit dem Begriff der Desillusionierung kann ich ehrlich gesagt nicht viel anfangen. Diese Ich-Schlage-Dir-Auf-Die-Schulter-Und-Es-Wird-Sowieso-Alles-Gut-Attitüde mag ich sowieso überhaupt nicht. Auch nicht bei vielen deutschen Bands, die immer daran appellieren, dass am Ende eh alles gut werden wird. Ich finde, meine Musik ist da sehr konsequent. Es gibt nicht viel zu relativieren. Entweder werden die Sachen ausgelebt, wie in Ein Tanz oder Seite, wo es nur ums Verliebtsein geht. Oder es geht darum, die Augen davor zu verschließen, was man sehr geliebt hat. Dass etwas, das man sehr geliebt hat, kaputtgegangen ist. Davon handelt zum Beispiel der Song Alles Negieren.

Inwieweit sind Träume und Gedanken für dich wichtig? Ein Song heißt ja In Den Gedanken.

Jona: In dem Song geht es ganz speziell darum, dass man einem Gedanken oder einer Idee verfallen ist. Ich finde das wahnsinnig wichtig, denn für mich sind die schönsten Momente im Leben, wenn man mit sich alleine ist und irgendetwas erlebt hat. Sei es nun, wenn dein Fußballverein ein wichtiges Spiel gewonnen hat, man jemand ganz Besonderen getroffen hat oder wenn man einen besonders tollen Abend hatte. Ich meine damit die Zeit danach, wenn man langsam alles begreift, was man vorher eigentlich Aufregendes erlebt hat.

Was gibt den Ausschlag, dass du deine jeweiligen Gedanken aufs Papier bringst?

Jona: Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass alles, was ich aufschreibe, mit mir zu tun hat. Vieles denke ich mir auch einfach nur aus. Ich kann meine Gedanken nicht eins zu eins auf die Songs und Texte übertragen und bin auch davon überzeugt, dass man nicht versuchen sollte, in seinen Liedern sein Leben abzubilden. Das fände ich tierisch langweilig, weil ich glaube, dass ich so ein spannendes Leben auch nicht habe, als dass ich die Welt damit penetrieren müsste. Aber wenn ich irgendetwas erlebt habe oder irgendein Gefühl habe, dann versuche ich etwas aufzuschreiben. Das heißt allerdings nicht, dass das dann gleich direkt etwas mit meinem Erlebten oder meinen Gefühlen zu tun haben muss.

Und wie verläuft es beim Aufnahmeprozess der Songs? Experimentierst du viel oder hast du immer einen klaren roten Faden und weißt genau, wie die einzelnen Songs klingen sollen?

Jona: Bei manchen Sachen weiß ich es direkt, wie ich es haben will: Aber bei dieser Platte habe ich zum Beispiel viel mit Benedikt Fillebök zusammengearbeitet, der bei Wolke Klavier spielt und der ein fantastischer Musiker ist. Dadurch haben die Songs Eigenschaften bekommen, die ich ihnen wahrscheinlich nicht alleine hätte geben können. Das war zum Beispiel bei Seite oder Alles Negieren so. Oder auch bei Ein Tanz, wo ein Beatles-Horn-Solo am Ende zu hören ist. Diesen Bläsersatz hatte ich vorher zwar schon geschrieben, aber wenn solche Dinge dann gespielt werden, klingen sie wieder ganz anders.

{image}Du könntest mit deiner Musik und einer Gitarre ja auch eigentlich alleine auf der Bühne stehen und ohne die elektronischen Zusätze agieren. Was findest du so wichtig daran, dass auch elektronische Elemente und Streicher in deiner Musik zu hören sind?

Jona: Erst einmal ist es eine Herausforderung, ein schönes Album zu machen, was mehr Facetten bietet, als wenn man nur singen und Gitarre spielen würde. Und dann denke ich, dass ich zwar schon ein gutes Selbstvertrauen habe und weiß, dass ich manche Sachen kann, aber mir ebenso bewusst ist, dass ich nicht der tollste Sänger der Welt bin. Ich muss mit anderen Sachen arbeiten, um die Musik interessant zu machen. Das gilt vor allem für Live-Auftritte. Denn ich bin meistens selbst total gelangweilt, wenn Leute auf der Bühne nur singen und Gitarre spielen. Deswegen versuche ich durch verschiedene Elemente noch ein bisschen Mehrwert in die Musik reinzubringen.

Welche Musiker und Bands haben dich beeinflusst?

Jona: Mich haben Bands aus ganz verschiedenen Richtungen beeinflusst. Ganz wichtig für die neue Platte war sicherlich Sparklehorse, die dazu auch meine absolute Lieblingsband ist. Dann ist Udo Lindenberg auch sehr wichtig gewesen, da er einfach toll mit der Sprache spielen und experimentieren kann. Und dann spielten auch noch LoFi-Sachen und englische Bands wie New Order eine Rolle.

Ein weiterer Song von dir heißt Ein Tanz. Tanzt du selbst gerne?

Jona: Früher habe ich überhaupt nicht gern getanzt, aber durch die Partys, die ich jetzt veranstalte und wo ich ja auch öfters mal auflege, tanze ich jetzt schon gerne.

Ist das Leben ein Tanz?

Jona: Nein, das glaube ich nicht. Der größte Teil des Lebens läuft eher so ab, dass man irgendwo auf einer Bank sitzt und darauf wartet, zum Tanz aufgefordert zu werden.

Wie du schon gesagt hast, bist du ja auch DJ. Welche Bands oder Musik legst du am liebsten auf?

Jona: Ich mag Sachen, wo man die Arme in die Luft reißt. Aber ich mag auch moderne Sachen wie Lykke Li. Das ist unglaublich tolle und sexy Musik, aber ich finde es eben auch klasse, irgendwo mit drei Jungs zu stehen und zu The Smiths die Arme in die Luft zu reißen.

Ein weiteres Thema auf dem Album ist die Sehnsucht.

Jona: Ja, denn Sehnsucht ist wahnsinnig wichtig für mich. Da kann ich nur etwas ähnliches sagen, was ich auch schon zu In Den Gedanken erzählt habe. Den Moment zu fassen, in der man mit irgendeiner Dringlichkeit alleine ist. Diese Dringlichkeit zu spüren, jemanden unbedingt noch einmal sehen zu müssen oder irgendetwas zu machen. Diese Dringlichkeit in allem, diese Ungeduld und dass man sich so verrückt macht, indem man sich fragt, ob jetzt etwas von dem anderen kommt oder nicht. Das ist eigentlich das Schönste im Leben. Sehnsucht ist immer ein Warten auf etwas. Man weiß nicht, ob man es bekommen kann.

{image}Ein Song heißt Du sagst immer nur, dass du mich liebst, wenn du betrunken am Boden neben Kajtek liegst. Wie kamst du auf diesen Titel? Haben da eigene Erfahrungen eine Rolle gespielt?

Jona: Da haben natürlich eigene Erfahrungen eine Rolle gespielt. Es ist eher ein Lied für Jungs. Es gibt ja das Lied You Only Tell Me You Love Me When You’re Drunk von den Pet Shop Boys und ich habe das hier auf meinen kleinen Mikrokosmos übertragen. Kajtek ist eine polnische Wodka-Bar in Köln, die nach einem Hund namens Kajtek benannt ist, der uralt ist. Und ich habe das tatsächlich schon ein paar Mal erlebt, dass nach dem zehnten Wodka gestandene Männer auf dem Boden knieten und mit dem kleinen Hund über ihre tiefsten, innersten Gefühle redeten. Ich finde, das Lied ist ein Mahnmal über den Alkoholismus. Denn gerade unter Jungs ist das mit Gefühlen ja immer so eine Sache. Aber wenn man dann schließlich etwas getrunken hat, dann lassen manche Menschen einen überhaupt nicht mehr los und man klemmt die ganze Zeit nur in Achselhöhlen fest. Warum das bei Jungs so ist, weiß ich auch nicht. Aber es ist ja auch beim Fußball so. Wenn jemand ein Tor schießt, dann liegen sich die Spieler in den Armen. Keiner weiß, warum das so ist.

Es gibt ja den Spruch, dass Männer niemals schwach sein dürfen. Was hältst du davon?

Jona: Ich finde den völligen Unsinn. Aber der Spruch gilt zum Glück ja nicht mehr für uns. Zwar glaube ich, dass er in den achtziger Jahren auch noch galt, aber ich bin eher geprägt von der späten Neunziger-Jahre-Kultur. Dort wusste man, dass man einerseits Assi und Fußball-Hooligan sein kann, andererseits aber trotzdem auch zu Live Forever von Oasis auf der Tanzfläche weinen kann. Das gab es meiner Meinung nach vorher noch nicht. Den Glauben, dass man einerseits ein richtiger Kerl, aber trotzdem gleichzeitig auch sensibel sein kann.

Dann kommen wir jetzt noch kurz zu der deutschen Musikszene. Was hältst du von ihr?

Jona: Sie ist ein Riesenhaufen Scheiße! Nein, das ist natürlich nicht so. Wir haben zum Beispiel mit ganz tollen Leuten einen Studiokomplex in Köln. Da kommt zwar natürlich auch sehr viel Schrott zusammen, aber das gibt es ja in allen Genres, in allen Ländern, genauso wie es aber auch Schrottfilme und Schrottserien gibt. Es gibt aber natürlich auch ganz viel tolles Zeug zu entdecken. Ich teile mir meinen Studioraum zum Beispiel mit der Band Von Spar und was die machen ist fantastisch. Und Timid Tiger sind bei uns auch im Studio. Ich mag zwar deren Musik nicht wirklich, aber der Sänger hat auch ein Soloprojekt namens John Goldtrain und das ist grandios. Dieser junge Mann kann großartige Lieder schreiben. Deshalb gibt es eben schon so Sachen, die wunderbar sind. Aber das, was man so kennt, klingt für mich eher grausam. Dazu denke ich, dass gerade auch der Style eine immer wichtigere Rolle bei den Bands einnimmt. Gerade, wenn man als Zielgruppe 21 oder 22 Jahre alte Mädchen hat. Das finde ich etwas bedenklich. Wenn das so weitergeht, dauert es noch fünf Jahre, bis es genauso viele Männer wie Frauen mit Essstörungen gibt. Wenn man zum Beispiel Modemagazine aufschlägt, dann weiß man heute teilweise überhaupt nicht mehr, ob das jetzt ein Junge oder ein Mädchen ist. Wenn das nun wirklich ein Bestandteil von dem wird, wie man sich als Band darstellen muss, dann finde ich das wirklich ätzend.

{image}Wegen der Finanzkrise fällt es vielen Bands immer schwerer, sich nur mit der Musik finanziell über Wasser zu halten. Was hast du hier für Erfahrungen gemacht?

Jona: Die Situation ist ganz schwierig. Es gibt viele Bands, die auf der Straße stehen und keinen Plattenvertrag mehr kriegen. Ich hatte davor ja auch eine Platte gemacht, die größer als diese angelegt war, von einer Band eingespielt wurde und ein neuer Pop-Entwurf werden sollte, aber das hat überhaupt nicht funktioniert. So wollten wir ein tolles Label dafür finden, mussten es aber aufgeben, weil es einfach nicht funktioniert hat. Denn für eine Platte ein richtiges Label zu finden, ist unglaublich schwierig geworden. Es gibt entweder Minilabels oder aber Majors. Mit Cobretti Records bin ich jetzt aber froh, eine kleine Plattenfirma gefunden zu haben, die nur Sachen macht, die sie selbst auch gerne mögen und lieben. Man darf heute überhaupt keine Erwartungen mehr haben. Ich habe fast drei Jahre lang ein Label gesucht und jetzt, wo ich eigentlich aufhören wollte, dann war auf einmal die Platte und wenig später das Label da. Ich habe mich dabei diesmal nicht irgendwo vorgestellt, sondern Marcel von Cobretti Rercords meinte, dass wir das jetzt einfach machen und dann haben wir es auch gemacht. Alles, was gerade passiert, sehe ich eher als Zugabe, weil ich eigentlich gar nichts mehr machen wollte. Ich empfinde das als etwas Schönes, was ich für das Leben mitnehmen kann. 

Und wie könnte man junge Künstler deiner Meinung nach besser unterstützen?

Jona: Es gibt in Skandinavien dafür ja ein gutes Modell. Denn dort gibt es dafür eine richtige staatliche Förderung. Zwar gibt es so etwas Ähnliches mit der "Initiative Musik" auch in Deutschland, aber ich weiß nicht, ob das gut funktioniert. Es gibt hier damit nicht so viele Erfahrungswerte, aber eigentlich bin ich sowieso der Meinung, dass man es den Leuten selbst überlassen muss. Denn immer wenn dich jemand wie Red Bull oder Jägermeister zu vereinnahmen sucht, haftet daran immer auch der Beigeschmack, dass man etwas für die Industrie tut. Und ich bin mir sicher, dass alle Bands, die ich liebe, sowas nie machen würden. Sparklehorse hätten das niemals gemacht. Joy Division hätten das auch niemals gemacht. Ok, The Beatles hätten es gemacht, aber ich sehe das trotzdem alles sehr skeptisch. Wenn man den Antrieb hat, Musik zu machen und sich in dieser Kunst artikulieren will, dann soll man das auch so machen und nicht nur, weil man gefördert oder es einem bequem gemacht wird. Denn Musikmachen bedeutet auch, dass auf einen sehr viele Unannehmlichkeiten zukommen, die man mitmachen muss und dadurch bildet sich dann wiederum die Musik. Ich glaube, die Leute, die es am allereinfachsten hatten, machen die uninteressanteste Musik und Kunst.

{image}Um zum Schluss noch einmal zur staatlichen Förderung zurückzukommen. Ist das nicht auch gefährlich, wenn man vom Staat vereinnahmt wird?

Jona: Ich finde Red Bull tausendmal schlimmer als Guido Westerwelle. Zwar hasse ich auch Guido Westerwelle, aber ich weiß, dass so Firmen wie Smirnoff, Jägermeister oder Red Bull viel schlimmer sind. Ein Beispiel ist die Jägermeister Rock:Liga. Da wollen die Firmen nur, dass da 18-jährige hinkommen, damit die sich der Schnapsmarke nähern. In dieser Hinsicht kann ich auch die Bands nicht verstehen, die da mitmachen. Denn man kann nicht für so ein Produkt Werbung machen. Man kann es gerne konsumieren, das mache ich ja auch gerne. Aber sich für so eine Firma hinzustellen, das kann einfach nicht wahr sein! Denn Zigaretten- und Alkoholfirmen sind für mich die schlimmsten Firmen, die es gibt.

Danke für dieses Interview!