"Heavy" ist das erste Soloalbum von Jochen Distelmeyer, der mit Blumfeld eine ganze Generation von Bands und Künstlern prägte. Mehr als zwei Jahre liegt die friedliche Auflösung der Formation nun zurück, die mit ihm als Kopf, Sänger und Gitarrist Musikgeschichte schreiben konnte und mit ihren Alben oft hitzige Debatten unter Anhängern sowie Kritikern entfachte. Ob Distelmeyer diesem Anspruch auch alleine gerecht werden kann, das ergründet unser Autor Daniel Nagel in seiner Rezension.

Drei Jahre nach Veröffentlichung des letzten Blumfeld-Albums "Verbotene Früchte" etabliert sich Jochen Distelmeyer mit Heavy endgültig als Solo-Künstler. Da sein Name jedoch stets mit seiner ehemaligen Band verbunden sein wird, stellt sich die Frage: Benutzt er sein Solodebüt, um sich von Blumfeld abzugrenzen oder sich gar neu zu erfinden? Man kann die Bedeutung von Blumfeld nur verstehen, wenn man sie als eine progressive, stetig voranschreitende Band begreift.

Jedes Album ergab sich logisch aus dem Vorgänger und selbst wenn man die Entwicklung nicht immer guthieß, spürte man doch, dass sie konsequent, nachvollziehbar und durchdacht war. "Heavy" bricht mit dieser Tendenz. Es spielt sich nicht als Weiterentwicklung, sondern als Rückgriff auf bewährte Topoi, Szenarien und Bilder. Die Balladen ähneln in musikalischer Hinsicht den Liedern von "Jenseits von Jedem", die schnelleren, rockigen Stücke tragen hingegen den härteren Sound der 1990er.

Natürlich gab es auch bei Blumfeld Muster und Elemente, die sich wiederholten. Aber als Hörer hatte man nie das Gefühl, hier werde nur Bekanntes wiederholt, aufgewärmt oder in leicht veränderter Weise neu gesagt. Das neue Album hingegen wirkt auf fast penetrante Weise redundant oder regressiv. Dem verunsicherten Hörer vermag Diestelmeyer keine Orientierung zu bieten. "Ich schau mich um und frag mich, was ich wirklich will," singt er in "Jenfeld Mädchen".

Was ist mit den Songs? "Hiob" ist einer der Tiefpunkte des Albums: "Meine Worte sind ungestümer Wind, geschrieben in den Staub der Erde" – diese Zeile könnte von Xavier Naidoo stammen. "Wohin mit dem Hass" lebt immerhin im Jetzt und nicht in der Vergangenheit. Im Versuch, eine Perspektive zu liefern und die eigene Rat- und Hilflosigkeit zu überwinden, macht das Lied sie aber nur noch offenkundiger. Mit dem "Rückzug ins Persönliche", wie es Gunther Reinhardt im Rolling Stone nennt, hat das nur wenig zu tun. Es ist eher Ausdruck einer Lebens- oder Schaffenskrise.

Die elegante und humorvolle Leichtigkeit der letzten beiden Alben ist Jochen Distelmeyer vollständig abhanden gekommen, stattdessen zeichnet sich "Heavy" durch eine oberflächliche Bedeutungsschwere aus. Da man das alles jedoch schon gehört zu haben glaubt, erscheint "Heavy" nicht rätselhaft und undurchschaubar, sondern erschreckend banal.

"Heavy" ist kein Album, das seine Stärken erst nach und nach offenbart, es trägt seine Unzulänglichkeiten offensiv vor sich her. Man hat zu keinem Zeitpunkt den Eindruck, hier wage ein Künstler einen Neuanfang oder erlebe einen Akt der Befreiung vom Ballast der Vergangenheit. Stattdessen beschwört uns Distelmeyer in "Lass uns Liebe" sein: "Komm und träum den Traum nochmal." Aber das funktioniert nicht, Jochen. Wir brauchen einen neuen Traum. 

Jochen Distelmeyer - Heavy | Columbia Berlin (Sony BMG)

Wertung: ++ 1/2 (Daniel Nagel)

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