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Swans (live in Heidelberg, 2017) © Johannes Rehorst

Ein Konzert der Swans ist vor allem eines: laut. Anlässlich ihrer Abschiedstour spielt die Gruppe um Michael Gira auch ein Konzert in der Heidelberger halle02 - und liefert eine fast dreistündige, gehörganggefährdende Erfahrung.

Als Kind haben meine Eltern mir eine "Klassik für Kinder"-Kassette geschenkt, was sicher pädagogisch wertvoll war. Am nachhaltigsten beeindruckte mich darauf aber der Anfang, die Einstimmung des Orchesters. Aus einer Vielzahl disharmonischer Töne fügte sich nach und nach ein einzelner Wohlklang auf 440 Hertz zusammen.

Ein Konzert der Swans ruft auf eine verzerrte, invertierte Art dasselbe Gefühl hervor. Die Gruppe um Frontmann und Kernstück Michael Gira erzeugt auf der Bühne brachial laute Gewaltmusik, die nicht ferner von althergebrachten Liedstrukturen und Harmonielehren angesiedelt sein könnte. Dennoch ist diese Musik keinesfalls willkürlich zusammengeschustert, sondern sorgfältig komponiert, mit jedem Ton an genau der passenden Stelle.

Ehrenrunde

Doch zunächst ein paar Worte zum Anlass. Nachdem die Swans sich 2010 nach einer mehr als ein Jahrzehnt andauernden Pause wieder zusammengefunden hatten, tourte und produzierte die Band, was das Zeug hielt. Vier Studio- und vier Livealben haben die Swans in den sieben Jahren seit der Wiedervereinigung veröffentlicht. Doch damit ist nun Schluss.

Eigentlich sollte schon die letztjährige Tour die letzte sein, doch aufgrund der großen und positiven Resonanz entschied Mastermind Michael Gira, die Tour um ein weiteres Jahr zu verlängern. Daher wurde auch Heidelberg zum Tourziel bestimmt, was Swans-Fans in der Rhein-Neckar-Region erfreute.

"This is for the bees."

Eröffnet wird der Abend von Baby Dee, die die Swans bereits letztes Jahr live unterstützte. Die amerikanische Songwriterin spielt im Kern Folk, der aber sowohl durch die Texte über väterliche Gewalt oder den Tanz der Bienen, wie auch das exzentrische Auftreten der Sängerin angereichert werden.

Der Qualität der Musik schadet das aber nicht. Baby Dee überzeugt vor allem durch ihre Stimmgewalt. Dennoch könnte das Vorprogramm im Vergleich zu den Swans kontrastreicher nicht sein. Der Auftritt besteht nur aus Gesang, Akkordeon und Akustikgitarre und ist gerade eine knappe Dreiviertelstunde lang.

Wegen der Sicherheit

Der Auftritt der Swans beginnt nach einer kurzen Umbaupause. Noch während die Band unter Applaus die Bühne betritt, versehen sich die meisten Besucher mit den am Eingang verteilten Ohrstöpseln. Zwar ist es bei Rockkonzerten generell ratsam, seine Gehörgänge zu schützen, bei den Swans aber wird aktiv darauf hingewiesen und -gewirkt. Dass dies nicht aus maskuliner Rock-Eitelkeit geschieht, sondern weil die Musik es erforderlich macht, versteht sich von selbst.

Die Setlist orientiert sich weitestgehend am im Mai erschienenen Live-Album "Deliquescene". Dementsprechend ist der erste Song sage und schreibe 53 Minuten lang. Hier zeigt sich das eingangs beschriebene Phänomen des Orchestergrabens. Die Bandmitglieder stimmen auf Anweisung Giras nach und nach in die ohrenbetäubende Symphonie ein, die sich zunehmend zu einer sinusartigen Rückkopplungsspirale entwickelt.

Klang sucht Körper

Der Konzertbesuch ist so mehr als nur ein akustisches Erlebnis. Durch die schiere Lautstärke und die Wucht der Klangwellen wird der eigene Körper zum Schallraum, verschwimmt die Wahrnehmung der eigenen Körperlichkeit, nehmen die Bassschwingungen die Luft zum Atmen. Dies ist die Art, wie die Band mit dem Publikum interagiert.

Gira ist verhältnismäßig kurz angebunden, aber auf seine eigene Art und Weise herzlich. Als die Technik nach dem ersten Song das Licht im Saal zum Applaus aufhellt, weist Gira an, die Helligkeit beizubehalten. Das Konzert fungiert so als gemeinsames Erlebnis von Band und Publikum. Neben der akustischen verschwimmt so auch die visuelle Grenze.

Bildgewaltig

Auf der Bühne selbst wechselt Gira zwischen seinen Funktionen als Musiker und gewissermaßen als Dirigent. Es ist bemerkenswert, wie ohne traditionelle Songstrukturen jeder Einsatz trifft. Dies ist sicher der Professionalität der Musiker zu verdanken, aber eben auch der zentralen Stellung, die Gira in der Band einnimmt. 

Mit mal subtilen, mal überbordenden Handbewegungen beschwört er die einzelnen Fasern der Musik, lässt sie in Spiralen aufsteigen, in Wellen branden, mal langsam oder mal abrupt verklingen. Obwohl die Band im Mittel derart laut spielt, geht so die Dynamik nicht verloren. Einzeln verstreut finden sich in den Liedern Verschnaufpausen.

An die Grenzen der Physis

Diese sind auch bitter nötig. Obwohl die Art der Musik nicht zur übermäßigen Bewegungen anregt – eine Ausnahme bildet beispielsweise der zweite Teil des Stücks "The Glowing Man" – wird die körperliche Konstitution der Besucher in Mitleidenschaft gezogen. Zum einen geschieht das durch die bereits mehrfach erwähnte Lautstärke, zum anderen aber auch schlicht und ergreifend durch die Länge des Auftrittes.

Fast drei Stunden begehen die Swans ihre Lautstärke-Zeremonie auf der Bühne. Zwischen den einzelnen Liedern gibt es dabei keine Pausen. Es ist aber auch ein Auftritt, der dem Abschied dieser Band würdig ist. Nachdem die letzten Töne verklungen sind, betritt die ganze Band den Bühnenrand und wird von Gira vorgestellt. Unter tosendem Applaus verbeugen sie sich. Die Swans verstehen, dass ein Konzert mehr ist, als auf einer Bühne ein paar Töne von sich zu geben. Im Idealfall ist es eine Einheit aus Band, Publikum, Raum und Klang.

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