Trotz des wirklich schönen Coverfotos ist "People, Hell & Angels" eine eher überflüssige Compilation.

Trotz des wirklich schönen Coverfotos ist "People, Hell & Angels" eine eher überflüssige Compilation. © Sony Music

So gut wie alles, was Jimi Hendrix zwischen 1967 und seinem frühzeitigen Tod im September 1970 aufnahm, ist in irgendeiner Form hörenswert. Nach vier Dekaden befindet sich aber nur noch wenig unveröffentlichtes Studiomaterial in den Archiven, so dass Experience Hendrix und Sony für die neue Compilation „People, Hell and Angels“ manche Taschenspielertricks anwenden mussten. Das Ergebnis ist eine Veröffentlichung von zweifelhafter Qualität.

Die Marketingabteilung von Sony gibt sich alle Mühe, People, Hell And Angels vollmundig anzupreisen. Die Compilation zeige Hendrix‘ Willen zum "Experiment", da sie verschiedene Aufnahmen vereine, die er nach dem Auseinanderbrechen des berühmten "Experience" in den verschiedensten Besetzungen eingespielt habe.

Es stimmt natürlich, dass Jimi Hendrix nach der Trennung von Mitch Mitchell und Noel Redding mit zahlreichen anderen Musikern zusammenspielte. Die dauerhafteste Band, die daraus entstand, hieß "Band Of Gypsys" und bestand aus Billy Cox und Buddy Miles. Ihre einzige Veröffentlichung zu Hendrix‘ Lebzeiten war das gleichnamige Livealbum.

Die Suche nach einer neuen Band

Dass Hendrix darüber hinaus aber mit zahlreichen weiteren Musikern im Studio zusammenarbeitete, auf Tour ging und jammte, ist seit Ewigkeiten bekannt. Schon in den frühen 1970ern erschienen zahlreiche posthume Alben, die genau diese Tatsache dokumentierten.

Jimi Hendrix‘ musikalischer Alltag nach dem Auseinanderbrechen des "Experience" lässt sich sehr gut als Abfolge von Experimenten begreifen, als Suche nach einer neuen dauerhaften Band, die sich zur Verwirklichung seiner Pläne eignete. Bis zu seinem Tod fand er eine solche Formation jeweils nur für kurze Zeit.

Nur eine weitere Veröffentlichung

Es besteht also eigentlich kein Grund, jede neue Veröffentlichung aus dem Nachlass des berühmten Gitarristen mit einer erfundenen Geschichte zu legitimieren. People, Hell und Angels sollte man einfach als das nehmen, was es ist: eine weitere Veröffentlichung von mehr oder minder obskuren Hendrix-Aufnahmen. Ein Konzept ist nicht im Ansatz zu erkennen.

Wie tief aber auf People, Hell & Angels der Boden des Fasses ausgekratzt wird, zeigt die Tatsache, dass sich darauf zwei Songs finden, die in anderen Versionen auch auf Valleys Of Neptune, der letzten Zusammenstellung von Studioaufnahmen (und auf vielen weiteren Veröffentlichungen) vertreten waren.

Premiere der "Band Of Gypsys"

Während die neue Version von Here My Train A Comin‘ immerhin mit exzellentem Gitarrenspiel aufwarten kann, reicht die enttäuschend zahme Aufnahme von Bleeding Heart nicht die ganz andere, weitaus eigenständigere Interpretation auf Valleys Of Neptune heran – von der auf South Saturn Delta ganz zu schweigen.

Beide Songs stammen im Übrigen aus der ersten Studiosession der "Band Of Gypsys", während Bleeding Heart auf Valleys Of Neptune mit den "Cherry People" eingespielt wurde. So viel zur Theorie, die neue Zusammenstellung stelle Hendrix‘ Experimente mit anderen Musikern in den Mittelpunkt.

Recyceltes Material

Earth Blues, das People, Hell und Angels einleitet, ist ein weiteres Beispiel für das Recyceln von Material. Es handelt sich um dasselbe Take, das bereits auf der Purple Box verwendet wurde, allerdings ohne spätere Gesangs- und Gitarren-Overdubs. Dadurch besitzt es nicht nur einen anderen Text, sondern auch eine andere, entspannte Stimmung, die durchaus reizvoll ist.

Somewhere ist textlich und musikalisch ein enger Verwandter von Earth Blues. Es ist ebenfalls nicht neu: Ein Take derselben Aufnahmesession von März 1968 (einschließlich einiger späterer Overdubs von Mitch Mitchell) fand seinen Weg auf die Purple Box.

Die Version auf People, Hell und Angels, von Sony in einem Akt offensichtlicher Verzweiflung als Single auserkoren, wird nur durch Hendrix gewohnt herausragendes Gitarrenspiel über den Rang eines gewöhnlichen Studiodemos erhoben.

Um eine komplette Performance zu erstellen, kombinierte Eddie Kramer verschiedene Takes und verwendete dazu die bereits von der Purple Box bekannte Gesangsspur. Sind solche Taschenspielertricks wirklich nötig?

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Hendrix als R&B-Sideman

People, Hell And Angels enthält auch zwei Beispiele für Aufnahmen, in denen Hendrix letztlich als Sideman für R&B-Stücke fungiert. In Mojo Man übernimmt Jugendfreund Albert Allen die Rolle des Frontmans. Hendrix mag sich alle Mühe geben, das Stück auf eine höhere Ebene als der des damals gängigen R&Bs zu erheben, aber wirklich erfolgreich ist dieser Versuch nicht.

Lonnie Youngbloods Let Me Move You bietet immerhin eine energetische, leidenschaftliche Performance, aber insgesamt handelt es sich um einen lediglich zweiklassigen Song, der mehr als interessante Kuriosität denn als echte Entdeckung zu bezeichnen ist.

"Gypsy Sun & Rainbows"

Spätestens seit der Purple Box ist bekannt, dass Jimi Hendrix mit seiner Woodstock-Band "Gypsy Sun & Rainbows" auch im Studio die Komposition Izabella aufnahm, aber nie in einer Weise, die ihm wirklich zusagte.

Die neue Version ist anders, aber reichlich zäh und verdeutlicht, warum Hendrix sich bald wieder von der um zwei Perkussionisten und einen zweiten Gitarristen erweiterten Band verabschiedete: sie ließ den notwendigen Fokus vermissen.

Bevor das geschah, spielte Hendrix mit "Gypsy Sun & Rainbows" allerdings ein hervorragendes, jazziges Blues-Instrumental namens Easy Blues ein. Das Stück wurde in einer kürzeren Version zuerst im Jahr 1980 auf Nine To The Universe, einer Zusammenstellung von Jams, veröffentlicht und bereichert nun People, Hell & Angels, obwohl die Aufnahme besser auf die Dagger-Veröffentlichung Hear My Music gepasst hätte.

Dubiose Qualität

Crash Landing ist hingegen ein Stück von dubioser Qualität. Das liegt nicht nur daran, dass Gesang und Musik teilweise asynchron sind, sondern auch an den banalen Abrechnungs-Lyrics, die Hendrix über einen ungelenken Instrumentalpart singt.

Inside Out und Hey Gyspy Boy sind nichts weiter als frühe Skizzen von Ezy Ryder und Hey Baby (Land Of The New Rising Sun), letzteres mit Gesang. Angesichts des offensichtlichen Übungscharakters fällt es schwer, ihnen nennenswerten musikalischen Wert zu attestieren.

Wenig Highlights, viel Leerlauf

Trotz einiger guter Performances sattsam bekannter Lieder wie Earth Blues und Here My Train A Comin‘  und dem hörenswerten Easy Blues ist People, Hell And Angels eine Compilation mit nur wenigen Highlights, aber viel Leerlauf.

Wenn nicht mehr ausreichend Studiomaterial vorhanden sein sollte, um dem Bild eines der kreativsten und innovativsten Musiker der damaligen Zeit etwas Nennenswertes hinzuzufügen, dann ist es Zeit, die Veröffentlichungspolitik grundlegend zu überdenken.

Wertung: ++1/2 (von +++++)

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