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Róisín Murphy

Was für ein hin und her. Da freute man sich doch schon wochenlang auf die bevorstehende Tour von Róisín Murphy, plötzlich hallte eine (vorschnelle) Tourabsage durch die einschlägigen Medien. Bei einem Konzert in Moskau habe sich Frau Murphy nach einer Kollision mit einem Stuhl eine Augenverletzung zugezogen. Alles zwar halb so wild, aber die Tour müsse trotzdem gecancelt werden. Einen Tag später ein halbes Dementi: Die Konzerte in Frankfurt, Köln und Hamburg könnten doch stattfinden.

Und kurze Zeit später eine weitere Entwarnung. Das Konzert in Mannheim findet auch statt. Alles was schief gehen konnte, ging bis dahin also auch schief. Mit dieser Absage der Absage machte Róisín Murphy ihrem Namensvetter Edward A. Murphy schon mal alle Ehre. Vorweg genommen sei, dass der Stuhl des Anstoßes diesmal nicht mit dabei war. Die Bühne war – nichtsdestotrotz – voll mit Requisiten, reif dafür, in Grund und Boden getanzt zu werden. Von der Bühnengarderobe bis hin zu gut bürgerlichen Stehlampen mit – vermutlich – schwedischen Namen. Licht aus, Spot an, die Róisín-Show kann losgehen. Mit zwei Background- Sängerinnen und Band im Rücken, einem kleinen Pflaster über dem rechten Auge und der typischen Abgeklärtheit im Blick geht’s los.

Was genau Pop ist, darüber scheiden sich ja die Geister. Dass Pop eine zentrale visuelle Komponente innewohnt, das weiß auch die ehemalige Moloko-Ganzkörper-Discokugel Róisín Murphy. Und damit wäre das Konzept für den heutigen Abend in der Alten Feuerwache auch schon gelegt. Pop und Kostümwechsel nach mindestens jedem zweiten Song. Tanzen – mit Kopf und Beinen. Während der Opener Cry Baby und You Know Me Better setzt Róisín Murphy – gehüllt in Haute Couture mit Kartoffelsack-Optik – sich gleich zu Beginn die Krone der Zweideutigkeit selbst auf und verwandelt sich ironischerweise innerhalb von Sekunden für Checkin’ Up On Me mit Lederjacke und Sonnenbrille zum Rocker. Und vom Rocker zur Champs-Élysées Stil-Ikone in Rock und Baskenmütze.

Für Pandora darf es erlesenste Hutmode im Vogelscheuchen-Look und ein schwarzer Talar sein, der schon bei Movie Star dem Anlass angemessen einer pinken Plüsch-Weste weichen muss. Diese wiederum wirkt, verloren um die schmächtige Róisín Murphy fallend, mit einem Mal fast infantil in ihrer seichten Albernheit, als die Irin Scarlett Ribbons, eine nüchtern-liebevolle Hommage an eine Vaterfigur, anstimmt. Mit Forever More wird dann doch noch ein Moloko-Song ausgegraben und mit Ziggy-Stardust-Schulterpolstern gebührend zelebriert.

Für Overpowered lässt sich Róisín Murphy einen schwarzen Mantel samt Mütze anlegen und spielt noch einmal alle Stärken aus. Denn Róisín Murphy ist genau dann am Besten, wenn der Knall, der da irgendwo hinter den kühlen und scheinbar berechnenden Augen lauert, mit einer Selbstverständlichkeit nach vorne bricht, als wäre es das Normalste auf der Welt, als würden alle einen derart halsbrecherischen Tanzstil fahren. Blut auf der Tanzfläche, Róisín in ihrem Element. Da wundert einen das Missgeschick mit dem Moskau-Stuhl auch nicht mehr. Overpowered gerät in diesem Sinne aus dem Ruder und spätestens als Róisín Murphy merkwürdig zuckend hinter einem komplett vors Gesicht gezogenen Hut über die Bühne fegt, ist klar: die hat sie nicht mehr alle. Mehr davon!

Maskiert und gesichtslos führt Róisín Murphy ihr Programm mit Leichtigkeit auf den Punkt. Maskiert und zugleich demaskiert spielt sie das gute alte Verwirrspiel des Eklektizismus im Bühnen-Geschäft. Einst schrieb Oscar Wilde, der Mensch sei "am wenigsten er selbst, wenn er in seiner eigenen Person spricht. Gebt ihm eine Maske, und er wird die Wahrheit sagen." Wo diese angebliche Wahrheit jetzt genau zu verorten ist, zwischen Haute-Couture Modell, Deborah Harry- vs. Twiggy-Look, spröden Glam und kindlicher Naivität, kurz: Genie und Wahnsinn, sei mal dahingestellt. Das Kostümspiel ist der überflüssig schöne Zucker, die Künstlerin und nach wie vor unübertroffene Disco-Sau die Message.

Für die zwei Zugaben gilt dasselbe: nun im trashigen Silberkleid und pinkem Hut gewandet, legt Murphy die Messlatte noch mal höher und hinterlässt mit Ramalama (Zitat: "Bang Bang, Crash Bang, Big Bang, Boing Boing") doch eine Vermutung, wie die Antwort auf das Genie oder Wahnsinn-Rätsel lauten könnte. Das tanzbare Element von Róisín Murphys neuem Album Overpowered kommt voll durch. Und so sehr die Kostüme, die Elektrofricklereien und die Beats nach Pop schreien, so sehr bleibt auch der Verdacht, hier etwas individuell geformtes, also quasi Róisín Murphy mit dem Tanzschuh am Bühnenrand, Engel auf dem rechten, Teufel auf dem linken Schulterpolster in musikalischer und visueller Form geboten bekommen zu haben. Sound and Vision. Das ist Pop. Und das ist umso mehr, soviel ist heute klar geworden, Róisín Murphy selbst.

Setlist: Cry Baby – You Know Me Better – Checkin’ Up On Me – Dear Miami – Primitive – Sow Into You – Footprints – Pandora – Movie Star – Scarlet Ribbons – Forever More – Let Me Know – Overpowered. Zugabe: Tell Everybody – Ramalama (Bang Bang).

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