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Rockstarposen: Placebo in Berlin © Julian Reinecke

"Teenage Angst" – kaum eine Band vermochte Ende der 1990er Jahre mit ihrer Musik jungendliche Ängste besser auszudrücken als die britische Alternative-Rock-Band Placebo. Kaum ein anderer provozierte mit seiner Androgynität so stark wie Sänger Brian Molko. Heute ist die Band zahm geworden. In Berlin wirkte die Band zwar routiniert, aber leidenschaftslos.

"My computer thinks I'm gay / I threw that piece of junk away" – als Placebo-Sänger Brian Molko im sechsten Song diese Sätze des neuen Songs Too many friends in das Mikrofon haucht, wird der Häutungsprozess einer Band deutlich, die in den späten 1990ern und frühen 2000er Jahren noch Identifikationsfigur für eine ganze Generation verunsicherter Jugendlicher war.

Ikonen und Vorbild einer ganzen Generation

In einer von Opportunismus und Kommerz geprägten Gesellschaft suchten die Teenager damals nach eigenen individuellen Ausdrucksmöglichkeiten, benutzten rebellisches Verhalten zur gesellschaftlichen Abgrenzung und sahen im Außenseitertum ein Mittel, um der Welt ihre persönliche Handschrift zu verleihen.

Brian Molkos Spiel mit den Geschlechterrollen, sein androgynes Äußeres und seine Liebe zur Schminke eigneten sich gut, um sich an gesellschaftlichen Normen und Traditionen zu reiben. Die von ihm in Anlehnung an die Camp-Vertreter der 1970er Jahre geschaffene Kunstfigur war doch selbst Ausdruck der Rebellion gegen seine konservativen Eltern. David Bowie als zeitweiligen Vertreter dieser Kultur verehrt Molko bis heute.

Kommerziell erfolgreiche Supergroup

Heute möchte Molko dieses geschlechtslose Wesen nicht mehr sein, scheinen Placebo nicht mehr als Sprachrohr für die Emotionen und Einstellungen einer heute selbst zu Erwachsenen gereiften Generation gelten zu wollen.

Klar, Brian Molko hat sich verändert, ist Vater geworden, mit seiner Band zu einem kommerziell erfolgreichen Superstar gereift – doch verliert eine Band mit der Entledigung aller früheren Erkennungszeichen nicht ihre Relevanz?

In der o2 World stilisiert sich Placebo demensprechend als routinierte Supergroup, die nur so wenig Kontakt mit dem Publikum haben möchte wie nötig, so wenig mit diesem interagiert wie möglich.

Ohne das Wort ein einziges Mal an das Publikum zu richten, spielt die Band Song um Song ihrer Setlist leidenschaftslos herunter, machen die Bandmitglieder allseits bekannten Rockstar-Posen und gewöhnlichen Körperverrenkungs-Übungen mit Blick gen Himmel.

Pflege des Rockstar-Images

Als würden Placebo selbst wissen, dass sie als im Mainstream angekommene Band heute nicht mehr authentisch ihre von Traurigkeit und Melancholie durchzogenen Andersartigkeit präsentieren kann und sich deshalb lieber auf das Pflegen des Rockstar-Images konzentriert, fährt mehrmals ein transparenter Vorhang herunter, der die Band auf der Bühne vom Publikum in der Halle trennt.

Der Vorhang scheint hier als vierte Wand zu fungieren, der den Unterschied zwischen Band und Publikum deutlich macht. Wenn im Hintergrund die flimmernden Live-Aufnahmen mit an den Farbenreichtum des Albumcovers ihres neuen Werk Loud Like Love erinnernden Visuals vermischt werden, dann wird man das Gefühl nicht los, als wolle sich Placebo ihr eigenes Denkmal setzen.

Songs wie ein Sog

An der Live-Wirkung mancher genial geschriebener Songs und der Begeisterung des Publikums über ihren Live-Auftritt ändert das allerdings wenig. Zwar markiert das aktuelle Album einen Schwachpunkt in ihrer Diskographie, weshalb dessen Songs stellenweise Langeweile hervorrufen.

Doch wenn Placebo mit Every You, Every Me, The Bitter End, Song To Say Goodbye wieder die alten Hits aus der Mottenkiste auspacken, dann kann man sich dem Sog dieser treibenden Songs nicht entziehen.

Insbesondere im Zugabeteil mit Teenage Angst, Post Blue und Infra-Red sowie des Kate-Bush-Covers Running Up That Hill wird deutlich, warum die Band vom Mainstream aufgenommen und heute als Ikone des Alternative-Rock gilt.

Vom leidenden Außenseiter zum gefragten Dienstleister

Als sich Placebo am Ende vor dem Publikum verneigen, erkennt man, als was die Band sich heute versteht. Nicht mehr als leidende Außenseiter, die durch androgyne Ausstrahlung gegen die gesellschaftlichen Werte aufbegehren, sondern als gefragter Dienstleister, der sich ganz dem eingängigen Entertainment-Rock für die breiten Massen verschrieben hat – ganz nach dem Motto: "Let me entertain you!"

Setlist

B3 | For What It's Worth | Loud Like Love | Twenty Years | Every You Every Me | Too Many Friends | Scene of the Crime | A Million Little Pieces | Speak In Tongues | Rob the Bank | Purify | Space Monkey | Blind | Exit Wounds | Meds / Song to Say Goodbye | Special K | The Bitter End | Teenage Angst | Running Up That Hill | Post Blue | Infra-red
 

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