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The Notwist (live in Heidelberg, 2023) © Johannes Rehorst

The Notwist zählen zu den Urgesteinen der deutschen Indie-Szene. Ihre Kunst besteht darin, niemals stillzustehen und sich stets neu zu erfinden. So auch beim Tourauftakt im Karlstorbahnhof in Heidelberg.

The Notwist im Jahr 34 nach ihrer Gründung: Da ist die Gewissheit, sich über viele Jahre einen Ruf als exzellente Live-Band erarbeitet zu haben. Da sind unzählige Touren, Konzerte, kleinere Besetzungswechsel und immer wieder der Versuch, nicht stillzustehen, sich weiter zu entwickeln, neu zu erfinden.

Schwierig genug, doch weder allzu große Routine noch Abnutzungserscheinungen sind zum Tourauftakt im Heidelberger Karlstorbahnhof auszumachen – im Gegenteil: Die Bayern scheinen in sich selbst zu ruhen, haben ihre Balance gefunden und klingen dabei zeitgemäß und frisch wie der junge Frühling.

Vom Schrammel-Indie der frühen Jahren ist nicht mehr viel geblieben, statt dessen gibt es ausufernden Krautrock, Noise, Electro und die Band frönt immer wieder lustvoll der Dekonstruktion ihres eigenen Sounds.

Kurzweilig und spannend

Neben den Acher-Brüdern und Drummer Andy Haberl sind Cico Beck (Gitarre, Synths), Max Punktezahl (Gefrickel, Gitarre), Karl Ivar Refseth (Vibraphon) und erstmals auch Theresa Loibl (Bassklarinette, Melodica, Harmonium) mit von der Partie und starten entspannt in einen kurzweiligen und spannenden Abend.

Mit "Into Love/Stars" und "Exit Strategy to Myself" gibt es zum Warmwerden erst einmal Material vom aktuellsten Werk "Vertigo Days", bevor mit "Kong" der erste Kracher die Beine im wirklich gut gefüllten Saal zum Zucken bringt.

Wie ein Wolkenbruch

"Where you find me" ergeht sich in einer langen Synthesizer-Phrase, die wie ein Wolkenbruch über die Köpfe der Zuhörenden donnert. Das jazzige "Into the Ice Age" lässt hingegen Raum für die breite Instrumentierung, die in der exzellenten Akustik des neuen Karlstorbahnhofs erstaunlich ausgewogen und definiert ankommt.

Dass dabei der kommerziell wohl erfolgreichste Hit der Band "One with the Freaks" einmal mehr eher lieblos um die Ecke gerumpelt kommt, ist irgendwie fast schon verzeihlich, vielleicht gehört auch das zum Konzept.

Lust auf mehr

Höhepunkt des Sets ist "This Room", ebenfalls vom 2002er-Album "Neon Golden", das das Kollektiv zum wilden Noise-Inferno transformiert. Nachdem sich Theresa Loibl und Andy Haberl zum Grande Finale ein extrem dichtes Bassklarinetten-Schlagzeug-Duell geliefert haben, geht gefühlt ein Aufatmen durch das Publikum. "Gravity" beschließt den offiziellen Teil, bevor die Band mit einem sympathisch bescheidenen Danke erstmals die Bühne verlässt.

Auch das zeichnet The Notwist aus: Dass die Band nach über anderthalb Stunden immer noch Bock hat und die lautstark geforderte Zugabe gerne gibt. Zunächst mit dem altbewährten "Pilot", dessen Dekonstruktion man inzwischen perfektioniert hat: Nachdem Markus Acher sich selbst ganz klassisch von Vinyl sampelt, mutiert der Song zu einem wahren Ravemonster, um kurz vor Ende wieder in die bekannte Form zurückzufinden, als wäre nichts passiert.

Intakte Band

Wenn nach einem kurzen Abstecher in die Band-Frühzeit mit dem Noiserocker "Puzzle", in der Cico Beck von den Synths an die Gitarre wechselt, mit "Consequence" ein versöhnlicher und irgendwie fast schon routinierter Abschluss vor der Tür steht, kann es nur noch eine weitere Runde Zugaberufe geben.

Es folgen dann noch "Sans Soleil", wobei Micha Acher zum zweiten Mal an dem Abend zum Sousaphon greift und ergänzt von Theresa Loibls Bassklarinettenspiel ein Hauch Frankreich durch den Saal weht. Ein schöner Abschluss, der die ganze Band noch einmal als gut aufeinander abgestimmte Einheit erfahrbar macht.

Setlist

Into Love / Stars / Exit Strategy to Myself / Kong / Pick Up the Phone / Where You Find Me / Ship / Into the Ice Age / Who We Used to Be / One With the Freaks / This Room / Object 11 / Into Another Tune / Loose Ends / Gravity // Pilot / Puzzle / Consequence // Sans Soleil / 0-4

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