Rocco del Schlacko

Rocco del Schlacko © regioactive.de

Unter "normalen Festivalbedingungen" wurden am 22. und 23. August auf den Püttlinger Sauwasen im Saarland eine muntere Party gefeiert. Internationale Top-Acts vervollständigten das Programm für die Matsch-geplagten Zuschauer, welche sich den Spaß nicht verderben ließen und im Gegenteil zeigten, dass es für wahre Fans guter Musik keinen Hinderungsgrund gibt, ihre Lieblingsbands zu sehen.

{image}Brütende Hitze, die die Sicht verschwimmen lässt, gemähte Getreidefelder im Wald, die durch ihren Staub ein Gefühl von "Wildem Westen" vermitteln – die "Sauwasen", das Festivalgelände des Rocco del Schlacko 2008, eine feste Lehmwüste. Das war letztes Jahr. Dieses Jahr nur Matsch und Schlamm – eine feuchte, pampige, klebrige Masse überzieht nicht nur das Festivalgelände, sondern auch die Festivalcowboys. Manch einer ist von oben bis unten von einem dicken, tropfenden Überzug aus Matsch bedeckt. Gefühlte fünf Meter ist der abgestandene Regenmatsch tief – jeder Schritt wird zu einem quietschenden Kraftaufwand, zu einer Zerreißprobe für den Gleichgewichtssinn. Auffällig viele Festivalbesucher scheinen diese Belastungsprobe bedingt durch übermäßigen Alkoholkonsum oder einfacher Tölpelei, nicht standgehalten zu haben – Moormonster und nackte (ja, nackte!) Schlammopfer (siehe Foto) begegnen uns bereits am Einlass des Festivalgeländes.

{image}Ob unter diesen Umständen die Bühne absinkt? Das wäre ja in der Geschichte der Festivals nichts Neues. Aber zum Glück bleibt das den hochkarätigen Bands des ersten Tages erspart. Das erste Highlight des Abends sind Madsen. Geschichte mögen sie vielleicht noch nicht geschrieben haben, wie das in einem Song anklingt, aber ihre Fans stört das nicht im geringsten. Die mitsingenden Massen erfreuen sich einfach nur an den kraftvollen Liedern der fünf norddeutschen Indie-Rocker. Aber auch alle Freunde gepflegter Punk-Musik kommen auf ihre Kosten. Die Perfektion könnte man da glatt anpreisen, aber wir wollen ja nicht übertreiben.

Wer auf geschminkte Männer in Kostümen und einen Frontsänger mit stolz präsentiertem Bierbauch steht wird mit Turbonegro glücklich. Die sechs "Death Punker" aus Norwegen haben sogar ihre eigene "TurboJugend", welche in "schicken" Jacken die harten Klänge feiern. Die gerne mit Skandalen rund um ihre Musik aufwartende Band spielt ab und an mit Nazi- und generell nordischen-Klischees, zeigt aber mit ihrer Musik, warum sie trotz allem mehr als nur ein Unterhaltungsact sind. 

Den gelungenen Abend beschließen durften Mando Diao. Routiniert geben die Schweden-Rocker, welche mehr nach britischer Insel klingen, ihre Show zum Besten. Ihr 2006 erschienenes Album Ode To Ochrasy schaffte es bei uns auf den dritten Platz und wer die Band live hört weiß warum: wilder Rock, der jedoch die ein oder andere Überraschung mit anderen Elementen bereithält - in jedem Fall sehens- und hörenswert. 

Ein Gedanke bleibt – werden die Bands am zweiten Tag kostenlose Moorbäder und eine Fahrt auf dem Schlammriver bekommen? Doch diese Frage lässt sich erst nach ein paar Stunden beantworten. Zuerst muss sich neben der Musik noch um die lebensgefährliche Alkoholbeschaffung und um die Trockenlegung der Festivaltracht gekümmert werden. Schlammschlachten in allen Ecken erschweren diese Vorhaben. Nachdem der geplante Parkplatz – wen wundert’s durch die Flüssigkeitsmengen und deren Auswirkungen – an den Straßenrand verlegt wurde, pilgert dieses Jahr der Großsteil der Cowboys nach einem fulminanten Start des Rocco nicht auf den Campingplatz, sondern an der Straßenrand, um sich dort in ihren Eisengefährten zur Ruhe zu betten.

{image}Ein trockener zweiter Tag ändert leider nichts an dieser Situation, denn trotz des 10jährigen Jubiläums des Festivals, hat man offensichtlich keine Kapazitäten den Schlammmassen auch nur im Ansatz zu trotzen – ein paar „Sägespän-Gehwege“ am äußersten Rande wären da schon wundervoll gewesen.

Doch weiter mit den Konzerten des zweiten Tages: Jennifer Rostock ist einfach eine Wucht. Selbst zu früher Festivalstunde und bei klarem Sonnenlicht betrachtet rockt die kleine Powerfrau und ihre Band die Crowd vor der Bühne mühelos. Markige und freche Sprüche sind ihr Gütezeichen und tragen auch hier wieder zu guter Laune und Spring- sowie Singmanövern bei. Weshalb Brüste ausgerechnet "romantisch" sind bleibt da vielleicht ein bisschen fraglich, aber die zarte Kampfansage ans männliche Geschlecht gehört schließlich zu Jennifer Rostocks Spiel. Nach viel zu kurzer Zeit gibt sie das Zepter mit den Worten "Nazis raus, Penis rein" ab.

Gewollt oder nicht – das ist die perfekte Überleitung für K.I.Z., ihres Zeichens Penis-Fetischisten mit frauenfeindlichen Lyrics. Drei Rapper, ein DJ und verdammt schlechter Sound – wofür die ambitioniert auf der Bühne springenden Herren sicher nichts können, aber bei den ersten Songs kann man mehr oder weniger nur einen ins Mikro grölen hören. Erstaunlich viele HipHop - Fans haben ihren Weg vor die Bühne gefunden. Das ist wenig verwunderlich, da sich K.I.Z. bei den Kids äußerster Beliebtheit erfreuen, wenngleich es im Kontext des Line-Ups überraschend scheint. Aber dass hier nicht nur HipHop-Kids abfeiern ist gewiss. Die besondere Live-Qualität K.I.Z.s zeigt sich in ihrer Ballermann und -Suff-Kompatibilität – nett gesagt: partytauglich. Das spricht auch den exzessiven Rockfestival-Besucher an. Jedenfalls machen die vier Jungs nicht von ungefähr Anleihen bei Wolle Petry – "K.I.Z. schicken dich in die Hö-ö-lle - Hölle, Hölle, Hölle..." und das bleibt zu unserem Entsetzen auch ohne die Stimme Bela B.s bis tief in die Nacht im Ohr.

{image}The (International) Noise Conspiracy sind vor einigen Jahren eine der explosivsten Live-Bands Schwedens gewesen. Allerdings wurde es nach dem Album/der Tour Armed Love ruhig um die politischen Rock 'n' Roller. Dieses Jahr meldet man sich nun auf den Festivalbühnen zurück. Um ihre 60er-Affinität zu unterstreichen wird die Bühne in violetten Samtjäckchen geentert, Dennis Lyxzén trägt gar einen Prinz Eisenherz-Umhang – ebenfalls violett und nur kurzzeitig, versteht sich. Leider schwappt die umgehend zur Schau getragene Energie nicht ganz auf das Publikum vor der Bühne über. Möglicherweise stecken dort noch die K.I.Z.-Kids im Schlamm fest und verharren in einer Gitarrensound-Starre. Denis und seine Mannen geben jedenfalls von Beginn an alles. Möglicherweise ist das Publikum jedoch auch in eine Art psychedelische Trance verfallen, denn das, was hier zunächst geboten wird, klingt eher nach The Doors, als nach den üblicherweise roughen Rock'n'Roll - Konzerten von The (International) Noise Conspiracy. Offensichtlich erweitern sie ihren 60er-Sound um einige Klangssphären und man kann auf das kommende Album und die anschließende Tour gespannt sein. Auf diesem Festival kommt ihr Auftritt jedenfalls nicht an ein Cluberlebnis heran, auch wenn das Publikum irgendwann aus seinem Dornröschenschlaf erwacht und die Gitarren wieder den Ton angeben.

{image}Während der Umbaupause macht man sich erst einmal auf den Weg sich ums leibliche Wohl zu kümmern und so kann man den Donots aus mittlerer Entfernung heftiges Rocken und sympathisches Aufs-Publikum-Eingehen bescheinigen, und bei Kettcar aus etwas weiterer Entfernung anspruchsvolle Plauderei und ordentlichen Vortrag ihres inhaltlich anspruchsvollen Hamburger Schule-Rocks erahnen. Die Wege sind bei einem solch kleinen Festival zwar nicht wirklich weit, aber wie eingangs schon erläutert unwegsam und somit zeitintensiv (gleiches gilt leider für Sanitäranlagen).

Dennoch kann kein Weg zu weit und schwierig sein um sich die große Abschluss-Party des Abends zu geben: Deichkind. Schon früh am Tag zeigen viele Festivalbesucher Flagge mit eigens beklebten Shirts, die unmissverständlich die Erwartungen an den Auftritt der Deichkinder kundtun: "Yippie Yippie Yeah!!!" Und trotz der Umbesetzung – statt Buddy Inflagranti kein geringerer als Heiser-Röhre Ferris MC – können die Nordlichter mal wieder unter Beweis stellen, wo der Party-Hammer hängt. Endlich spielen sich wirklich unglaubliche Szenen im Schlamm ab, bei denen nicht nur einer die Hosen runterlässt... Aber was soll man auch anderes erwarten, außer: "Krawall und Remmidemmi".