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Alphaville (live in Mannheim, 2023) © Rudi Brand

Marian Gold, einziges verbliebenes Gründungsmitglied und Gallionsfigur von Alphaville, lässt das Werk seiner Band mit Hilfe des Filmorchesters Babelsberg musicalhaft Revue passieren und präsentiert sich dabei auch als gereifter Erzähler selbst erfahrener Lebensweisheiten.

Nein, Popper Frisuren und weite Ballonseide trägt an diesem verregneten Dezemberabend keiner der Gäste des gut gefüllten Rosengartens in Mannheim.

Der Durchschnitte der Zuschauer dürfte zwischen 55 und 65 liegen – keiner bleibt bekanntlich "Für immer jung". Viele möchten trotzdem noch einmal in die Zeitmaschine nach 1984 reisen und wenn möglich alle 3-4 großen Hits von Alphaville samt Orchester-Wumms hören.

Silencium für das Motto des Abends

Nachdem das Filmorchester Babelsberg samt Dirigenten und der fünfköpfigen Alphaville-Band auf der Bühne Platz gefunden hat, um ganz klassisch seine Instrumente zu stimmen, bittet Marian Gold um Ruhe und Aufmerksamkeit. Das Auditorium lauscht gebannt.

Der 69-jährige Münsteraner gibt gleich zu Beginn das Motto des Abends vor. Es soll um nicht weniger als Liebe, Tod und Wiedergeburt gehen, um Außenseiter und die Verwirklichung großer Träume. Man findet sich demnach sofort in einer Art Alphaville-Musical wieder, bei dem zu Beginn des Konzerts die aufregende Anfangszeit der Band erzählt wird. Was auch wörtlich zu nehmen ist, denn der Protagonist hat zu jedem der Stücke eine Geschichte, Herleitung oder Interpretation zur Hand.

Die Anfänge von Alphaville

Der Fokus liegt dabei im ersten Teil des zweieinhalbstündigen Konzerts eindeutig auf dem epochalen Debut "Forever Young". Mit diesem und dem ersten eigenen Plattenvertrag ging für die drei Originalmitglieder, die in den frühen 80s erst als Punks und dann als Künstlerkomune begannen, 1984 ein Traum in Erfüllung.

Die Band zog nach West-Berlin, alles war aufregend und neu. "Summer In Berlin" und "A Victory Of Love" atmen den Geist dieser musikalischen Ära. Die Stücke sind erkennbar von Depeche Mode, Kraftwerk oder Heaven 17 beeinflusst.

Orchestraler Breitwandsound

Statt der analogen Synthesizer und der Drum-Machine der damaligen Studioaufnahmen, übernimmt das Orchester mit seinem wuchtigen Breitwandsound die Regie. Die vier Bandmusiker treten als Statisten in den Hintergrund.

Das Orchester-Konzept trägt gerade die frühen Bandstücke auf ein neues Level und anwesende alte Synthie-Anhänger bekommen glänzende Augen.

Der erste Megahit

Gold spielt seine erste Trumpfkarte früh und bringt "Big in Japan" an dritter Stelle in der Setlist. Viele springen auf und tanzen. Es ist ein Ohrwurm für die Ewigkeit, der die Band über die Ländergrenzen hinaus berühmt gemacht hat und sogar in UK & USA Chartplatzierungen einbrachte.

Bis heute ist es ein Stück, das Menschen, die damals jung waren, unheimlich stark mit den 80s und Ihrer eigenen Adoleszenz assoziieren. Es bildet gleichzeitig Basis der jüngsten Platte "Eternally Yours", auf der die Idee von Alpahville-Klassikern im orchestralen Gewand umgesetzt wurde.

Ambitioniertes und Bekanntes

Alphaville versuchen sich an "Diamonds Are Forever" von Shirley Bassey und gehen nahtlos in "Sound Like A Melody", einer weiteren beliebten Single aus dem Debut, über. Eine Balladenversion von "Dance With Me", der ersten Single des schwierigen zweiten Albums, beschließt zusammen mit zwei neueren Songs das erste Set.

"Welcome To The Sun" zu Beginn des zweiten Konzertteils bewegt sich nochmal vorsichtig und auf leisen Sohlen auf den Spuren des omnipräsenten Debuts. Das von vielen erhoffte "The Jet Set" (Hit Nr. 4) bleibt indes aus.

Marian Gold als Vaterfigur

Der siebenfache Familienvater spricht auch in weiten Verlauf des zweiten Konzertabschnitts während der Songs immer wieder beschwörende Worte. Egal, ob es ein Song für die Kinder dieser Welt ist ("Moongirl"), er seinem Vater ein Denkmal setzt ("Around the Universe") oder sich auf tosende Weltraummission beim stürmisch-gefeierten "Apollo" begibt.

Gold wirkt als erfahrener Familienvater immer noch kindlich begeistert und inszeniert gerade im zweiten Teil des Konzerts seine neueren Stücke mit großer stimmlicher Hingabe, weltumspannender Spiritualität und Pathos.

Man glaubt Gold die tiefe Dankbarkeit über den Erfolg von Alphaville, das in den Achtzigern eigentlich als reines Studioprojekt an den Start ging. Zwischen den Ansagen ringt der fast Siebzigjährige immer wieder mal nach Luft, animiert zum Mitklatschen und leitet charmant zum großen Finale über.

Der zweite Megahit

Manchmal, wenn alle in den Konstellationen des Kosmos ideal zusammenfallen, sei es egal, ob man sich ein Käsebrot macht oder einen Song schreibt. Es wird großartig und so kommen Songs wie "Forever Young" zustande.

Das Paradestück von Alphaville, das 1984 inmitten des kalten Krieges und trotz atomarer Bedrohung mit großer Symbolkraft den Hunger nach Leben und unbeschwerter Jugendlichkeit einer ganzen Generation ausdrückte. Der ganze Rosengarten singt aus vollen Kehlen mit. 

Gold genießt die Freude und Ergriffenheit der kollektiven Fangemeinde. Er badet förmlich in den Streichern und umgeht altersmilde die ganz hohen Falsettstellen, die er einst 1984 so glockenhell intonierte.

Beim instrumentalen Mittelteil der weltweit erfolgreichen Hitsingle verschmelzen dann die jubilierenden Bachtrompeten mit den Keyboards von Carsten Brocker. Klassik und Synthie Pop schrauben sich Hand in Hand Richtung Decke des Mozartsaals im Rosengarten. Herrlich ergreifend und ein würdiges Finale des regulären Sets.

Zugabe und Fazit

Mit "Lassie Come Home" gibt es noch ein frühes Stück der Band, dessen Entstehung der Sänger rührend als Aufruf an die Rückkehr seiner Freude erklärt, von denen er damals in Jugendjahren schmerzlich getrennt war.

Während des Songs ruft er dabei immer wieder u.a, die Namen seiner früheren Mitstreiter Bernd Lloyd und Frank Mertens, die er vermisse. Ein emotionaler Moment, bei dem Jugendfreundschaft und Bandkonstellation ineinander zu fließen scheinen.

"Pandora’s Lullaby" setzt donnernd und mit den beiden Backgroundsängerinnen im Einklang, den Schlusspunkt dieses sehr speziellen Konzertabends, bei dem die Stimme von Alphaville durch die großen anfänglichen Hits und seinen ambitionierten Spätwerken, die Geschichte seiner Band als Musical erzählt. Der Großteil der Anwesenden begibt sich danach zufrieden und doch wieder "Forever Young" summend auf den vorweihnachtlichen Heimweg.

Setlist

Set 1: Dream Machine / Summer in Berlin / Big In Japan / A Victory OF Love / Diamonds Are Forever / Sounds Like A Melody / Dance With Me / Enigma / Elegy

Set 2: Welcome To The Sun / Summer Rain / Moonlight / Apollo / Around The Universe / Eternally Yours / Flame / Forever Young

Encore: Lassie Come Home / Pandora’s Lullaby

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