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Westernhagen (live in Mannheim 2015) © Rudi Brand

Bei einem Altmeister der Stadionkonzerte wie Marius Müller-Westernhagen hängt die Messlatte entsprechend hoch, wenn er auf Tournee geht. In der Mannheimer SAP Arena präsentiert der Pfefferminzprinz eine teils gelungene, teils absurde Mischung aus Klassikern, Gefühlsduselei und Schockeffekten.

Zusammen mit Herbert Grönemeyer und Udo Lindenberg zählt Marius Müller-Westernhagen mittlerweile zu den lebenden Legenden der deutschsprachigen Rockmusik.

Obwohl sich seine Plattenverkäufe nicht mehr auf dem Niveau seiner Glanzzeiten in den 1990er Jahren befinden, sorgt er doch weiterhin für Aufsehen, sobald er eine Tournee ankündigt. So ist auch die Mannheimer SAP Arena gut gefüllt, als sich Westernhagen und seine aktuelle Band mit ihrem letztjährigen Nr. 1-Album "Alphatier" im Gepäck dort blicken lassen.

Schützenhilfe aus der Rheinmetropole

Als Vorband ist diesmal die Kölner Combo BenjRose rund um den namensgebenden Sänger und Songwriter Benjamin Rose am Start. Im Laufe ihres Sets bietet die Band weitgehend straighten, erdigen Rock'n'Roll, genau wie man es vom Support eines Marius Müller-Westernhagen erwarten sollte.

Die Gruppe aus der Domstadt setzt nur wenig auf Effekte, beeindruckt dafür mit jeder Menge roher Live-Energie. Besonders Rose und seine beiden Gitarristen stehen praktisch keine Sekunde still und hüpfen ständig auf der für das Vorprogramm deutlich reduzierten Bühne herum.

Auf die Plätze, "Fertig", los

Nach einer kurzen Umbauphase und Lou Reeds "Waiting For The Man" als Intro vom Band legen Marius Müller-Westernhagen und Co. schließlich mit dem Titelstück vom aktuellen Longplayer "Alphatier" los und schieben ohne große Umschweife mit "Fertig" und "Mit Pfefferminz bin ich dein Prinz" direkt die ersten Klassiker hinterher.

Von der ersten Sekunde an wird deutlich, welches Konzept die diesjährige Tour verfolgt. Westernhagen präsentiert eine ausgewogene Mischung aus neuem und altem Material. Stolze sechs Stücke von "Alphatier" sind Teil des Programms. Einige Hits aus vergangenen Tagen wie "Dicke" und "Freiheit" mussten dafür allerdings auf der Strecke bleiben.

Herz ist Trumpf

Überhaupt verzichtet der Sänger anfangs auf große Worte, zeigt sich dafür aber während der Songs umso energiegeladener. Trotz seines mittlerweile gesetzten Alters und faltigen Gesichts rennt er wie ein Derwisch auf der Bühne herum, sodass auch jede Ecke des Publikums in den Genuss kommt, ihn aus nächster Nähe betrachten zu können.

In dieser Hinsicht muss eine neue Liebe etwas Wunderbares sein. Zumindest lässt Marius Müller-Westernhagen während seiner Show sämtliche Anwesenden daran teilhaben. Er läuft mehrfach zu seiner neuen Herzdame, der Backgroundsängerin Lindiwie Suttle, schmachtet sie an und holt sie auch einige Male zum Austausch von Zärtlichkeiten zu sich nach vorne.

Eine neue Liebe ist wie ein neues Leben

Es sei ihm gegönnt, denn stimmlich wie performancetechnisch wirkt sich die Beziehung zu der halb so alten Frau geradezu wie ein Jungbrunnen auf den alternden Rocker aus. Gesanglich erinnert Westernhagen an diesem Abend immer noch an seine besten Zeiten, mal hart und reibeisig, mal ganz sanft. Selbst die Falsetteinlagen bieten keinen Anlass zur Kritik.

"Du musst bereit sein, dich deinem Publikum hinzugeben. Das tut manchmal weh, aber es ist notwendig, wenn du möchtest, dass dein Publikum dich wirklich spürt." Teilweise gilt dieses selbst postulierte Credo für Westernhagen an diesem Abend. Er zelebriert auf dieser Tournee sein neues Leben, seine neue Liebe und sich selbst.

Polarisierende Szenen

Bei Liedern wie "Engel, ich weiss" driftet das Ganze allerdings doch etwas sehr ins übertrieben Kitschige ab. Während der aktuellen Liebesballaden flattern arg viele rote Rosen und Herzchen über die Videoleinwand.

Andererseits inszeniert Westernhagen dann wieder neuere Titel wie "Liebe (um der Freiheit Willen)" zu Schockbildern von toten Kindern, abgeschlagenen Köpfen, Kindersoldaten und verwesenden Tierkadavern, die die Zuschauer zwar nicht verstört zurücklassen, aber zunächst verhindern, dass eine wirkliche Feierstimmung entsteht. Gleiches gilt für die anfänglichen Tonaussetzer, die zumindest die Soundqualität im linken vorderen Teil der SAP Arena beeinträchtigen.

Stimmungsschwankungen

Als dann in der zweiten Hälfte der knapp zweistündigen Show endlich die alten Klassiker in Serie ertönen, versöhnen Marius Müller-Westernhagen und seine nicht namentlich erwähnten Mitmusiker die Fans. "Mit 18" bietet die erste Gelegenheit für Tanzeinlagen auf den Rängen. Spätestens bei "Sexy" kennt der Jubel dann keine Grenzen mehr.

Ab diesem Zeitpunkt verwandeln sich die Tribünen der Halle in einen zweiten Innenraum. Keinen der Zuschauer dort hält es mehr auf seinem Sitzplatz, als Westernhagen schließlich die Klassiker "Es geht mir gut" und "Wieder hier" schmettert. Die Zuschauer nehmen ihm hierbei dann wenigstens während der Refrains einen Großteil der Gesangsarbeit ab.

Gerührt, nicht geschüttelt

Am Ende lässt es sich ein sichtlich gerührter Marius Müller-Westernhagen dann doch nicht nehmen, noch einige Worte an das Publikum zu richten. Er wird nicht müde, zu betonen, wie viel Freude ihm das Spielen mit einer Band bereite, die ganz frei von Egos und fast wie eine Familie für ihn sei, wie wichtig die Arbeit der Flüchtlingshelfer sei, denen er Freikarten spendiert habe – und, dass der heutige Abend seiner Meinung nach das Beste seiner vielen Konzerte sei, die er je in Mannheim gegeben habe.

Als Westernhagen standesgemäß mit dem akustischen "Johnny W" die Bühne verlässt, mag er aus der Perspektive eines Teils der ihn unter tosendem Beifall verabschiedenden Zuschauer mit seiner Einschätzung durchaus Recht behalten. Andere wiederum hätten sich vermutlich etwas weniger "Alphatier" und Ekelbilder, dafür mehr "Freiheit" gewünscht.

Setlist

Alphatier / Fertig / Mit Pfefferminz bin ich dein Prinz / Liebe (Um der Freiheit Willen) / Oh, Herr / Taximann / Willenlos / Ich bin besessen / Clown / Engel, ich weiss… / Mit 18 / Lichterloh / Schweigen ist feige / Was ich will bist du / Lass‘ uns leben / Sexy // Halt mich noch einmal / Es geht mir gut / Wieder hier // Wir haben die Schnauze voll / Johnny W.

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