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David Garrett (live in Hamburg, 2016) © Falk Simon

Wenn David Garrett auf Recital-Tour geht, werden die großen Arenen Deutschlands gegen stimmungsvolle Konzertsäle getauscht und das klassische Programm ausgepackt, mit dem der "Teufelsgeiger" aufgewachsen ist. Im Rosengarten in Mannheim beweist er, dass sein beeindruckendes Geigenspiel keinerlei ablenkender Show bedarf.

Mit dem "Soundtrack meines Lebens" führt David Garrett durch den Abend, an dem er die Klassiker der Violinliteratur präsentiert, die ihn seit seinem vierten Lebensjahr begleiten.

"Soundtrack meines Lebens"

David Garrett betritt betont lässig die Bühne und beginnt den Abend mit der Ankündigung, dass er momentan mit seinen "bereits" 35 Jahren an einer Autobiographie arbeitet. Verglichen mit seiner fast 30-jährigen Karriere als "Wunderkind" an der Violine, wirkt dieser Schritt jedoch gar nicht mehr so übereilt.

Diese Ankündigung nutzt der (ehemals) schnellste Geiger der Welt als Aufhänger für das Abendprogramm und führt so das – zu großen Teilen eher nicht in der Klassik versierte – Publikum mit autobiographischen Erzählungen vor jedem Stück wie an der Hand durch den Abend. Nur schade, dass er diese persönlichen Anekdoten teils zu offensichtlich abliest.

Autobiographisches zum Hören

So erfährt das Publikum beispielsweise, dass der damals 12-jährige sich für eine Musikerlaufbahn entschied, als er zum ersten Mal César Francks Sonate für Violine und Klavier in A-Dur live hörte. Während des Spielens der Sonate scheint sich David Garrett zunehmend in der Musik zu verlieren und vergisst spätestens zur Mitte des Werkes seine teils gestellten Posen eines großen Violinisten. Seine Stärke sind die leisen, leichten Töne, die selbst in den höchsten Lagen nicht an Lebendigkeit verlieren.

Immer wieder lässt er auch Kommentare zu seinem Crossover-Projekt fallen und versucht die stille Konzertatmosphäre mit einem Hörbeispiel von Coldplays "Viva la Vida" durch seinen langjährigen Duopartner Julien Quentin am Klavier aufzulockern. Die Ähnlichkeit des Coldplay-Hits mit Antonin Dvoráks "Humoreske" Nr. 7 lässt er an diesem Abend jedoch außen vor.

Technikübungen anstatt Playmobil

Die Doppelgriffe und Läufe der Légende g-Moll von Henryk Wieniawsky beherrscht der geborene David Bongartz bereits im Grundschulalter. Unter der Disziplin der Eltern, die das große Talent ihres Kindes schnell entdeckten, verbrachte er seine Nachmittage mit Technikübungen. Heute ist er dankbar dafür.

Der in einer musikalischen Familie mit viel Hausmusik aufgewachsene Sohn einer US-amerikanischen Primaballerina und eines deutschen Juristen und Geigenlehrers erzählt, dass er zuhause oft von seinem älteren Bruder Alexander am Klavier begleitet worden sei. Mit dem Bild der friedlich musizierenden Brüder vor Augen, verwandelt sich im Verlauf von Peter Tschaikowskys Mélodie in Es-Dur aus "Souvenir d'un lieu cher" die Bühne des Mannheimer Mozartsaals plötzlich in das gemütliche Wohnzimmer der Familie Bongartz.

Augen zu und lauschen

Im Vergleich mit den sinnüberflutenden Crossover-Konzerten David Garretts bietet dieser Abend die Möglichkeit, entspannt die Augen zu schließen und die Musik zu genießen. Wenngleich einige Zuhörer(innen) das Konzert hauptsächlich wegen des visuellen Aspekts besucht haben mögen, empfiehlt es sich für Klassik-Liebhaber, die Musik hin und wieder rein auditiv zu genießen.

Das für Garrett typische unkonventionelle Auftreten mit buntem T-Shirt unter dem Sakko, offenen Stiefeln und gefärbten, langen Haaren wirkt im Kontext des Kammermusikabends bisweilen eher aufgesetzt und drängt die gespielten Werke teilweise sogar in eine zweitrangige Rolle. Als ob seine Musik dieses Extra nötig hätte!

Gefangen zwischen Stardom und Klassikliebe

Das insgesamt stark von Kompositionen aus der Romantik bestehende Programm beschränkt sich auf die "Gassenhauer" und "Hits" des klassischen Violinrepertoires. Der fehlende dramatische Spannungsbogen wird von den einführenden Worten des Virtuosen ersetzt. So erfüllt David Garrett die Erwartungen der Mehrheit des Publikums, das nicht gekommen ist, um einen vielseitigen Kammermusikabend zu genießen, sondern um Virtuosität in Perfektion auf der Violine zu bestaunen.

Die Wahl der Zugabe überrascht daher: Anstatt des klassichen Rausschmeißer-Hits interpretiert das Duo eine sehr melodiöse, verträumte Version des bekannten "Jeanie with the Light Brown Hair" von Stephen Foster. Garrett beweist mit dieser Nummer, dass seine Stradivari nicht nur für die Präsentation größter Virtuosität geeignet ist, indem er den ganzen Saal mit ihrem Singen erfüllt.

Smartphones im klassischen Konzert

Große Teile des Publikums scheinen leider nicht sonderlich empfänglich für diesen Moment: Kaum sind die letzten Töne verklungen und der Violinist aus seiner Klangwelt "erwacht", stürmen die vor der Zugabe noch vor Begeisterung stehenden Besucher aus dem Saal.

Die wohlweislich nach dem Konzert verteilten Flyer für die EXPLOSIVE!-Tour Ende 2016 gehen dagegen weg wie warme Semmeln. Die Crossover-Tour wird bestimmt wieder ein großer Erfolg. Dann gibt es vielleicht auch die Möglichkeit, Selfies mit dem Star zu machen, ohne sich während des Konzertes respektlos vor die Bühne stellen zu müssen.

Der Paganini des 21. Jahrhunderts?

David Garrett mag für den Weg, den er seit gut 10 Jahren geht, vielleicht teils Verwunderung, von manchen sogar nur ein Kopfschütteln geerntet haben, dennoch kann nicht geleugnet werden, dass er so das "langweilige" klassische Repertoire tausenden Menschen näher bringt. Wer hätte gedacht, dass es jemals einen Arenen füllenden Paganini des 21. Jahrhunderts geben würde?

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