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Nick Cave (live in Frankfurt, 2017) © Mathias Utz

Im Angesicht der persönlichen Tragödie spielen Nick Cave & The Bad Seeds in der Frankfurter Jahrhunderthalle ein Konzert, das allen Anwesenden noch lange im Gedächtnis bleiben wird.

Es ist bemerkenswert, wie sehr sich Nick Caves Auftritt in Frankfurt von seinen letzten Deutschlandshows unterscheidet. Sein Konzert in Stuttgart bot elegante Melancholie in minimalistischen Arrangements. In Frankfurt steht alles im Zeichen überwältigender Dramatik, die sich fundamental von der eindringlichen Schönheit der Konzerte des Jahres 2015 abhebt.

Obwohl sich die Setlist teilweise überschneidet – die Arragements sind vollkommen anders. In Stuttgart saß Nick Cave häufig am Klavier, in Frankfurt überlässt er das meistens Warren Ellis, der in seiner Musik inzwischen eine zentrale Rolle einnimmt. Wie immer in dunklen Anzug mit weit offenem weißen Hemd gekleidet, steht Cave als Sänger auf der Bühne und sucht den Kontakt mit dem Publikum. Davon wird noch zu reden sein.

Kunst nach der Tragödie

Vieles ist zwischen diesen beiden Deutschlandtourneen passiert – fast alles davon schlecht. Kann man privates Leid mit dem Mittel der Kunst bewältigen? Nick Cave sang schon immer von Tod und Verdammnis – jetzt steht jedes Lied unter dem Eindruck der Geschehnisse.

Der qualvolle Unterton der Zeile "With my voice, I am calling you" in "Jesus Alone" verfehlt seine Wirkung nicht. Im Gegensatz zur minimalistischen Albumversion ist der Song weitaus härter, mit metallisch-hartem Schlagzeug, das an die Einstürzenden Neubauten erinnert und für das ein Kollege das neue Wort "bautig" prägt.

Dramatische Höhepunkte

"Higgs Boson Blues" gewinnt in der neuen Inszenierung eine völlig neue Substanz. In gewaltigem Sound verwandelt sich das surreale Lied in eine epische Sinnsuche, bei der sich Nick Cave regelrecht in die Zeile "Can you hear my heart beat?" hineinsteigert. Er variiert das "boom-boom-boom", singt es Zuschauern ins Gesicht, legt ihre Hände auf seine Brust. 

Zu diesem Zeitpunkt ist jedes Lied ein Highlight "From Her To Eternity" wird ebenso episch ausgebreitet, mit gänzlich unerwarteten Wendungen versehen und schließlich abrupt beendet. Man könnte über jedes Lied eine eigene Kritik schreiben.

Perfekter Sound

Der harte Sound, vor allem des Schlagzeugs, sorgt dafür, dass Nick Caves apokalyptische Lieder besonders gut funktionieren. "The Ship Song" versemmelt der Australier, aber "Into My Arms" wird durch den spontanen und auch für Nick Cave unerwarteten Publikumsgesang am Ende veredelt. Insgesamt ist der Sound in der Jahrhunderthalle wie immer perfekt. 

Den famosen Abschluss findet der Konzertabend mit einer grandiosen Version von "The Mercy Seat", eingeleitet mit einer akustischen Gitarre, so dass man an die berühmte Interpretation von Johnny Cash erinnert wird. Dann aber steigert sich das in jeder Form dramatische Lied in einer Weise, die das Publikum verblüfft und begeistert zurücklässt. Nick Cave schreit die Worte in das Mikrofon und bleibt dennoch in seiner Performance kontrolliert.

Kontakt mit dem Publikum

So geht es fast mit jedem Lied. Alles ist intensiver, eindringlicher, dramatischer als erwartet. Manchmal wirkt das Treiben etwas bedrohlich, bis ein seltenes Lächeln von Nick Cave die Spannung löst. Mit "Distant Sky" und "Skeleton Tree" sorgt der Sänger dann für einen erhebenden Abschluss des regulären Sets. Nach diesem Parforceritt braucht das Publikum eine Verschnaufpause für die Zugabe.

Nick Cave treibt in diesem Konzert seine Publikumsbeschwörung auf die Spitze. Hände recken sich ihm entgegen, die er erst mit ausladenden Handbewegungen nachzeichnet, dann ergreift und schließlich sich auf sie lehnt. Selten gab es bei einem so großen Konzert so viel körperlichen Kontakt zwischen einem Musiker und seinem Publikum . 

Unvergessliche Zugabe

Das findet in der Zugabe einen nie gekannten Höhepunkt. Nick Cave bahnt sich bei "The Weeping Song" seinen Weg zu einem Kamerapodest mitten in den Zuschauern, wo er wiederum auf Tuchfühlung mit den Glücklichen in seiner Nähe geht. Dazu animiert er das Publikum zu schnellem rhythmischen Klatschen, das er wieder mit einer Handbewegung abrupt zum Schweigen bringt. Verrückt.

Für "Stagger Lee" dürfen mindestens 50 Zuschauer auf die Bühne, wo sie ausgelassen feiern, aber den Anweisungen des Sängers gehorchen müssen. Nick Cave ergreift junge Damen und singt mit ihnen, wobei eine Zuschauerin eher irritiert als begeistert wirkt. "Push The Sky Away" bietet dann einen beschwörenden Abschluss eines zweieinhalbstündigen Konzertabends, den niemand der Anwesenden so schnell vergessen wird.  

Setlist

Anthrocene / Jesus Alone / Magneto / Higgs Boson Blues / From Her to Eternity / Tupelo / Jubilee Street / The Ship Song / Into My Arms / Girl in Amber / I Need You / Red Right Hand / The Mercy Seat / Distant Sky / Skeleton Tree / The Weeping Song / Stagger Lee / Push the Sky Away

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