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Zwei Musiker, zwei Konzerte, zwei Konzepte: Beim Jetztmusik Festival in Mannheim sorgten die beiden Pianisten Hauschka und Nils Frahm für offene Münder bei den Zuschauern. Das lag auch an den exzellent gewählten Veranstaltungsorten, die beide Künstler benutzten, um das Publikum in ihren Bann zu schlagen.

Das Jetztmusik Festival hat es sich in diesem Jahr zur Aufgabe gemacht, musikalische Grenzen einzureißen. Wer passt zu diesem Vorhaben besser als die beiden Pianisten Volker Bertelmann, besser bekannt als Hauschka, und Nils Frahm?

Sowohl Frahm als auch Hauschka sind seit fast zehn Jahren Meister ihres Instruments und konnten durch ihre unkonventionelle Herangehensweise viele Fans außerhalb der angestaubten Konzertsäle gewinnen.

Hauschkas verlassene Städte und das Fernsehstudio

Und diese Fans sorgten für zwei ausverkaufte Konzerte. Vielleicht lag es auch an den besonderen Veranstaltungsorten. Wie soll man auch einen Ort nennen, bei dem man vor dem Konzertbeginn so begrüßt wird: "Sollte während des Konzerts ein größeres Unglück in Mannheim passieren, müssen wir kurz Platz machen, denn dann wird hier ein Nachrichtenstudio aufgebaut." Sowas kann passieren, wenn man Musik in Studio des SWR aufführt. Und genau dort stellte Hauschka seine neue Platte vor.

"Abandoned City" heißt das neue Werk des Mannes, der für sein präpariertes Klavier bekannt ist. Hauschka steckt Schellen, Klanghölzer, Bälle und ganz viel Gaffer-Tape in sein Klavier und erweitert damit das Klangspektrum seines Instruments um Welten. Damit lädt er die Zuhörer an diesem Abend auf eine Reise in viele verlassene Städte ein.

Zum Beispiel nach "Elizabeth Bay", einer ehemaligen Minenstadt in Namibia, die jahrelang nur von Tieren bewohnt wurde und jetzt langsam wieder von Menschen bevölkert wird. Oder nach Italien in die Geisterstadt Craco, den Drehort für Mel Gibson schreckliches Blutspektakel "Passion Christi".

Wie man sich an Orte erinnert

Zwischendurch immer wieder ein kleine Geschichte: Wie Hauschka sich dank eines Autoverleihs am Bahnhof daran erinnert, schon einmal in Mannheim gewesen zu sein. Warum verlassene Orte eine Faszination auf ihn ausüben. Und dass er nach dem Konzert noch für ein Schwätzchen im Eingansbereich zu finden sei.

Dem von der Musik und der für viele ungewohnten Atmosphäre des Veranstaltungsortes faszinierten Publikum gefällt es. Aus der Decke wachsen unzählige Lautsprecher und sonstige Gerätschaften der Fernsehbranche entgegen, während vorne auf der improvisierten Bühne eine kleine Kamera die verschiedenen Gerätschaften in Hauschkas Klavier filmt und auf eine große Leinwand projiziert.

Schon ist die zweite Zugabe gespielt (ein Stück aus seinem erstem Album "Substantial", auf dem alle Titel noch vollkommen "unpräpariert" eingespielt wurden) und wie immer der Abend viel zu schnell vorbei. Mit einem weinenden und einem lachenden Auge verschwinden wir in die Nacht, denn schon am kommenden Abend folgt der nächste Streich: Nils Frahm.

Lest im zweiten Teil wie Nils Frahm die Christuskirche zum Beben brachte und gleichzeitig von ihr verzaubert wurde.

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Bässe in der Christuskirche

Und eben dieser Nils Frahm tritt ebenfalls an einem Ort auf, der es in sich hat: in der Christuskirche in Mannheims Oststadt. Im Jahr 1911 fertiggestellt und kaum vom Krieg beschädigt, ist das Gotteshaus heute ein wunderschönes Beispiel des Jugendstils.

Von diesem Beispiel zeigt sich der Künstler des Abends beeindruckt: Hatte er vorher noch ein paar schlechte Witze über die "Schönheit" Mannheims vorbereitet, müsse er das im Angesicht des Kirchenbaus unterlassen.

Frahm eröffnet den Abend mit einem kurzen Spiel an der kleineren der beiden Orgeln des Gotteshauses. Es sind Klänge, die viele Konzertbesucher wohl nicht oft hören und die ihre Wirkung auch nicht verfehlen: Ehrfürchtig lauscht der ganze Saal in fast vollkommener Dunkelheit, spärlich erhellt durch das Restlicht des Tages, das zäh durch die Kirchenfenster tropft.

So viel Stille musste belohnt werden, und so lässt Nils Frahm daraufhin die gesamte Kirche mit einem magenerschütternden Bass erbeben. Vertrauen auf Gott und die alten Baumeister, dass einem nicht die Decke auf den Kopf fällt, ist in dem Moment mehr als angebracht.

Bis der Küster Schluss macht

Es folgte ein Spektakel aus ruhigen Klavierstücken, elektronisch aufgemotzen Magenbebern und einer großartigen Lichtshow, die das heilige Haus in immer andere Licht-, Farb- und Schattenspiele taucht. Nils Frahm verfolgt ein anderes Konzept als Hauschka. Während dieser im Instrument bastelt und dadurch seinen eigenen Klangraum erzeugt, benutzt jener verschiedene Instrumente und baut durch die Vielfalt Spannung auf.

In seiner Musik total konzentriert, zwischen den Stücken aber leise und aus dem Nähkästchen plaudernd, huscht Nils Frahm über die Bühne. Nachdem er gerade zwei Wochen auf ausverkaufter Amerikatournee war, merkt man ihm eine gewisse Erleichterung an: "Gut, wieder daheim zu sein".

Über allem thront die Kreuzigungsgruppe mit Maria und Johannes neben dem Kreuz sowie Maria Magdalena zu Füßen Jesu. Oft scheint es, als würde Frahm, der direkt vor der Gruppe sitzt, zu den Vieren aufsehen. Auch für ihn muss es ein ganz anderes Konzert sein, als sein letzter Auftritt in Mannheim 2012 in der Feuerwache auf der anderen Neckarseite.

Wie am Vorabend ist aber auch in der Christuskirche nach viel zu kurzer Zeit schon Schluss. Standing Ovations holen Frahm zweimal wieder auf die Bühne zurück, bis der Küster den Abend für alle beendet – bei allen schönen Klängen will er schließlich auch mal nach Hause.

Mission accomplished

"Aus relativ wenig relativ viel herausholen", so kündigt Matthias Rauch vom Clustermanagement Musikwirtschaft Nils Frahm noch vor dessen Auftritt an. Gleiches kann man vom Jetztmusikfestival behaupten, das trotz begrenzter (finanzieller) Mittel durch großartige Künstler und eine wunderbare Wahl der Veranstaltungsorte 2014 mit den Konzerten von Hauschka und Nils Frahm einen glänzenden Auftakt nahm.

Verpassen sollte man die einzigartige Festivalatmosphäre auf keinen Fall. Bis zum Ende des Jetztmusik Festivals stehen auch noch viele Termine an, an denen man sich davon selbst überzeugen kann.

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