Jane Birkin (live in Hamburg, 2009)

Jane Birkin (live in Hamburg, 2009) © Holger Nassenstein

Gainsbourg reloaded - Jane Birkin präsentiert die Chansons des Enfant terrible in neuem Gewand, mit doppeltem Boden und ohne kitschigen Nostalgiefaktor. In der Heidelberger Stadthalle sollte die Weltpremiere stattfinden.

Zwanzig Jahre sind nun seit dem Tod von Frankreichs größtem Chansonnier vergangen. Zwanzig Jahre, die für Jane Birkin einige Einschnitte in ihrer Karriere bedeuteten. Getrennt hatten sich Gainsbourg und Birkin zwar schon zu Beginn der 1980er Jahre, ihre musikalischen Verbindungen rissen aber nie ab. Nach dem Tod von Serge Gainsbourg wollte Jane daher auch nie wieder eine Platte aufnehmen, legte nahezu ihr ganzes künstlerisches Schaffen in die Schauspielerei, war jedoch als Chanteuse nie wirklich ganz aus dem Fokus. Dazu trug nicht nur der Gassenhauer Je t'aime ... moi non plus bei, dessen gehauchte Erotik und knisternd-schlüpfrige Wirkung auch nach rund 40 Jahren immer noch einzigartig ist (wenngleich durch allzu viel Airplay und etlichen bemühten Persiflagen inzwischen doch etwas arg strapaziert und seiner Erotik mehr oder weniger entzaubert). Auch Jane Birkin selbst knüpfte in den Jahren nach Serges Tod irgendwann wieder zarte Bande mit der Musik. Mal mehr, mal weniger erfolgreich, vom Publikum aber stets mit angemessenem Respekt bedacht. Die Franzosen hüten die 1946 in London geborene Birkin nunmal wie ein Heiligtum (ähnlich wie Janes Tochter Charlotte) und "Jeanne" Birkin ist zweifellos deren legendärste Grand Dame der französischen Populärkultur.

Im Rahmen von Enjoy Jazz trat nun an diesem Abend Jane Birkin in der Heidelberger Stadthalle auf. Begleitet wurde sie dabei von vier japanischen Musikern, die sie anlässlich eines Konzertes zugunsten der Fukushima-Erdbebenkatastrophe kennenlernte. Auf dem Programm: ausschließlich Lieder von Serge Gainsbourg. Der Reigen des bevorstehenden, rund 90-minütigen Abends in der erfreulich gut besuchten Stadthalle wurde mit einer überraschend ruppigen Nummer eröffnet: Requiem pour un Con lieferte mit seinem eindeutig zweideutigen Text gleich am Anfang eine augenzwinkernde Absage an weinerliche Nostalgie. "Serge comes back to me as a ghost in his corduroy coat, and I clasp him around his waist saying, 'Stay on for a bit longer'", ließ Jane Birkin jüngst in einem Interview mit einer britischen Zeitung verlauten. Eine dezente Ironie, die wohl ganz im Sinne und im Geist vom alten Serge liegen dürfte, der bestimmt seinen Spaß daran gehabt hätte.

Die wie so oft etwas gewöhnungsbedürftige Akustik in der Stadthalle tat hierbei ein Übriges, harmonierte diesmal jedoch mit den eher spartanisch arrangierten und instrumentierten Stücken (Trompete, Klavier, Schlagzeug, Geige) aber aufs vortreffllichste. Keine weichgespülte Kaffeehausatmosphäre, dafür knarzende und rauhe Töne, manchmal auch etwas schiefe. Kleinere Unsicherheiten merkte man Jane Birkin zu Beginn auch ein wenig an, aber ihre Scheu und Zurückhaltung verloren sich spätestens, als sie durch eher ausgelassene (und reichlich alberne) Nonsensstücke wie Di-Doo-Dah oder Classe X hüpfen und springen durfte oder sich in Comic Strip mit Geigenspielerin Hoshiko als kieksendem Gegenpart einen lautmalerischen "Shebam! Pow! Blop! Wizz!"-Dialog lieferte.

Den Funken konnte sie damit freilich nicht immer vollends überspringen lassen und so waren es schließlich auch fast gänzlich die ruhigen Stücke, die sofort zündeten: Marilou sous la Neige, Ballade de Johnny Jane, das unsterbliche Ballade du Melody Nelson (welches an diesem Abend übrigens seinen 40. "Geburtstag" feierte) und ganz besonders Amours des Feintes, der allerletzte Song, den Serge kurz vor seinem Tod für Jane geschrieben hatte, gerieten hier wahrlich zu etwas ganz Besonderem. Das waren sie dann auch, die raren magischen Momente großer Vortragskunst, interpretiert von einer Frau, deren Wesen ein exakt dosiertes Maß aus Zerbrechlichkeit, Übermut, Naivität und Weisheit besitzt und die manch bittere Nuance der Gainsbourg-Chansons mit einem wohlig distanzierten und sanft ironischen Touch versieht. Wehmut minus Kitsch, ziemlich grandios!

Und wahrscheinlich waren nur diejenigen Besucher etwas enttäuscht, die vergeblich auf eine trashige Neuauflage von Je t'aime ... moi non plus warteten. Die gab's nämlich nicht, oder doch: Gut versteckt allerdings im diskreten Trompetenglissando der allerletzten Zugabennummer. Ein großer Abend. Cheers, Merci und Chapeau!

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