Joss Stone (live in Hamburg, 2012)

Joss Stone (live in Hamburg, 2012) © Falk Simon

Beim neuen Festival Soul im Hafen lässt sich eine einfache Bilanz ziehen. Musikalisch war es ein Tag der absoluten Weltklasse. Aber über einige Randerscheinungen sollte diskutiert werden, denn ein solches Ende hatte das Festival nicht verdient.

Beim Betreten des Geländes erfahren die Besucher, dass Rebecca Ferguson ihr Konzert leider krankheitsbedingt absagen musste. Sehr schade, es wäre bestimmt ein ebenso grandioses Konzert geworden wie bei ihrer Solotour im April.

Den Auftakt des Festivals bildet eine schwungvolle Show von Fetsum mit viel Drive und Energie, die aber mit dem schlimmsten Regenguss des Tages endete. In diesen kleinen Wolkenbruch moderiert die Gastgeberin hinein und witzelt, dass das Festival nächstes Jahr im August und nicht im April stattfinden wird.

Riesenapplaus für Nneka

In genau diesem Wetter startet dann Nneka ihre Show. Die Sängerin mit nigerianischen Wurzeln lebt in Hamburg und brilliert beim Heimspiel. Sie ist dankbar, auf der Bühne zu stehen und sich durch ihre Musik ausdrücken zu dürfen. Es ist ihre Therapie.

So steht sie da mit der Gitarre und entfaltet sich als die kraftvolle Stimme Afrikas. Von Song zu Song steigert sich der Applaus, nachdem die Zuschauer zunächst den Songs still, aber aufmerksam gelauscht haben. Mit "Heartbeat" singt sie sich buchstäblich die Seele aus dem Leib.

Zum Abschluss performt sie eine eigene Version von "Sweet Dreams", dem alten Hit der Eurythmics. Dazu mixt sie einen eigenen Song ein und lässt eine Songzeile vom Publikum mitsingen: "One, One, One, Walking In The Light". So endet dieses Konzert mit Riesenapplaus, denn Nneka hat stimmlich total überzeugt.

Die Baltic Soul Bühne

Neben der Hauptbühne gibt es eine zweite Bühne im hinteren Bereich des Geländes. Dort verwandeln die Baltic Soul DJs unter einer gespannten Zeltplane die Zone in eine Tanzfläche mit Strandbar-Charakter. Auch später am Abend ist der Floor voll und es wird heiß getanzt. Es ist ein kleiner Ausschnitt dessen, was sich jedes Jahr beim Baltic Soul Weekender abspielt.

Mr. & Mrs Blacc geben sich die Ehre

Auf der Hauptbühne erscheint unter dem Soundfeuer von Trompete und Saxophon Aloe Blacc. Im Stil von heißem Funk-Soul performt er "Tonight Downtown" und das Publikum macht direkt voll mit. Beim großen Hit "I Need A Dollar" schreien die Fans schon beim ersten Takt auf, die Bläser geben Vollgas, während Aloe Blacc über die Bühne tanzt.

Der Spaß am Konzert ist ihm deutlich anzumerken, er spult nichts ab, er lebt seine Musik total. So wird der Song zur XXL-Version mit Improvisation, die von der Rap-Einlage einer Gastsängerin gekrönt wird, die später von der Moderation als die Ehefrau von Aloe Blacc vorgestellt wird: was für ein Paar, Mr. & Mrs. Blacc.

Der Soul Train in voller Geschwindigkeit

Bei "Love Is The Answer" glänzen wieder die Musiker mit einer Percussion-Einlage und einem Saxophon-Solo. "You Make Me Smile" erinnert an alte Soullegenden und verwandelt sich in einen Improvisations-Knaller. Den Fans gefällt es, sie feiern trotz der zweiten, kleineren Regendusche.

Zum Schluss erzählt Aloe Blacc von dem Tag, als er von seinem alten Job gefeuert wurde. Dadurch erhielt er die Zeit, seiner Leidenschaft zum Songschreiben nachzugehen, womit er den Grundstein seiner Karriere legte. Aus dieser Erfahrung entstand später die Idee zu "Wake Me Up" und auch diese Performance wird grandios abgefeiert. Dann beschwört er am Ende noch den "Soul Train" und geht nach einer Spitzenperformance unter tobendem Applaus von der Bühne.

Im zweiten Teil: Stimmwunder Joss Stone, Energiebündel Wyclef Jean und ein plötzliches Ende

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Das Phänomen Joss Stone

Als Hitmaschine mit permanenten Radiohits ist Joss Stone nicht gerade bekannt. Dafür liefert sie seit Jahren immer wieder grandiose Top Ten Alben ab. Aber in Wahrheit ist Joss Stone einfach nur eine Rampensau, die bei Live-Auftritten so explodiert, dass die Zuschauer sich wie im Rausch fühlen. Als sie "Teardrops" anstimmt, wird daraus ein Fest der Stimm-Modulation. Ihre Stimme gleicht einem Wirbelsturm mit unglaublicher Wucht.

Es wird schnell klar, dass Joss Stone gerade keine echtes Tourprogramm hat, denn der Auftritt wirkt sympathisch chaotisch. Zwischen den Songs eilt sie zum Notenständer mit der Playlist, um zu schauen, welcher Song jetzt dran ist. Das ist aber egal, denn sie stellt sich einfach hin und haut einen Hammersong nach dem anderen raus.

So stellt sie den neuen Song "The Answer" vor, der mit einem Samba-Sound startet und der vor den beiden Backgroundsängerinnen mit einer Galaperformance begleitet wird, während Joss Stone rückwärts über die Bühne tanzt. Livetest bestanden!

Von laut zu leise

Aber Joss Stone kann es auch ruhiger. Nur mit dem Gitarristen und der Akustikgitarre fesselt sie das Publikum mit "I Don't Wanna Be With Nobody But You", bevor sie sich zusätzlich zur Band eine Verstärkung auf die Bühne holt. Nneka kommt und gemeinsam performen zwei Gigantenstimmen wie bei einem Fechtduell, bei dem abwechselnd eine vorstößt und eine zurückweicht. Genauso bewegen sie sich über die Bühne und beide zeigen, was sie ohne gemeinsame Probe auf die Bühne zaubern können.

Der absolute Knaller ist das Finale des Hauptblocks, als Joss Stone vom Publikum ein langes "Aaahhh" hören will. Das kommt nicht wie gewünscht und jetzt legt sie richtig los. Sie improvisiert wieder, zeigt die gewollte Emotion aus der Tiefe der Seele, so wie wenn man einen echten Scheißtag hinter sich hat, dann richtig "pissed off" ist, am Ende wütend mit dem Fuß aufstampft und alles kanalisiert sich in einen Schrei: "Aaahhh". Jetzt antwortet das Publikum auf die gewünschte Art.

Als Zugabe sinkt Joss Stone auf den für sie ausgelegten Teppich am Bühnenrand und beginnt auf den Knien den Song "Right To Be Wrong". Als sie aufsteht und weitersingt, knallt ihr eine Rückkopplung vom Mikro wie ein Schlag ins Gesicht, aber das ist egal. Joss performt, lacht, hat richtig Spaß und verlässt und unter Standing Ovations die Bühne. 

Der Energizer Wyclef Jean

Es klingt leicht grotesk, wenn ein Konzertbericht damit beginnt, dass das Geschehen fast nicht beschreibbar ist. Bei Wyclef Jean ist es aber in der Tat extrem schwer. Denn der Hip-Hop-Star performt in einem derart hohen Tempo, dass man ihm kaum folgen kann. Mitten im Song bricht er ab, baut völlig neue Rhymes ein und gibt sich einfach völlig unberechenbar.

So mixt sein DJ diverse Stimmen aus den Songs von Wyclef Jean ein, während er seine eigenen Parts übernimmt. Es ertönt Lauryn Hill zu "Ready Or Not", wähend Wyclef seine Rhymes abfeuert und der ganze Innenraum im Rhythmus mitschwingt. Er spricht in mehreren Sprachen, mal englisch, dann spanisch, auch deutsch ist dabei, während er Hamburg anpreist als den Ort, wo er jetzt sein will: "There is no place like Hamburg".

"Ich will ein neues Fugees-Album!"

Bei "No Woman, No Cry" greift Wyclef zur Gitarre und ermahnt die Fans: "If you see Lauryn Hill next week, tell her: I want a Fugees album". Wie ein Löwendompteur lässt er sprichwörtlich die Peitsche über dem Publikum knallen und alle gehorchen. Aus vollem Hals singen alle Fans "Killing Me Softly".

Dann performt er "Guantanamera" und es ertönt die Stimme von Shakira. Die Fans drehen durch bei "Hips Don't Lie", auch als der DJ mittendrin den Song im Fugees-Style remixt. Er dreht immer weiter auf, holt einen Reporter aus dem Publikum, der ihn vorher interviewt hat und macht mit ihm während dem Song ein Liegestützbattle. 

Keine Berühungsängste

Aber es geht noch krasser. Völlig ohne Berührungsängste springt er von der Bühne und geht mitten in die Zuschauer. Zuerst powert er weiter, dann entdeckt er den Bierstand, entert den Stand und holt sich ein Bier ab. Mit dem Bierbecher geht es zurück zur Bühne.

Im Freestyle wirft er mit den Rhymes um sich und gibt ein Statement ab: Der Veranstalter habe ihn nur für eine Stunde gebucht, aber wer glaubt, Wyclef spielt nur eine Stunde, "booked the wrong guy". Doch dann geschieht zum Entsetzen der Zuschauer genau das. Nach dem nächsten Song rennt Wyclef Jean von der Bühne und die Show ist plötzlich zu Ende. Das Publikum ist irritiert. Soll die Party etwa dann zu Ende sein, wenn es am besten ist?

Musikalische Weltklasse

Die Moderatorin versucht, das enttäuschte Publikum zu beruhigen. Es geht mal wieder um das Thema Lärmschutz. Pünktlich um 22 Uhr muss das Festival vorüber sein. Und das an einem Samstagabend!

Trotz des abrupten Endes: Musikalisch ist den Veranstaltern mit dem Soul im Hafen 2014 ein Riesenwurf gelungen. Das Line-Up war gigantisch, jedes Konzert ein Knaller. Man darf gespannt sein, wie es im nächsten Jahr weitergeht.

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