Anna Ternheim, hier bei einem Auftritt in Hamburg 2009, begeisterte das Publikum auch auf ihrer aktuellen Tour.

Anna Ternheim, hier bei einem Auftritt in Hamburg 2009, begeisterte das Publikum auch auf ihrer aktuellen Tour. © Holger Nassenstein

Die schwedische Songwriterin Anna Ternheim hat im Oktober 2011 ihr viertes Studioalbum "The Night Visitor" veröffentlicht. Der letzte Auftritt ihrer dazugehörigen Deutschlandtour fand im Freiburger Jazzhaus statt und bot eine vortreffliche Sängerin, ein gut eingespieltes Team und zahlreiche musikalische Höhepunkte. An den Abend mit der zwischen Nashville und Stockholm pendelnden Schwedin wird man sich noch lange und gerne zurückerinnern.

{image}Es ist ja fast unüblich, an einem Dienstagabend Zuhörer zu sehen, die sich in langen Reihen durch den Raum ziehen, von der Bühne bis hin zurück zur Wand. Darunter Mitsechziger, zahlreiche Pärchen, Studenten. Noch bemerkenswerter ist aber ihre Haltung: Während Anna Ternheims Lieder durch die Gemäuer des Freiburger Jazzhauses klingen, herrscht meist respektvolles Schweigen, eine andächtige Stille, die erst mit den letzten Tönen verfliegt und zu angemessenem, großem Applaus übergeht. Denn: Anna Ternheim ist bereits ohne jedes Wort eine außergewöhnliche Präsenz.

Als das Licht im Raum langsam verglimmt, betritt eine Sängerin die Bühne, die 1978 aufgrund eines Stromausfalles im Schein von Taschenlampen zur Welt kam. Es folgt nächtliche Musik, nächtliche Songs, die ans Ende der Nacht führen. Mit einer herabhängenden Glühbirne, die das Mikro im Zentrum hell beleuchtet, beginnt der Abend mit Solitary Move, dem Opener ihres vierten Albums The Night Visitor, einem schon für sich genommenen magischen Track. Anna Ternheim hat es von jeher verstanden, Songs zu erschaffen, die keiner großen Geste bedurften. Im Gegenteil: Manchmal mochte man gar den Löschstift ansetzen, um sich mancher Arrangements oder zuweilen dickschichtiger Produktion zu entledigen – denn die Stärke ist das Reduzierte ihrer Kunst, das, was nur zu fortgeschrittener Nacht im Schein von Glühbirnen entstehen kann.

{image}Schon nach den ersten Minuten hat Anna Ternheim das Publikum ganz auf ihrer Seite – und zurecht: Die Dame aus Stockholm singt erstaunlich gut. Und auch die Klänge, die sie Klavier, Akustikgitarre und ihrer uralten Gibson entlockt, lassen erkennen, dass Gestaltung und Darbietung ihrer Songs keine Interimslösungen sind. Der Blick schweift ab und weiter: Ein prunkvoller Sessel in rubinrot glänzt im Hintergrund, zwei überzogene Stühle gleicher Farbe, ein Bilderrahmen, dem das Cover des neuen Albums innewohnt, Weingläser, ein ausgestopfter Wolf und eine Tischlampe mit Goldhals, die auf dem Klavier thront und Licht auf die Küste wirft. Ternheim hat unterdessen die Gitarre zur Seite gestellt und Platz genommen. Sie spielt Shoreline, ein Cover von Broder Daniel, das schon unter den Studioaufnahmen zu den intensivsten zählt – und wenn die blonde Sängerin lächelnd dazu rät, die Augen zu schließen, dann trägt sie damit eigentlich Eulen nach Athen. Es sind ganz leise Minuten, die hier schwedische Winter heraufbeschwören, fast betäubend. In ihrer Heimat gibt es dieses Sprichwort: "Eine leise Minute ist eine lange Minute". So auch hier, die Minuten hallen nach.

Noch während das Klavier seine letzten Laute aussendet, stakst er in aller Ruhe auf die Bühne, breitet sich selig im Sessel aus, füllt die Weingläser zur Mitte – Ternheim lässt sich während dieser Tour von David Ferguson begleiten, ihrem Produzenten, der schon bei Johnny Cashs American Recordings am Klang gegenwärtig gewesen sein soll. Fergusons Präsenz ist aber auch Zeugnis einer anderen Begebenheit: Anna Ternheim soll nach ihrer Abreise aus Schweden und ihrem späteren Aufenthalt in Brooklyn lange orientierungslos gewesen sein. Ein schleppender Prozess im Leben eines Künstlers, Ternheim kommentiert die Zeit nur mit einem lakonischem "only shitty songs". Das hat sich geändert. In Nashville umgab sie sich mit Legenden und Ikonen der Gegenwart – Kenny Malone und Tim O'Brien sind auf ihren neuesten Aufnahmen ebenso zu hören wie Matt Sweeney, das Countrysänger-Urgestein Jack Clement, Ferguson selbst und Kentuckys grinsender Prinz Will Oldham. Schon letzterer hatte mit einer Hinwendung zu countryesken Songs den tiefen Blick ins Dunkel überwunden und auch hier leuchtet der Mond nun etwas heller als sonst. Fergusons brummende, tiefe, vom Leben gezeichnete Stimme harmoniert wunderbar mit Ternheims schwedischem Klarton. In manchen Augenblicken mag man sich zwar wünschen, dass der Schlepper etwas weniger schunkelt, im Idealfall stehen sie für einen Moment, die Legenden wie Johnny Cash und June Carter, aber wieder auf der Bühne. Ganz nah, fast greifbar.

{image}Ternheim und Ferguson sind ein eingespieltes Team und es ist eine Freude den beiden dabei zuzuhören, wie sie sich durch die akustischen Aufnahmen von The Night Visitor spielen. Wie der Kontrabass erklingt und The Longer The Waiting (The Sweeter The Kiss) beginnt, ein kurzer Blickkontakt folgt und Ternheim dem bärtigen Cowboy, dessen Auftritt einer stützenden Schulter gleicht, im Refrain einen fast lasziven Schmachtblick zuwirft. Wie die Dame anschließend aus dem Rampenlicht zum Hintergrund übergeht und das Weinglas anhebend einem Song des Soloalbums Fergusons, nämlich Baby Is Gone (im Original von Jack Clement bzw. Charlie Pride), die Bühne überlasst. Auch sonst: Viel Humor zur Abendzeit. So gibt es Anekdoten zu Karneval (Er: "I hate happy people...especially between me and the bathroom"), die vom Badezimmer geradewegs zu einer Geschichte über fehlende Seife in kleinen Hotelzimmern übergeht. Es ist ein guter Raum für Konzerte, beteuert der Herr hinter dem Kontrabass, während Ternheim die Augenbrauen nach oben zieht und eilig zustimmt, "because the stage is near the bar".

Das Set dauert rund neunzig Minuten und leitet durch alle Phasen ihres Schaffens: Das Augenmerk liegt mehr auf den neuen Songs, etwa God Don't Know, Lorelie-Marie, Ghost Of A Man, Walking Aimlessly oder All Shadows, aber auch alte Perlen wie My Heart Still Beats For You, Girl Laying Down, Let It Rain, gar eine Verneigung vor Cashs Beyond The Great Divide bleiben nicht aus. Das Highlight unter allen ist jedoch das Klacken: Leaving On A Mayday ertönt zu einem tickenden, auf dem Klavier positionierten Metronom, dessen monotoner Gleichklang sich mit Stimme und Kontrabass in jener Art vermischt, dass es passieren mag, dass der Atem für eine lange Minute stehen bleibt.

{image}Es ist Ternheims letzter Tag in Deutschland, ein besonderer Abend, der mit Bow Your Head und einem grinsenden "This is a good one!" beschlossen wird. Danach verneigen sich die beiden freudig in alter Tradition, ein großer Dank wird ausgesprochen, Küsse werden geworfen. Natürlich kehrt Ternheim unter lautem Applaus wieder zurück. Drei Sekunden bleiben für Wünsche, To Be Gone geistert durch den Raum, Somebody Someone schreit ein anderer, die Wahl fällt allerdings, man ist sich nicht sicher, ob der Text dieser wirklich noch fest im Gedächtnis steht, auf das immer doch großartige Halfway To Fivepoints. Und Ferguson, der später am Merchandise Stand fröhlich und schalkhaft sein Werk als "the best record ever made" anpreist, tritt für zwei weitere Songs hinzu. Danach kehrt sie wieder zurück, allein, mit leicht verwundertem Gesicht und einem schüchternen, gerührtem "Thanks, thats for my heart".

My Secret ist der letzte Song des Abends, der wärmend in die Nacht entlässt, die nunmehr nicht mehr ganz so kalt ist. Anna Ternheim hat es geschafft, das auf der Bühne zu leisten, was sich wie eine Blutlinie durch jeden ihrer Songs zieht: Die Gewissheit, dass auch die Nacht irgendwann zu Ende geht. Ternheim schaut gerne ins Dunkel, aber das Blut vieler Wunden ist bereits trocken. In Großstädten, den heißen Sommern Tennessees und kalten Wintern Stockholms mag sie den Ort gefunden haben, den Ort unter Himmel, wo man noch Sterne sieht. Bravissimo!

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