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Nibelungen-Festspiele: Siegfrieds Erbe (live in Worms 2018) © Rudi Brand

Im Jahr vier nach Dieter Wedel gelingt den Nibelungen Festspielen in Worms unter der Intendanz von Nico Hoffmann der Befreiungsschlag: "Siegfrieds Erben" ist ein düsterer Sprung in den Abgrund, der mit einer nachvollziehbaren Handlung, glaubwürdigen Charakteren und großartiger Musik punktet.

"Siegfrieds Erben", geschrieben von Feridun Zaimoglu und Günter Senkel, wirft eine ebenso logische wie offensichtliche Frage auf: Was passiert mit dem Burgunderreich, nachdem die gesamte Herrschaftsschicht beim Gemetzel am Hunnenhof ausgelöscht wurde? 

Unter dem Eindruck einer Schamanin überwindet Hunnenkönig Etzel seine Trauer um seinen ermordeten Sohn Ortlieb und beschließt nach Worms zu ziehen, um das Burgunderreich an sich zu reißen. Zur Untermauerung seiner Erbansprüche entfesselt er den "Hunnensturm", denn es geht ihm nicht wirklich um das Erbe, sondern um Rache.

Die Krise am Hof der Burgunder

Damit ist der Hauptaspekt des Stückes beschrieben – und das ist ein Vorteil. Trotz komplizierter Verwandtschaftsverhältnisse bleibt die Handlung von "Siegfrieds Erben" glaubwürdig und gradlinig. 

Das ehemals glorreiche Burgunderreich in Worms ist längst verfallen. Brunhild und ihr Sohn Hildebrand hausen gemeinsam mit der alten Königsmutter Ute in einer heruntergekommenen Burg. Zudem fordert die niederländische Verwandtschaft in Form von Siegfrieds Eltern König Siegmund und Königin Sieglinde das Burgunderreich als Erbe für Siegfrieds Kinder Swanhild und Gunther. Aber als handelstreibender Niederländer ist man stets für einen Deal offen.

Etzel, das Alphatier

Etzel, überzeugend gespielt von Jürgen Prochnow, ist kein wahnsinniger Schlächter, sondern agiert methodisch. Er vermag brutal morden zu lassen, benutzt aber hauptsächlich psychologische Mittel, um sein Bedürfnis nach Rache zu befriedigen.

Im Bewusstsein seiner Stärke demütigt er die verbliebenen Burgunder und unterwirft die hilflosen Holländer seinem Willen. Dabei bedenkt er nicht, dass Gewalt wiederum Gewalt hervorbringt, die auch vor Etzels Hunnen nicht haltmachen wird.

Die Schattenseiten des Christentums

Etzel benutzt zudem seine Vertrautheit mit dem Christentum, um die christliche Moral seiner Gegenüber zu hinterfragen. Immer wieder hält er ihnen vor, dass die Religion des "Wanderpredigers" lediglich eine Legion an Eidbrechern, Opportunisten und Heuchlern hervorgebracht hat. Der durchsichtig agierende Pfaffe ist dabei noch die harmloseste und lächerlichste Figur.

Auch Brunhild, eindrucksvoll gespielt von Ursula Strauss, vermag die Schattenseiten des Lebens am Wormser Burgunderhof eindrucksvoll zu schildern. Ihre Vergewaltigung durch Gunther bzw. Siegfried resultierte in der Geburt ihres Sohnes Burkhardt, um dessen Leben sie nun kämpfen muss.

Einfach, aber effektiv

Das alles inzeniert der Schweizer Regisseur Roger Vontobel mit seinem Team auf minimalistische Weise, in der der Dom eine erfreulich wichtige Rolle spielt, anstatt nur als Fassade zu dienen. Das Bühnenbild macht Verfall und Untergang auf simple, aber effektive Weise erfassbar. Dafür sorgen auch die Videoleinwände, die sehr gelungen die Emotionen der Schauspieler illustrieren.

Das Ensemble überzeugt fast durchweg, nur Jimi Blue Ochsenknecht ist auf sympathische Art und Weise mit seiner ersten Theaterrolle überfordert. Manchmal hätte man den Schauspielern fast noch etwas mehr Zeit gewünscht, ihre Charaktere zu entwickeln. 

Ein Blick in den Abgrund

Besondere Erwähnung verdient die ausgezeichnete Musik, schon in den vergangenen Jahren stets eine Stärke der Nibelungenfestspielen. Es ist kein Zufall, dass der in der Mongolei geborene, aber in Karlsruhe lebende Kehlkopfsänger Enkhjargal Dandarvaanchig, dessen Gesang die Handlung wunderbar untermauert, von allen Akteuren den meisten Applaus erhält.

"Siegfrieds Erben" ist dennoch natürlich kein leichtes Sommertheater. Das liegt natürlich zum einen am Stoff, aber auch an der dialoglastigen Natur des Stücks, das von den Zuschauern Aufmerksamkeit einfordert. Diese belohnt es aber mit einem spektakulären Blick in den Abgrund menschlicher Existenz. 

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