Bezwingt Planeten sogar in Offenbach: Nick Cave

Bezwingt Planeten sogar in Offenbach: Nick Cave © Leonard Kötters

Es gibt bestimmt schönere Orte als die Stadthalle Offenbach, um ein Konzert von Nick Cave zu erleben. Den Meister selbst störte das aber nicht. Er verwandelte mit den Bad Seeds den Zweckbau aus den 60er Jahren in eine geweihte Messehalle, in der seine Jünger vom süßen Wein der menschlichen Abgründe trinken durften.

Wer glaubt, dass aktuelle Metalbands harte Hunde sind, sollte Nick Cave & The Bad Seeds live sehen. Wie eine Naturgewalt dröhnt es in Offenbach durch die Lautsprecher, oft dann, wenn man es am wenigsten erwartet. Mal ist es ein wildes, aber stetiges Crescendo, mal ein plötzliches Aufblitzen, immer ist es beeindruckend. In erster Linie sind dafür die Bad Seeds verantwortlich.

Pistolenschüsse und Teufelsgeiger

Wer beispielsweise heute aufgestanden ist und die Pistolenschüsse des Songs Stagger Lee nicht mehr im Ohr hat, muss vorher schon taub gewesen sein. Drummer Thomas Wydler Jim Sclavunos* haut hier mit solcher Gewalt, dass das Trommelfell von Schlagzeug und Besucher zu reißen droht. 

Wie ein wahrer Teufelsgeiger spielt Warren Ellis, der Mann mit dem zauseligen Bart. Mehrmals fliegt sein Bogen über die Bühne, die vom gewaltigen Spiel herausgerissenen Pferdehaare wild daran herunterhängend. Hat Ellis den Holzstab doch einmal wieder bei sich und braucht ihn nicht, weil er gerade sanft Flöte oder saitenzerreißend Gitarre spielt, steckt der in seiner Jacke.

Nick Cave, der Planetenbezwinger

Die Bad Seeds allein sind ein Bild für die Götter. Das i-Tüpfelchen aber ist Nick Cave. Er steht vor allem, vor den einzelnen Musikern, vor der Band in ihrer Gesamtheit. Sind die Bad Seeds die Naturgewalt, der Wechsel zwischen Nieselregen und Gewittersturm, ist Cave die Urgewalt, die die Planeten in ihre Bahnen zwingt.

Wie ein Pfarrer steht Cave vor den Massen, breitet seine Arme aus oder hält die Hände der vorne stehenden Gläubigen. Immer wieder winkt er das gesamte Publikum näher an sich heran und, obwohl die Halle voll ist, bewegt sich die Menschenmasse jedes Mal auch einen Schritt näher an die Bühne. 

Fühlt den Herzschlag des Priesters

Hängt sich Cave vom Bühnenrand ins Publikum, stützt er sich auf den Zuschauern auf und lässt sich berühren, so wie Gläubige ihren Heiligen anfassen würden. "Can you feel my heart beat?", singt er in Higgs Boson Blues und zieht die herausgestreckten Hände an sein Herz.

Blasphemisch? Etwas. Gespenstisch? Oft. Gerade wenn sich Nick Caves schwarzer Schatten riesenhaft auf der weißen Wand der Stadthalle ausbreitet, direkt neben dem riesigen Schild, dass das Rauchen verbietet. Die Cave-Messe macht aus der unschönen Mehrzweckhalle einen Ort, in dem alles Hässliche, alles Zweckmäßige Teil der Soundkulisse wird.

Sie wissen genau, wer du bist

Passend zur Götzenanbetung beginnt das Konzert mit We No Who U R mit seinem beklemmend klingenden Refrain: "And we know who you are / And we know where you live / And we know there's no need to forgive".

Vergebung ist wirklich nicht notwendig, denn krachend geht es weiter mit Jubilee Street und Tupelo. Der Bass der Lautsprecher gräbt sich in der Magengrube fest, der Parkettboden der Halle vibriert.

Miley Cyrus, die Wasserleiche

Dann geht der unheilvolle Teil der Messe kurz vorüber, Cave sitzt am Piano. Beinahe solo, mit nur marginaler Unterstützung der Bad Seeds, sorgt er mit Love Letter und People Ain't No Good für gefährliche Ruhe. Die wird daraufhin vom Higgs Boson Blues beendet, denn Miley Cyrus schwimmt als Wasserleiche in einem Swimmingpool in Toluca Lake.

Der Hauptblock endet mit Push The Sky Away. Noch einmal steht Meister Cave vor seinen Anhängern und singt, als würde der Himmel wahrhaftig nur einige Zentimeter über ihren Köpfen schweben. Ein düsterer, wolkenverhangener Verkünderhimmel des nahen Untergangs, der weggedrückt werden muss und ein schaurig-schönes Ende: "And some people say it's just rock''n'roll / ah, but it gets you right down to your soul".

Die Welt sieht anders aus

Die Zugabe ist entspannter. Cave fragt das Publikum, was es hören will, scheint aber vor allem das zu spielen, was er selbst am liebsten hören würde. Warren Ellis darf auch noch einmal ran, sein wunderschönes Geigensolo wird vom Publikum mit langem Applaus und von Cave mit einem Kuss auf die Wange belohnt.

Into My Arms beendet den Trip über menschliche Abgründe, der an Gott, dem Teufel, vielen Toten und Hannah Montana vorbei führte. Draußen ist es bitterkalt geworden.

Die Stadthalle aber, die vor wenigen Stunden noch von außen aussah wie ein Supermarkt, der etwas Farbe vertragen könnte, hat sich zum Tempel gemausert (der etwas Farbe vertragen könnte). So ein Höllentrip verändert eben die Perspektiven.

Setlist

We No Who U R | Jubilee Street | Tupelo | Red Right Hand | Mermaids | From Her to Eternity | West Country Girl | Love Letter | People Ain't No Good | Higgs Boson Blues | The Mercy Seat | Stagger Lee | Push the Sky Away | Zugabe: Do You Love Me? | Deanna | The Weeping Song | Into My Arms

*Da hatten wir in der ersten Version des Berichts den falschen Drummer am Schlagzeug gesehen.

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