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The Notwist (live in Wiesbaden, 2014) © Johannes Rehorst

The Notwist verweigern sich der ewigen Tretmühle aus Album und Tour. Daher sind ihre Konzerte stets besondere Ereignisse, die von ihren Fans umso mehr herbeigesehnt werden. Bei ihrem Auftritt in Wiesbaden rechtfertigten sie die hohen Erwartungen.

Es gibt Bands, die touren sich den Hintern wund, veröffentlichen jedes Jahr ein neues Album und dann geht das ganze von vorne los. Und es gibt Bands, die es ruhiger angehen lassen, sich Zeit für eine Platte nehmen und eher wenige, aber dafür qualitativ hochwertige Konzerte geben.

The Notwist zählen eindeutig zu letzteren. Gerade ist nach sechs Jahren Wartezeit das aktuelle Album "Close to the Glass" erschienen. Derzeit sind die Weilheimer auf Tour, um den Nachfolger von "The Devil, You and Me" der geduldigen Hörerschaft vorzustellen. Eine der ersten Stationen war der Wiesbadener Schlachthof.

Vertraut und doch stets neu

Ein Notwist-Konzert hat immer etwas Familiäres an sich. Viel Altvertrautes, viele Erinnerungen, viel Wärme. Derselbe in sich ruhende Console, dem es irgendwie gelingt, seinem Kleinraumschiff mittels zwei Wii-Controllern die verschrobenstenen Frickeleien zu entlocken, ohne dabei im Entferntesten albern zu wirken.

Derselbe angenehm unaufgeregte Markus Acher, dessen Stimme jegliches Pathos fremd ist. Derselbe Micha Acher, der mal am Bass, mal am Synthesizer für die tiefen Töne sorgt. Und doch ist immer auch irgendwie alles ganz neu.

Einzigartiger Gesamtsound

Auf der Bühne definieren The Notwist ihren ganz eigenen Mikrokosmos: Eine Symbiose aus Kammermusik, technoiden Beats, knarzenden Loops, filigranen Popstrukturen und gelegentlichen Ausflügen in noisige Gefilde – all das verschmilzt nahtlos zu einem einzigartigen Gesamtsound.

Die Setlist in Wiesbaden bot einen guten Querschnitt durch das Werk: Anstatt den Schwerpunkt auf neue Songs zu legen, gab es viel "Neon Golden", einiges von "The Devil, You and Me" und die eingängigeren Songs der neuen Platte. Der ausdefinierte Sound überzeugt durchgehend: Jedes Sample, jeder Schellenkranzschlag und sogar die Maultrommel sitzen an der exakt passenden Stelle.

Symbiotische Einheit

Nach einem eher ruhigen Einstieg wird es zur Mitte des Sets hin elektronischer. Der Titeltrack des neuen Albums hat definitiv das Zeug zum Setlist-Dauerbrenner. "Pick up the Phone" kommt etwas energischer daher als auf Platte und "This Room" offenbart dann endgültig, warum The Notwist inzwischen zu den besten deutschen Live-Bands zählen.

Die sechs Musiker scheinen zu einer Einheit verschmolzen, in der jeder seinen festgelegten Part einnimmt, aber nahezu symbiotisch im Einklang agiert. Spätestens hier wird auch deutlich, was für ein Ausnahmemusiker mit Andi Haberl hinter den Drums sitzt. Als der Song nach gefühlten zehn Minuten in einer Orgie aus Loops, knisternden Beatpartikeln und Rauschen untergeht, atmet man unwillkürlich aus.

Soundexperimente

Das Highlight der zweiten Hälfte ist neben "Gloomy Planets" vor allem "Pilot": Es ist immer wieder spannend zu hören, wie eine Band mit dem eigenen Studiosound auf der Bühne experimentiert: Das Intro kommt wie gewöhnlich vom Plattenspieler und wird ohne erkennbaren Bruch in den Live-Sound eingepasst.

Beim leisen "Casino" spielte das Publikum leider nicht mit, der filigrane Song ging im Gesprächslärm nahezu unter – schade eigentlich. Dafür bekam Acher bei "Gravity" im Anschluss sogar vereinzelt Verstärkung – das war teilweise ganz gut so, denn stimmlich schien er zwischendurch nicht ganz auf der Höhe.

Aufgehende Herzen

Lange Zugaben sind bei den Bayern keine Seltenheit und so kam das Wiesbadener Publikum nach dem regulären Teil in den Genuss weiterer sechs Songs. Lediglich "One With The Freaks" wirkte im ersten Block etwas lieblos heruntergespielt, das wurde aber mit dem daran anschließenden "Run, Run, Run" vom neuen Album mehr als aufgewogen, das noch einmal mit voller Electro-Breitkante aufschlägt.

Bei "Consequence", einem der schönsten und unpathetischen Liebeslieder der deutschen Indie-Geschichte gehen Feuerzeuge an, Herzen auf und aus manchem Augenwinkel stiehlt sich sogar dezent ein Tränchen.

Zum Schluss dürfen dann auch die Die-Hard-Fans aufjubeln: Mit "Puzzle" und "One Dark Love Poem" aus der inzwischen schon über 20 Jahre zurückliegenden Sturm- und Drang-Phase der Band regierten kurzeitig Frau Noise und Herr Punk, bevor "Gone, Gone, Gone" dann – wie programmatisch – das endgültige Ende eines denkwürdigen Abends markiert.

Große Gefühle

Wenn sich Markus Acher dann, wie immer bescheiden bis zur Schmerzgrenze, in seiner liebenswert-schluffigen Art tatsächlich bedankt, dass man hier spielen durfte, möchte man ihn am liebsten knuddeln und sagen: "Ja, verdammt, bitte wieder und wieder!"“

Beim Verlassen des Saales höre ich einen Konzertbesucher sagen: "So nah wie die, geht mir keine Band." Falls er The Notwist meinte, kann ich das nur unterschreiben.

Setlist

Hands | Close to the Glass | Kong | Boneless | Pick up the Phone | Into Another | This Room | Gloomy Planets | Neon Golden | Pilot | Casino | Gravity

Zugabe: One with the Freaks | Run Run Run | Consequence | Puzzle | One Dark Love Poem | Gone, Gone, Gone

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