Sigur Rós
Foto: Eva Vermandel (Juni 2008)

Sigur Rós Foto: Eva Vermandel (Juni 2008) © Eva Vermandel. Quelle: EMI

Sigur Rós stecken voller Überraschungen. Jede Tour offenbart neue Aspekte der Musik der vier Isländer. Vier ihrer Konzerte hat unser Autor schon erlebt – jedes lebte von einem ganz eigenen Charakter: 2001 in Karlsruhe dominierte der zwischen ruhigen Momenten und gewaltigen Ausbrüchen wechselnde Klang ihres Meisterwerks "Agaetis Byrjun", 2002 in der Kölner Philharmonie stand die Suche nach perfekter Schönheit im Mittelpunkt. Nur ein halbes Jahr später in Mainz erlebte das Publikum dagegen ein infernalisches Feedback-Getöse. Und nun, 2008 in Wiesbaden?

Das Konzert am vergangenen Dienstag im Wiesbadener Schlachthof stand wiederum unter anderen Vorzeichen. Sigur Rós haben in der Zwischenzeit ihren Sound subtil verändert und zeigen auf ihrem aktuellen Album Með suð í eyrum við spilum endalaust eine geradezu euphorische Leichtigkeit, die sich in beschwingten Rhythmen und verspielten Melodien offenbart. Gleichzeitig haben sie ihr Songwriting diszipliniert, gestalten es jetzt geradliniger und poppiger. Das hat selbstverständlich auch Auswirkungen auf ihren Liveauftritt.

Sigur Rós sind Perfektionisten, das spürt man in jeder Minute des Konzerts. Die Dynamik ist perfekt, die Instrumente großartig aufeinander abgestimmt. Sigur Rós präsentieren sich als Einheit, unabhängig davon, wie viele zusätzliche Musiker sie einsetzen: Sie bestechen durch die sinfonische Vielfalt der Klangfarben und durch die Fähigkeit Tempo und Intensität zu variieren. Darüber hinaus beeindruckt ihre Fähigkeit ein Lied aus einem ruhigen Beginn behutsam zu steigern, dann zu verharren und es schließlich zu einem gewaltigen, hymnischen Abschluss zu führen. Die helle, ungreifbare Stimme des Sängers John Thor Birgisson, ist dabei ein zentrales Instrument, sie ist untrennbar mit der Musik der Band verwoben.

{image}Sigur Rós streben in den langen Instrumentalpassagen nicht wie die Prog-Rock-Bands der 1970er nach dem virtuosen Solo, sondern nach dem genialen Gesamtklang. In dieser Fähigkeit sind sie fast unerreicht, sie schaffen magische Augenblicke voller Schönheit und Intensität. Schon seit vielen Jahren wird die Band bei ihren Liveauftritten von Streichern begleitet, inzwischen ist auch ein Bläserensemble hinzugekommen, das ihrer Musik eine zusätzliche Dimension verleiht. Dabei wirken sie nie angestrengt oder bemüht, sondern harmonisch und natürlich. Die Lieder des neuen Albums überzeugen durch ihre melodische Gradlinigkeit und ausgeprägte Rhythmik. Mit beschwingter Euphorie, die man von Sigur Rós bislang selten hörte, zelebrieren sie Gobbledigook und lassen zum Abschluss des regulären Sets sogar Konfetti auf die Zuschauer regnen.

Es überrascht allerdings etwas, dass Sigur Rós nicht weniger als sechs Lieder von ihrem vorletzten Studioalbum Takk und lediglich vier vom aktuellen spielen. Da Takk nicht ihr bestes Werk darstellt, hätte man sich in dieser Hinsicht mehr Ausgewogenheit – und das bedeutet mehr Songs von den älteren Werken – gewünscht. Darunter leidet der Auftritt etwas und deshalb wird es kein ganz herausragendes Konzert, sondern lediglich ein sehr gutes. Der Begeisterung des vornehmlich jungen Publikums im zu 4/5 gefüllten Schlachthof tut das keinen Abbruch. Anders als bei anderen Auftritten gibt es jedoch leider keine zweite Zugabe, doch immerhin zeigt sich die Band nochmals auf der Bühne und verbeugt sich tief unter dem immer noch anhaltenden Jubel des Publikums.

{image}Zum Abschluss ein Wort über die Ticketpreise: 2001 in Karlsruhe kostete der Eintritt etwas weniger als 17 Euro, 2002 in der edlen Kölner Philharmonie waren 25 Euro fällig, 2003 in der bestuhlten Phoenixhalle 23,50 Euro. Diesmal kostete der Eintritt 36 Euro. Das ist eine Steigerung um 50% im Zeitraum von 5 Jahren! Das ist keineswegs ein isoliertes Phänomen (und nicht notwendigerweise die Verantwortung des Schlachthofs), sondern Ausdruck der Tatsache, dass Bands nicht mehr von den Erträgen ihrer Plattenverkäufe leben können und daher immer mehr auf die Einnahmen der Tourneen angewiesen sind. Dazu kommt die allgemeine Preissteigerung sowie die gestiegenen Energiekosten, die natürlich auch die Kosten beispielsweise für Reisen erhöhen. Man kann nur hoffen, dass diese Entwicklung nicht dazu führt, dass sich immer mehr Musikfans den Besuch von Konzerten nicht mehr leisten können – wenn das nicht bereits der Fall ist.

Setlist: Svefn-g-englar – Sæglópur – Sé lest – Ný batterí – Við spilum endalaust – Gong – Andvari – Festival – Hoppípolla (+ Með blóðnasir) – Inní mér syngur vitleysingur – Hafsól –Gobbledigook

Zugabe: Popplagið

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