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Impressionen von Sonntag (Rock am Ring, 2017) © Peter H. Bauer

Nach dem etwas aus den Fugen geratenem Beginn endet Rock am Ring 2017 versöhnlich mit zahlreichen musikalischen Highlights wie System Of A Down und den Prophets Of Rage, die – ganz festivaluntypisch – alle im Trockenen stattfinden.

Nachdem bei Rock am Ring 2017 am Samstag ausgiebig das Ende der terroristischen Gefährdung zelebriert wurde, ist das Festivalgelände am frühen Sonntagnachmittag noch relativ leer.

Die zahlreichen Besucher haben auf den Zeltplätzen trotz des nächtlichen Regens wohl lange weiter gefeiert und sind nun offensichtlich noch ein wenig angeschlagen. So müssen sich auch die ersten Bands auf dem Sonntagsspielplan mit einem für Rock am Ring-Verhältnisse überschaubaren Publikum begnügen.

Monstermäßiger Beginn

Auf dem Tagesprogramm der Hauptbühne Volcano Stage steht harte Kost wie die Death-Metaller Gojira an. Das nach dem japanischen Originaltitel von "Godzilla“ bekannte französische Quartett muss seine brachialen, aber technisch durchaus anspruchsvollen Songs zwar vor einer vergleichsweise geringen Menschenmenge zum Besten geben. Die Anwesenden zeigen sich aber über die massiven Grooves und Pyrosalven der Gallier recht erfreut.

Progressiv und vertrackt gehen Gojira bei ihren sich auf Umweltthemen konzentrierenden Material zu Werke, um den Zuschauern, die bereits den Weg auf das Gelände gefunden haben, mit Stücken wie "The Heaviest Matter Of The Universe" auf die ihrer Meinung nach vorhanden Missstände aufmerksam zu machen. Es wäre den Franzosen allerdings zu wünschen gewesen, dass sie vor einem größeren Publikum die Vulkane der Eifel auf die harte Tour hätten zum Beben bringen dürfen.

In luftigen Höhen

Da haben die darauffolgenden Airbourne schon etwas mehr Glück. Als die Australier die Bühne vor der Boxengasse betreten, ist in den vorderen Bereichen trotz des leicht zunehmenden Windes schon deutlich mehr los. Dass es inzwischen etwas luftiger geworden ist, stört die Fans allerdings wenig, denn das Quartett um Sänger und Gitarrist Joel O’Keeffe heizt den Massen in bester Motörhead-Manier mit Schädelspaltern erster Güte ein.

Dafür sorgen neben dem Lemmy Kilmister gewidmeten "It’s All For Rock‘n‘Roll" auch die Aktionen der vier Kerle aus dem Outback. Besonders hervor sticht Frontmann O’Keeffe, der sich zunächst oberhalb der Amps links vom Schlagzeug aufhält, nur um dann ein wenig später mit seiner Gitarre in der Hand den linken Boxenturm emporzuklettern. Bei seiner Rückkehr auf dem Boden der Tatsachen ist ihm der frenetische Jubel der Fans sicher.

Rockige Brückenbauer aus den Staaten

Alter Bridge nutzen danach die Gunst der Stunde. Bereits bei ihrem zweiten Song "Farther Than The Sun" hat das Quartett aus Florida um Sänger Myles Kennedy und die Creed-Mitglieder Mark Tremonti, Brian Marshall sowie Scott Phillips die Zuschauer fest in seiner Hand. Inzwischen scheinen die zahlreichen Ringrocker ihren Kater endgültig abgelegt zu haben.

Natürlich dürfen bei einem Set der vier Mannen aus Florida ihre größten Hits wie "Isolation", "Ghost Of Days Gone By" und "Addicted To Pain" nicht fehlen und werden von der gut gelaunten Menge auch begeistert empfangen. Zudem lassen es sich Alter Bridge in Form von Myles Kennedy nicht nehmen, wie üblich live als Einleitung zu "Blackbird", dem Titelsong ihres zweiten Albums, kurz den aus der Feder von Paul McCartney stammenden Beatles-Klassiker gleichen Namens anzuspielen. 

Groovig-wütende Prophezeiungen

Noch weiter an Intensität gewinnt der Sonntag bei Rock am Ring, als schließlich die sehnlichst erwarteten Prophets Of Rage die Bühne betreten. Um das Publikum zugleich in Jubellaune zu versetzten, benötigt die Supergroup aus den drei Rage Against The Machine- und Audioslave-Mitgliedern Tom Morello, Tim Commerford und Brad Wilk sowie Chuck D und DJ Lord von Public Enemy plus Cypress Hill-Rapper B-Real keine großen optischen Effekte. Ihre reine Präsenz reicht dafür aus.

"Deutschland, rage again!" lautet die kurze und knappe Aufforderung der beiden MCs an die Fans –und schon gehen die Hände nach oben und die Zuschauer zu den massiven Grooves der neuen Crossover-Helden aus Los Angeles ab. Dass die revolutionär angehauchten Songs der Stammband von Gitarrist Morello, Bassist Commerford und Schlagzeuger Wilk dabei den Großteil des Materials der Prophets ausmachen, ist sicherlich einer der entscheidenden Gründe für die riesige Begeisterung.

Revolutionäre Tanzgefühle

Die Massen tanzen, während sich das Sextett durch Rage Against The Machine-Klassiker wie "Testify" und das von ausgedehnten Instrumentalpassagen geprägte "Take The Power Back" arbeiten. "It all gets crazier from here", merkt B-Real kurz und knapp als Ansage zu "Guerilla Radio" an. Damit behält er auch vollkommen Recht, denn gerade das bald darauf folgende "Bombtrack" sorgt für jede Menge Action und rasende Begeisterung in den inzwischen prall gefüllten Publikumsbereichen.

Diesen enormen Zuspruch honorieren auch die Prophets Of Rage. "You motherfuckers are very amazing. You motherfuckers are the shit tonight. Thank you!" lässt B-Real verlauten. Dass Nummern seiner eigentlichen Band Cypress Hill und Chucks legendärem Outfit Public Enemy auch nicht fehlen dürfen, versteht sich dabei von selbst. "Fight The Power" gibt es ebenso in einer prophetischen Version wie "How I Could Just Kill A Man", bei dem Morello zur Doubleneck greift.

Vielseitiges Programm

Natürlich ist das noch längst nicht alles an Hip-Hop, was die Mahner aus der Stadt der Engel so auffahren. Commerford, Morello und Wilk gönnen sich eine kleine Verschnaufpause, während DJ Lord an den Turntables werkelt, um B-Real und Chuck D die passenden Beats für ein Medley aus Hip-Hop-Klassikern zu servieren. Wie in Deutschland eigentlich nicht anders zu erwarten, erzielen "Insane In The Brain" von Cypress Hill und "Jump Around" von House Of Pain dabei die deutlich größte Resonanz.

Wenig später dürfen der DJ und seine beiden MCs kurz durchatmen. Auf Rages "Sleep Now In The Fire", komplett mit "Cochise" als Outro, greift Morello kurz zum Mikrofon, um einen Gaststar vorzustellen: Sänger Serj Tankian von den heutigen Headlinern System Of A Down betritt die Bühne, um die Band bei einer ihrem kürzlich verstorbenen, früheren Audioslave-Frontmann gewidmeten, sehr emotionalen Fassung von "Like A Stone" zu unterstützen – und gibt dabei eine richtig gute Figur ab.

In Rage gespielt

Der Star ist und bleibt aber Tom Morello, der bei dieser Gelegenheit einmal mehr demonstriert, warum er zu den herausragenden Gitarristen seiner Generation zählt. Ob er nun mit den Zähnen spielt, um dem Publikum den Spruch "Fuck Trump" auf der Rückseite seiner Streitaxt zu zeigen, oder sich mit einem himmelblauen sechssaitigen Instrument, auf dem Comic-Nilpferde abgebildet sind, in der Hand eine Art "Scratch-Duell" mit DJ Lord zu liefern – Morello weiß jederzeit zu überzeugen.

Das energiegeladene Finale der Prophets Of Rage besteht aus einer Reihe RATM-Klassikern wie "Know Your Enemy" und "Bullet In The Head", in die der musikalisch ähnlich gestaltete neue Song "Unfuck The World" vom angekündigten Debütalbum eingebettet wird. "Gefährliche Zeiten erfordern gefährliche Songs", lässt B-Real das Publikum wissen – und jedem ist klar, welches Lied er damit meint. Ein sehr inspiriertes "Killing In The Name Of" beendet zur Freude der euphorischen Fans den Auftritt.

Krachender Systemstart

Bei Einbruch der Dunkelheit steht mit System Of A Down dann eine weitere sehnsüchtig erwartete, weil in Europa im letzten Jahrzehnt live kaum zu sehende, Band in den Startlöchern. Inzwischen sind ein Dutzend Jahre seit den letzten Veröffentlichungen des Quartetts vergangen, auch wenn die Mitglieder immer wieder betonen, ein weiteres Album solle in absehbarer Zeit folgen. Live sind die vier Kalifornier mit armenischen Wurzeln aber weiterhin eine Bank – sofern sie sich vor Publikum zeigen.

Am Nürburgring werden System Of A Down dem ihnen vorauseilenden Ruf gerecht. Beginnend mit dem Intro "Soldier Side", arbeiten sich Frontmann Serj Tankian, Gitarrist und Sänger Daron Malakian, Bassist Shavo Odadjian und Drummer John Dolmayan ohne große Unterbrechung durch eine ganze Reihe ausgefallener Songs von ihren fünf Studioplatten – wobei "Violent Pornography" mit Tankian am Synthesizer und "Aerials", bei dem er den zweiten Gitarristen gibt, die größte Resonanz erzeugen.

Gegensätze ziehen an

System Of A Down sind in vielerlei Hinsicht eine Band der Gegensätze. In musikalischer Hinsicht sind das einmal die teilweise doch sehr krassen Stilbrüche zwischen vertrackten wie knallharten und sanften, melodischen Passagen innerhalb ihrer Stücke. Ein weiterer Kontrast liegt in den beiden federführenden Bandprotagonisten Tankian und Malakian, die inzwischen den Gesang weitgehend unter sich aufteilen und beide auf ihre eigene Art mit unterschiedlichen Stilen zu überzeugen wissen.

Dabei beweist gerade Serj, warum sein Name immer wieder ins Gespräch kommt, wenn es um die besten Stimmen im Metalbereich geht. Auch bei Rock am Ring legt Tankian eine Vielseitigkeit an den Tag, die so einige neidisch machen dürfte. Binnen Sekunden springt er von Screams zu Growls oder Scat-Passagen und wieder zurück, nur um zwischendurch immer wieder sein eigentlich glockenklares Organ durchklingen zu lassen. Wahrscheinlich würde er auch als Rapper eine gute Figur abgeben.

Hartes und Zartes

Dem Publikum gefällt jedenfalls, was das Quartett aus Pasadena abliefert. Dabei gehen System Of A Down völlig unbeirrt zu Werke. Statt Spielzeit durch lange Ansagen zu verplempern, gehen sie lieber ohne große Umschweife von einem zum nächsten Stück über. Auf Malakians kurze Aufforderung zum Tanzen folgt "Radio/Video", das die Massen auf dem Gelände dann auch in Bewegung versetzt, woraufhin mit dem ruhig gehaltenen Mittelteil von "Dreaming" eine kleine Atempause bitternötig ist.

Dieser Moment zum Durchschnaufen hält allerdings nicht lange an. Denn System Of A Down begeben sich mit "Pictures" und einer stimmungsvollen, zwar farbenfrohen, aber zugleich düsteren Lightshow direkt wieder zurück in härtere Gefilde. Serj Tankian positioniert sich für seine Gesangseinlagen dabei ein aufs andere Mal auf einem Riser hinter dem Drumkit, der geradezu zu seinem Stammplatz mutiert, wenn er nicht gerade an Synthesizer bzw. Keyboard Platz nimmt oder zur zweiten Gitarre greift.

… und weiter geht’s?

Natürlich erhalten die Klassiker "Chop Suey!", "B.Y.O.B." und "Toxicity" im Reigen der stolzen dreißig Songs, die System Of A Down dem begeisterten Publikum in etwa 100 Minuten präsentieren, den größten Applaus, aber auch die übrigen Stücke werden begeistert aufgenommen. Für gute Laune sorgen ebenso wiederholt Malakians kleine Spielchen mit den Zuschauern und solche belustigenden Einlagen wie etwa das kurze Anstimmen von Olivia Newton-Johns "Physical" im Intro zu "Psycho".

Am Ende bleibt ein fantastischer Auftritt der Kalifornier mit einem anfangs leicht latinmäßig angehauchten, dem deutschen Mehrfach-Formel 1-Weltmeister Sebastian Vettel gewidmeten "Cigaro" in der Schlussphase des Sets, der die berechtigte Frage aufwirft, warum sich System Of A Down so lange mit ihrem neuen Album und einer hoffentlich darauf folgenden, ausgedehnten Tour aufhalten. Ihrer Show bei Rock am Ring nach zu urteilen, wird es dafür nämlich höchste Zeit.

Erleichterung bei Organisatoren und Behörden

Nach dem aus bekannten Gründen stockenden Beginn des diesjährigen Festivals zeigen sich bei der abschließenden Pressekonferenz dann auch alle Verantwortlichen äußerst zufrieden und versöhnlich. Die Einsatzleiter der Polizei und des Deutschen Roten Kreuzes vor Ort loben den zivilisierten Ablauf und die geringe Anzahl an Zwischenfällen und Hilfeleistungen, die sich deutlich unter den Größenordnungen bei anderen Veranstaltungen ähnlicher Größenordnungen bewegt habe.

Ebenso froh präsentiert sich Veranstalter Marek Lieberberg, der sich in einer Presseerklärung deutlich von einer Vereinnahmung seiner emotionalen Aussagen auf der Pressekonferenz zur Unterbrechung des Events distanziert, aber solche Anschläge weiterhin als "Angriffe auf unsere Zivilisation und unsere Art zu leben" betrachtet und somit eine klare Positionierung "gegen jegliche Art von Gewalt und Fanatismus" fordert.

Laut Aussage von André und Marek Lieberberg soll Rock am Ring 2018 vom 1. bis 3. Juni erneut am Nürburgring stattfinden.

Setlist der Prophets Of Rage

Prophets Of Rage / Testify / Take The Power Back / Guerilla Radio / How I Could Just Kill A Man / Bombtrack / Fight The Power / Hip-Hop Medley: Hand On The Pump/Can’t Truss It/Insane In The Brain/Bring The Noise/I Ain’t Goin’ Out Like That/Welcome To The Terrordome/Jump Around / Sleep Now In The Fire / Like A Stone (mit Serj Tankian) / Know Your Enemy / Bullet In The Head / Unfuck The World / Bulls On Parade / Killing In The Name

Setlist von System Of A Down

Soldier Side / Suite-Pee / Prison Song / Violent Pornography / Aerials / Mind (nur Intro) / Mr. Jack / DDevil / Needles / Deer Dance / Radio/Video / Hypnotize / Dreaming (nur Mittelteil) / Pictures / Highway Song / Darts / Bounce / Suggestions / Psycho / Chop Suey! / Lost In The Hollywood / Question! / Lonely Day / Kill Rock ‘n’ Roll / War? / B.Y.O.B. / Honey / This Cocaine Makes Me Feel Like I’m On This Song / Cigaro / Toxicity / Sugar