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Impressionen von Samstag (Rock am Ring, 2017) © Peter H. Bauer

Nachdem die Fortsetzung des Festivals beschlossen ist, präsentieren sich am zweiten Tag der Rückkehr an den Nürburgring gut gelaunte, weitgehend aus deutschen Landen stammende Bands wie der Headliner Die Toten Hosen einem bestens aufgelegten Publikum bei Rock am Ring. Nur ein Wermutstropfen bleibt: Der ausgefallene Auftritt von Rammstein am Freitag wird endgültig abgesagt.

Als der rheinland-pfälzische Innenminister Roger Lewentz und die örtlichen Polizeibehörden auf einer kurzfristig anberaumten Pressekonferenz die terroristische Gefährdungslage für nicht mehr gegeben erachten und das Festivalgelände wieder freigeben, ist das Aufatmen überall groß. Gerade Veranstalter Marek Lieberberg, dem man nach seiner kurzen Nacht sowohl die Anspannung als auch die Erschöpfung bei der Bekanntgabe der Fortsetzung ansieht, zeigt sich erleichtert.

Was sich leider im Laufe des Nachmittags ebenso herausstellt, ist die Tatsache, dass der eigentlich für Freitag eingeplante Headliner Rammstein – entgegen Spekulationen selbst aus inneren Kreisen über einen möglichen Nachholtermin am Montag – in diesem Jahr bei Rock am Ring nicht mehr zu sehen sein wird. "Trotz intensivster Bemühungen gelang es den Verantwortlichen nicht, einen nachträglichen Auftritt personell und logistisch zu realisieren", heißt es in einer Presseinformation.

Das Ringfieber ist zurück

Trotz der Unterbrechung beginnt das Programm auf den Bühnen pünktlich. So können auch die Donots ihren Auftritt auf der Center Stage zum ursprünglich geplanten Zeitpunkt in Angriff nehmen. Bereits beim Beginn ihres Konzerts spielen sie vor vollem Haus, denn das Publikum ist ebenso erpicht darauf, sich nach den Strapazen des gestrigen Tages und der vergangenen Nacht endlich wieder auf das konzentrieren zu können, was Rock am Ring ausmacht – Musik und gute Laune.

Selbstverständlich lassen sich die Alternative-Rocker eine Äußerung über die turbulenten letzten 24 Stunden ebenso wenig nehmen wie eine Ansage über die Rückkehr des Festivals an seine alte Wirkungsstätte auf der Rennstrecke in der Vulkanischen Hocheifel. Dabei schneiden sie auch solche Themen wie die alteingesessenen Dixi-Klos und die "scheiß Tribüne" an. Die Donots kennen sich mit dem Gelände eben aus. Immerhin gehören sie bei Rock am Ring mittlerweile sozusagen zum Inventar.

"Herr Lieberberg, können Sie bitte noch einen Tag dranhängen?" fragt Frontmann Ingo Knollmann vor versammelter Mannschaft und erntet nicht nur dafür die Zustimmung der Fans. Musik gibt es natürlich auch, und so präsentiert die Band aus Ibbenbüren neben alten Hits wie "Calling" und "Stop The Clocks" mit "Kaputt/Beton" außerdem eine Zusammenarbeit mit der Antilopen Gang, die sich dafür extra auf der Bühne blicken lässt, sowie das obligatorische Twisted Sister-Cover "We’re Not Gonna Take It".

Wirtz wohl?

Bestand bereits das Set der Donots zur Hälfte aus deutschsprachigen Songs, so konzentriert sich Daniel Wirtz vollkommen auf solche Texte. Zusammen mit seinen drei Mitstreitern liefert der Sub7even-Sänger den zahlreich vertretenen Zuschauern stimmungsvolle Rockstücke, die weitgehend von seinen ersten beiden Alben "11 Zeugen" und "Erdling" stammen. Man merkt dem Wahl-Frankfurter spürbar an, wie sehr er sich über die Chance freut, vor einem so großen Publikum spielen zu dürfen.

Die Ringrocker nehmen seine gelungene musikalische Darbietung auch durchaus wohlwollend zur Kenntnis. Allerdings entsteht bei seinem Auftritt nicht ganz die euphorische Stimmung wie bei den Donots oder – an späterer Stelle – etwa den Broilers und den Beatsteaks. Dafür erntet er für das abschließende "Frei" mit Pyrosalven und sein Plädoyer, an die vielen Menschen zu denken, die in schlimmen Situationen steckten und nicht ansatzweise so ungezwungen feiern könnten, viel Applaus.

Gestillter Nachholbedarf

Schwer umjubelt ist dann auch der Auftritt der Broilers, die ja am Vortag die musikalisch Leidtragenden waren, wurde ihre eigentlich für dieses Wochenende geplante Performance durch die Ansage der vorübergehenden Unterbrechung des Festivals doch jäh unterbrochen. Komplett nachholen können die Düsseldorfer ihr Set nicht, aber immerhin wird ihnen kurzfristig eine Stunde Zeit im Spielplan zur Verfügung gestellt, damit die Fans dennoch in den Genuss ihres kompletten Auftritts kommen.

Wie nicht anders zu erwarten, äußert sich Frontmann Sammy Amara im Laufe des Konzerts gleich mehrfach zu der terroristischen Gefährdung, die zu der ungeplanten Auszeit führten. Er wettert gegen alldiejenigen, die solche Ereignisse für ihre ganz eigenen Zwecke instrumentalisieren, und erhält dafür großen Zuspruch des zu Songs wie "In 80 Tagen um die Welt", "Nur nach vorne gehen" und "Bitteres Manifest" geradezu enthusiastisch abgehenden, herumhüpfenden und mitsingenden Publikums.

Während der nachgeholten Stunde gibt es prominenten Besuch auf dem Dach der "scheiß Tribüne". Sänger Campino vom Samstags-Headliner Die Toten Hosen lässt sich blicken und begeistert die dort anwesenden Rollstuhlfahrer und zahlreiche andere Fans, mit denen er sich gemeinsam ablichten lässt. Für viele ist es mit Sicherheit ein Höhepunkt in ihrem Leben, ihrem Idol so nahe zu kommen. Auf jeden Fall ist es eine sehr nette Geste und zeugt von der weiterhin vorhandenen Fannähe der Düsseldorfer.

Ein fast privates Ambiente

Nachdem die Broilers beim Nachsitzen das Publikum für den unschön beendeten Auftritt am Freitag mehr als kompensiert und entsprechend angeheizt haben, geben sich die Beatsteaks die Ehre auf der Center Stage. Auch die vier Berliner entfalten bei Songs wie "Let Me In" eine gehörige Masse an tanzbarer Live-Energie. Als die Pressefotografen die Fläche unterhalb der Bühne verlassen, begibt sich Sänger Armin Teutoburg-Weiß dorthin und steht beinahe im Publikum: "So, jetzt sind wir fast privat."

Ebenso wie die Donots haben sich die Beatsteaks nicht lumpen lassen und Gäste zu Rock Am Ring mitgebracht. Der englische Songwriter Jamie T. unterstützt die Band aus der Hauptstadt bei ihrem neuen Song "Hate To Love". Zudem besinnt sich das Quartett auf seine Wurzeln und zollt diversen ihrer Heroen, wie beispielsweise Iggy Pop durch das Anspielen seines Klassikers "The Passenger", entsprechend Tribut. Dass diese dabei recht vielseitig ausfallen dürfen, macht ihnen wenig aus.

Für einen Kontrast zum sonstigen Beatsteaks-Programm sorgt das von Gitarrist Peter Baumann im berlinerischen Dialekt wiedergegebene, durch Sido zu Bekanntheit gelangten Ilona Schulz-Stück "Hey Du (Du bist schön, auch wenn Du weinst)". Das Publikum geht jede Silbe des Liedes mit und sorgt damit für einen echten Gänsehautmoment auf dem Festivalgelände. Natürlich bleibt es aber nicht bei solchen leisen Zwischentönen. Schon bald gehen die Alternative Rocker wieder zur härteren Gangart über.

Keine Macht den Störern

Am brachialsten gestaltet sich dabei wahrscheinlich das der verstorbenen Ikone Lemmy Kilmister gewidmeten "Ace Of Spades". Denn "Motörhead waren immer bei Rock am Ring, wenn die Beatsteaks da waren" – und das Publikum rockt völlig begeistert dazu ab. Softer wird es hingegen wieder, als Sänger Teutoburg-Weiß "Easy" von den Commodores mit synthetischer Begleitung anstimmt, um die seiner Aussage nach "beste Band des Universums" auch dementsprechend namentlich vorzustellen.

Als die Beatsteaks das Publikum mit einem kurz im Reggaegewand angespielten "Wünsch DIR was" auf den Headliner des Abends eingestimmt haben, geben sie den Fans noch eine klare Aufforderung mit auf den Weg: "Macht Euch stark gegen Nazis, macht Euch stark gegen Arschlöcher. Haltet nicht die Fresse." Dem Terror zu trotzdem ist das Motto des Tages am Nürburgring, und begeisterter Jubel ist die Folge, wann immer sich die Bands auf der Bühne dazu äußern. So auch bei dieser Ansage.

Urknall im Regen

Beinahe pünktlich zum Highlight des Samstags setzt der für Rock am Ring schon fast obligatorische Regen ein. Die Zuschauer stört das aber wenig, denn Die Toten Hosen beginnen im wahrsten Sinne des Wortes mit einem echten "Urknall" der Euphorie. Die aktuelle Tournee mag vielleicht "Zurück auf den Bolzplatz" heißen – aber vor einem Publikum in Stadiongröße wissen die Düsseldorfer bis heute noch so zu imponieren, als würden sie dort auf dem heimischen Fußballfeld direkt vor einem stehen.

Auch wenn die legendären Rheinländer als zweites Stück "Auswärtsspiel" folgen lassen, fühlt es sich für die Kultband bei Rock am Ring doch wohl eher fast wie zu Hause an, gehören sie doch – ebenso wie die Donots und die Beatsteaks – zu den Stammgästen auf der Rennstrecke. So begibt sich Frontmann Campino bald erneut in die Nähe seiner Fans am vorderen Bühnenrand, auch wenn er sich dieses Mal nicht, wie beim Auftritt im Jahr 2000, einmal quer über das Publikum zum Boxenturm tragen lässt.

Deutschsprachiges Liedgut zum Mitsingen

Wie bereits etliche Bands am Festivalsamstag vor ihnen, huldigen auch die Toten Hosen einigen ihrer Helden – so zum Beispiel Liedermacher-Ikone Hannes Wader, dessen legendäres "Heute hier, morgen dort" sie in einer punkigen, aber energiegeladenen Version darbieten. Auch ihr neues Stück "Unter den Wolken" ist laut Campino eine Art legitime Weiterführung von Reinhard Meys "Über den Wolken", stellt aber irgendwie eher eine Art rotzigen Gegenentwurf zum poetischen Klassiker des Berliners dar.

Natürlich sorgen die Hosen aber wieder für viele Mitsingmomente, die in der Anfangsphase ihres Auftritts wohl bei "Bonnie & Clyde" und "Altes Fieber" am ausgeprägtesten vorhanden sein dürften. Mehrere zehntausend Kehlen gehen bei den Texten lauthals mit. In diese Reihe gesellt sich aber ebenso problemlos das neue Stück "Wie viele Jahre (Hasta la muerte)" vom aktuellen Album "Laune der Natur" ein, von dem die Düsseldorfer den Zuschauern am Nürburgring gleich sechs Nummern präsentieren.

Wie benebelt

Feuerwerk in Stadionmanier darf bei einem Toten Hosen-Konzert selbstverständlich auch nicht fehlen. Während "Pushed Again" steht das gesamte Festivalgelände im Nebel – und das nicht etwa wegen des inzwischen stärker gewordenen Regens, sondern aufgrund der vielen bengalischen Fackeln. Es ist fast so, als hätten sich die Altrocker an ihrer eigenen Textzeile aus "Urknall" orientiert und "all die Pyrotechnik von Rammstein aufgekauft", um für den ausgefallenen Freitagsgig zu entschädigen.

Bei "Steh auf, wenn Du am Boden bist" greift sich Campino schließlich einen Camcorder und filmt die begeistert mitsingende Menge mitsamt des in ihrer Mitte wehenden Fahnenmeeres. Nachdem der neue Song "Wannsee" passend auf die Wassermengen von oben eingestimmt hat, sorgt das kurz darauf folgende "Alles aus Liebe" dann für ein geradezu romantisches Intermezzo im Ringregen, inklusive der trotz der Nässe enthusiastischen Chorgesänge des Publikums.

Rockige kulturkritische Zwischentöne

Nun wollen die Toten Hosen rocken. Der zu diesem Zweck gespielte Doppelschlag aus "Wünsch DIR was" und "Hier kommt Alex" mutet angesichts der aktuellen Lage aber beinahe schon wie eine Art Kulturkritik an. Die Hoffnung, dass "Gut über Böse siegt", lässt sich als Ansage an die Gefährder vom Freitag deuten, während "das allabendliche Fernsehbild" der abgestumpften Massen in der Geschichte von Burgess‘ Droogs seine Fortsetzung in den Displays der smarten Mobiltelefone gefunden hat.

Selbstverständlich liegt den Hosen aber an diesem Abend nichts ferner, als intellektuell werden zu wollen. Bei Rock am Ring geben sie sich volksnah. Während "Hier kommt Alex" stehen die Saitenmänner Andi, Breiti und Kuddel direkt vor den ersten Reihen des Publikums und überlassen Campino die große Bühne – der sich als altbekannter Gegner des wohl bekanntesten Münchener Fußballvereins bei "Zehn kleine Jägermeister" einen Seitenhieb auf Uli Hoeneß nicht verkneifen kann.

Tote Hose? Nein, die Toten Hosen!

Zu Beginn des Zugabenteils gehen die Düsseldorfer dann ganz weit zurück in ihrer Bandgeschichte. "Ich habe vorher Pornos auf Ibiza gedreht", gibt Campino freimütig – und natürlich nicht ganz ernst gemeint – vor dem Klassiker "Eisgekühlter Bommerlunder" zu. Anschließend arbeiten sich die Toten Hosen durch mehrere Coversongs von Bands, die sie einst inspiriert haben. Auf "Halbstark" von den Yankees folgt "Hang On Sloopy" von den McCoys, bevor die Rheinländer erneut kurz die Bühne verlassen.

Das ist aber freilich nicht alles. Inzwischen gehört es zum guten Ton, dass bei einem Konzert der Toten Hosen irgendwann das zum meistgespielten Lied auf Beerdigungen mutierten "Tage wie dieser" und der Fußballklassiker "You’ll Never Walk Alone" kommen müssen – und genau damit verabschieden sich die Düsseldorfer nach einem fulminanten zweistündigen Auftritt, natürlich nicht ohne zusammen mit den Fans gleich mehrfach "Wir sind der Ring" skandiert zu haben.

Das gilt für die Toten Hosen nämlich ebenso wie für das großartige Publikum, das sich vom chaotischen Beginn des Festivals weder hat einschüchtern noch die Laune verderben hat lassen. Ein gelungener Samstag endet trotz der Enttäuschung ob des Rammstein-Ausfalls nach vielen inspirierten Auftritten und einer fantastisch mitgehenden Menge mit einem Hochgefühl und der Hoffnung auf mehr davon am Festivalsonntag mit Acts wie System Of A Down und den Prophets Of Rage.

Setlist der Toten Hosen

Urknall / Auswärtsspiel / Du lebst nur einmal (vorher) / Laune der Natur / Heute hier, morgen dort / Liebeslied / Das ist der Moment / Bonnie & Clyde / Altes Fieber / Wie viele Jahre (Hasta la muerte) / Pushed Again / Alles wird vorübergehen / Energie / Unter den Wolken / Steh auf, wenn Du am Boden bist / Wannsee / Alles aus Liebe / Wünsch DIR was / Hier kommt Alex / Zehn kleine Jägermeister / Schönen Gruß, auf Wiederseh’n // Eisgekühlter Bommerlunder / Freunde / Halbstark / Hang On Sloopy // Madelaine (aus Lüdenscheid) / Tage wie diese / You’ll Never Walk Alone