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"Warum ist es am Rhein so schön?", zitiert Mick Jagger in einer seiner auf Deutsch gehaltenen Ansagen. Die Antwort liefert die Band selbst: In einer alle Erwartungen übertreffenden Form präsentieren sich die Rolling Stones auch nach über 50 Jahren als eine Band, die Maßstäbe setzt und vor allem auch klingt wie sonst keine. Daran hat die stark verbesserte Form der Gitarristen Keith Richards und Ron Wood einen großen Anteil. Ein Fest für Stonesfans.

Die Düsseldorfer Esprit Arena hat das Dach geschlossen, so dass der Event zu einer Indoor-Show gerät. Ein dankbarer Umstand wenn man zuvor im Regen vor dem Stadion angestanden hat, um bei Einlass möglichst weit vorne in den Stehplatzbereich zu gelangen. Diese Probleme haben die Sitzplatzkarteninhaber natürlich nicht.

Bluesiger Rock von The Temperance Movement

Um 19:45 Uhr legt dann der Support The Temperance Movement mit ihrem bluesigen Midtemporock los. Die Gitarren klingen so wie Stonesfans es lieben, die Harmonien sind gut abgehangen, um es positiv zu formulieren, aber die Mischung ist gut auf den Hauptact abgestimmt.

Was gab es da schon für schräge Kombinationen in den vergangenen Jahrzehnten von Peter Maffay über Big Country bis zu Cranberries. Insofern bieten die jungen Briten eine gute Einstimmung und durchaus interessante Armbewegungen des Sängers Phil Campbell.

Beängstigend und laut

Um 20:50 Uhr geht dann das Licht erneut aus und nach dem Videointro mit Ansage erklingt das Anfangsriff von "Jumpin' Jack Flash" aus den Boxen. Die Gitarre von Keith Richards ist beängstigend laut und klingt so wild und urwüchsig, wie sonst nichts auf dieser Welt. Dieses Klangerlebnis wird es noch einige Male an diesem Abend geben, denn die Rolling Stones sind 2014 wieder viel stärker von den Gitarren dominiert als auf den vergangenen Tourneen.

Dabei spielt Richards Dynamik eine zentrale Rolle: Über weite Strecken eines Songs hält er sich zurück um dann in entscheidenden Momenten seine Gitarre wie ein wildes Biest auf die Zuhörer loszulassen. Richards Gitarre ist an diesem Abend ein Monster, etwas vor dem man ruhig auch etwas Angst haben darf, auf jeden Fall eine Macht, die man auf seiner Seite und nicht als Gegner haben möchte.

Die Einzigartigen

Es sind Augenblicke wie diese, die dem Publikum ein Erlebnis bescheren, das im Rock'n'Roll seinesgleichen sucht. Eine alte Band, die älteste überhaupt, vermag immer noch zu überraschen und Einzigartiges zu schaffen. Die Rolling Stones haben eben nicht nur die Altersgrenzen verschoben, sondern erzeugen Klänge, die heftiger sind als alles, was die Generationen nach ihnen bislang mit Technik, Härte und tief gestimmten Saiten hören ließen.

Danach kommt eine schöne Überraschung: "Let's Spend The Night Together", ein prädestinierter Begrüßungssong für eine Stonesshow, ersetzt das sonst an dieser Stelle meist gespielte "You Got Me Rocking" und ist natürlich die weitaus bessere Wahl, die man den Fans auf den folgenden Konzerten auch wünscht.

Disziplin und Professionalität

Die Bühne wird zu einer riesigen Leinwand, auf der die ganze Show aus hervorragenden Kameraperspektiven perfekt projiziert wird, bei manchen Songs noch mit aufwendigen Aminationen kombiniert. Der Sound ist hervorragend, stärker auf die Gitarren fokussiert als in den letzten zwanzig Jahren, eine Verantwortung, der die jetzt angeblichen trockenen Gitarristen Wood und Richards voll gerecht werden. Ihr Spiel ist wieder präziser, der Sound, den sie gemeinsam weben, bildet wieder einen Teppich, auf dem sich hervorragend tanzen lässt.

Tanzen tut in dieser Band natürlich nur einer: Mick Jagger gelingt es sich im Alter von fast 71 Jahren mit derselben spielerischen Leichtigkeit über die Bühne und Laufstegen zu bewegen, die seinen Act stets ausgemacht hat. Was leicht und unbeschwert aussieht, ist das Ergebnis einer im Rockzirkus einmaligen Disziplin und Professionalität, die Jagger seit Jahrzehnten aufbringt, um sich diese Form zu erhalten.

Animateur für Zehntausende

Jagger war einer der Pioniere der Inszenierung vor großen Fanmassen und ist in all den Dekaden unübertroffen geblieben. Es ist zwar auch toll ihn mal auf einer kleineren Bühne zu erleben, aber weitaus beeindruckender ist es zu sehen, wie es ihm anscheinend ohne Mühe gelingt, Zehntausende zu einer Party zu animieren, die ihresgleichen noch immer sucht.

Es ist Jaggers Form, die seit Jahrzehnten der Garant dafür ist, dass die Stones in dieser Form noch auftreten können. Neben seiner Beweglichkeit und Kondition ist auch seine Stimme noch voll da, wie er beispielsweise in der nächsten Überraschung im Programm, der souligen Ballade "Worried About You", unter Beweis stellt.

Sein Falsett ist sauber, keineswegs brüchig und klingt sogar noch samtener als im Original. Obwohl selten gespielt, geben die Stones der Nummer genau die Dynamik die sie braucht, um sie zu einem musikalischen Leckerbissen werden zu lassen. Spätestens nach dieser Nummer merken die Düsseldorfer Fans, dass sie an diesem Abend verwöhnt werden sollen.

Abstimmungssieger und Raritäten

Als Fan-Vote über das Internet steht "Street Fighting Man" auf dem Programm und gibt Keith wieder die Gelegenheit sein Biest vom Zügel zu lassen und die Arena mit machtvollen Akkorden zu begeistern. Ein weiterer selten gehörter Song ist "Out Of Control" von dem vorletzten regulären Album der Band "Bridges To Babylon", das mittlerweile auch schon 15 Jahre auf dem Buckel hat.

Wurde das Original von einer gestopften Trompete geprägt, ist es jetzt Jaggers Bluesharp, die den Song veredelt und sogar am Ende noch ein Duell mit Richards Gitarre wagt, das unentschieden ausgeht, aber verdeutlicht, dass sie musikalisch wieder aus dem Vollen schöpfen.

Verstärkung von Mick Taylor

Eigentlich haben die Rolling Stones gar keine Verstärkung nötig, aber sie erhalten sie dennoch in Form von Mick Taylor – in den Augen vieler Fans noch immer der beste Gitarrenpartner von Richards in der Geschichte der Band. Vielleicht ist es genau diese potentielle Konkurrenz, die Richards und Wood anspornt, sich nicht von Taylor den Schneid abkaufen zu lassen.

Die Spielwiese, auf der die drei Gitarristen sich austoben können, ist "Midnight Ramber", das so in den mehr oder weniger frei improvisierten Passagen des Songs neue Optionen bekommt. In seinen mehr als zehn Minuten wechselt die Nummer durch alle Spielarten des Blues(-Rocks), und Taylor nimmt sich viel Raum, duelliert sich mit Jagger an der Harp, fährt dabei einen knappen Punktsieg ein und bietet den Stonesfans musikalische Momente, von denen sie vor Jahren wohl kaum geträumt hätten.

Beachtlich allerdings, dass am Ende des Liedes Wood noch einmal zu einem Solo einsetzt, das sich hinter Taylors Fingerübungen keineswegs verstecken muss. Diese Maschine läuft auf allen Zylindern.

Die Rhythmusgruppe von Charlie Watts und Daryl Jones ist nach ca. 600 gemeinsamen Auftritten auch mehr als eingespielt – Jones bekommt die Möglichkeit bei "Miss You" seine Fähigkeiten als Solist unter Beweis zu stellen und Watts braucht nun wirklich kein Solo um zu überzeugen. Dazu reichen seine unnachahmlichen Snarewirbel, mit denen er dem Beat der Band immer wieder den notwendigen Antrieb versetzt, um weiter zu rollen.

Kurze Aussetzer

Richards hat wie immer seinen Solospot als Leadsänger bei zwei Songs, von denen der eine "You Got The Silver" wunderbar gerät, während er bei "Can't Be Seen" tatsächlich etwas überfordert wirkt, die Textzeilen vom Teleprompter abzulesen. Man kann förmlich seine Gedanken lesen: "Damn, why did I put all these words into the lines..." Okay, es war nach 24 Jahren Pause jetzt erst das neunte Mal, dass er den Song bringt, aber in diesem Moment konnte er nicht überzeugen.

Im letzten Drittel bringt der bekannte und doch immer wieder begeisternde Reigen der großen Hits die Party auf den Höhepunkt. Von "Sympathy For The Devil" wird eine Strophe bewusst ausgelassen, bei "Brown Sugar" verpasst Jagger den Einsatz zur letzten Strophe und lässt sie einfach weg – Kleinigkeiten, die nur wenigen auffallen und der Stimmung keinen Abbruch tun.

Hoffentlich bis zum nächsten Jahr!

Zur Zugabe erscheint dann der Chor der Detmolder Musikhochschule, um "You Can't Always Get What You Want" mal so erklingen zu lassen, wie es seinerzeit im Studio war, Jagger trägt eine freche Mütze und bei Satisfaction darf dann auch Taylor mit der Akustischen noch mal mit dazu kommen. Nach 130 Minuten beenden die Rolling Stones ein Konzert, das die Erwartungen locker übertroffen hat und die Hoffnung hinterlässt, dass man noch einmal die Gelegenheit bekommt die Band in einer solchen Form zu erleben.

Wenn es ihnen gelingt, durch eine gute Mischung aus Erholungsphasen und kleinen Tourabschnitten dieses Niveau zu halten, könnte dieser Traum vielleicht gar in Erfüllung gehen. Wir freuen uns auf 2015!

Setlist

Jumpin' Jack Flash | Let's Spend the Night Together | It's Only Rock 'n' Roll (But I Like It) | Tumbling Dice | Worried About You | Doom and Gloom | Street Fighting Man | Out of Control | Honky Tonk Women | You Got the Silver | Can't Be Seen | Midnight Rambler | Miss You | Gimme Shelter | Start Me Up | Sympathy for the Devil | Brown Sugar

You Can't Always Get What You Want | (I Can't Get No) Satisfaction

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