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Pala (live in Mannheim, 2023) © Johannes Rehorst

Der Mannheimer Brückenaward zelebriert zum 12. Mal den musikalischen Underground mit einer hervorragenden Bandauswahl und stilistischer Vielfalt. Nur ein Act polarisiert auf die denkbar verrückteste Weise.

Als Außenstehender macht man sich häufig zu wenige Gedanken darüber, wie viel Mühe es kostet ein zweitägiges Underground-Festival zu organisieren.

Verdienter Status

Umso größer ist die Leistung der Brückenaward-Veranstalter, die seit nunmehr 2010 jedes Jahr mit viel Leidenschaft und Engagment, aber ohne jeden Geltungsdrang, ein wunderbares Festival auf die Beine stellen – und das ganz ohne kommerzielle Absichten.

Vorhang auf also für den 12. Mannheimer Brückenaward, der in der Quadratestadt und darüber hinaus längst legendären Status besitzt. Dieser Status ist aufgrund der Qualität der Musik vollauf verdient, was die aktuelle Ausgabe ein weiteres Mal unter Beweis stellt.

Starker Beginn

Der Auftakt am Freitag hätte kaum besser sein können. Die Mannheimer Band Kalkyl legt mit inspiriertem Dream/Indie-Rock sogleich die Messlatte für die folgenden Bands sehr hoch.

Kalkyl beherrschen entspannten Pop ebenso wie spacigen Rock, der eine gewisse Zeitlosigkeit besitzt. Dass sie dem US-amerikanischen Fernsehmaler Bob Ross in "I Love You (Bob Ross)" huldigen, ist durchaus konsequent, aber vermutlich haben sie auch viel Hawkwind gehört.

Auf der Härteskala weiter oben platziert, sind fraglos Not My President. Mit hartem, aber nicht brachialem Garagen-Rock (oder wie die Band selbst sagt: Alternative Rock) sorgt die Band für jede Menge nickende Köpfe bei den Zuschauern.

Eine unglaubliche Premiere

Die Band FAT steht nach eigenen Worten erstmals vor Publikum auf einer Bühne. Angesichts des super-tighten, mitreißenden Sounds kann man das kaum glauben. Die Zuschauer sind zunächst verblüfft, dann begeistert und strömen in Scharen zur Bühne, um das musikalische Spektakel mitzuerleben. 

Musikalisch erinnern FAT manchmal an Jazz-Rock/Fusion-Bands der 1970er, wozu auch sicherlich beiträgt, dass das Trio aus Saxophon, Schlagzeug und Gitarre besteht, dann aber auch an Krautrock und sehr groovigen Soul-Rock. Eine echte Sensation, dieser Auftritt.

Kraut und Elektro

Die Rauchenden Spiegel haben jüngst ihre erste EP veröffentlicht. Einerseits teilen sie sich manche Einflüsse mit FAT, namentlich Krautrock, besitzen sie doch einen wesentlich düstereren, eindringlichen, hypnotischen Klang. Weniger tanzbar, aber genauso intensiv schallt die Musik von DRS über den dicht gefüllten Platz unter der Brücke.

Den Abschluss des Freitags bildet Elektro-Künstler Julian Maier-Hauff, der sein Set gerade noch rechtzeitig vor dem aufziehenden Gewitter beendet. Das führt aber dazu, dass der Auftritt von MC Garten ausfällt und auf den Samstag verschoben wird.

Entspannter Auftakt

Tag zwei begann mit viel Sonnenschein und wirklich angenehmen Temperaturen und was wäre ein Spätsommertag am Neckar ohne entspannte Klänge? Die kamen zunächst vom Duo Mango Alfonso, serviert als Melange aus Electro, verträumten Gitarrenloops und einer Prise Folk.

Danach ist die Freiburger Roots-Reggae-Combo The Uplifters am Start, deren Block Ice Horn Section mächtig Druck auf den Dampfkessel brachte. Old School Ska und Reggae mit einer Prise Jazz und mehrstimmigem Gesang am Neckarufer, perfekter Start in den Tag.

Nachtrag vom Freitag

Doch zuvor enterte noch – als Nachtrag zum abrupten Ende am Freitag – MC Garten die Bühne. Wer genau sich unter der weißen Sturmhaube mit den Affenohren und den imposanten Killernietenarmbändern verbarg, bei denen mancher Black Metaller vor Neid erblasst sein mochte – man weiß es nicht.

Eingefleischte Award-Gänger munkeln, es sei ein Mann vieler Talente. Anscheinend zählt Rap auch dazu, und Live-Begleitung gab es an Synths und Drums auch.

Musik vom Macher

Mit den Peerrats standen danach nicht nur die gemeinsam mit Backstage PRO ausgewählte Band auf der Bühne, sondern auch Mannheimer Eigengewächse, die mit einer wilden Mischung aus Psychedelic Rock, Stoner-Blues und Surf-Twang für die ersten Staubwölkchen vor der Bühne sorgten.

Im Anschluss gaben sich dann Pala die Ehre: an der Gitarre mit Martin Feige einer der Brückenaward-Macher, dazu drei weitere Mitstreiter an Bass, Gitarre und Schlagzeug und Indie-(Post)Rock mit deutschen Texten, mal nachdenklich, mal aus dem Bauch raus, schön!

Die Geister scheiden sich

Ache vom Brückenaward-Team lag wohl richtig, als er meinte, er habe keine Ahnung, was da jetzt kommt. So ging es zumindest Teilen des Publikums auch, als der nächste Act die Bühne betrat. Sicher ist: An Geld et Nelt scheiden sich wohl die Geister und das merkte man auch.

Wer sich auf skurrile Kostüme, aberwitzige Dialoge und rabaukig-klamaukigen Pfälzer Mundart-Trash von Hip-Hop über Liedermacher-Folk bis zu Punk einlassen konnte, wurde restlos begeistert – alle anderen holten sich halt ein Bier oder reihten sich in die lange Schlange vor dem Kombüse-Foodbike ein, das in Windeseile wieder ausverkauft war.

Pfälzer Anarchie

Die beiden Hauptprotagonisten hatten sich extra für den Anlass Verstärkung mitgebracht und so standen neben Geld und Nelt auch der Geldboy und die kleine Sabine auf der Bühne, ersterer als Animateur, letztere bediente mit Hingabe, Akkuratesse und Dauergrinsen die Bass-Ukulele.

Und spätestens mit "Rieslinge" hatten die Pfälzer Anarcho-Liedermacher dann auch das Brückenaward-Publikum zum größten Teil im Sack. Groß.

Optische und akustische Highlights

Während die Sonne sich verabschiedet hatte und Keith "Projector" Pearson und Liquid Lisa zu Höchstform aufliefen – dieses Jahr illuminierte das Duo sogar beide Brückenpfeiler – schickten sich Buddha Sentenza an, das nächste Brett auf die Bühne zu nageln.

Die Heidelberger knallten untermalt von einem Teppich aus Synth- und Orgelklängen und wildem Drumming Riff nach Riff ins Neckardelta, und zeigten, dass es manchmal gar keinen Gesang braucht, um Dynamik, Energie und Enthusiasmus zu transportieren. Der Transfer klappte hervorragend.

Rau und wütend

Wer Gesang vermisste, zum Abschluss gab es den dann wieder: Trotz einiger Verzögerung wegen der längeren Umbaupausen schaffen es Sex Beat nicht nur, innerhalb kürzester Zeit ein vor Energie nur so strotzendes Set rauszuhauen, nicht zuletzt eben auch dank Sänger Florian, sondern auch, den Abend würdig zu beenden.

Rasch fand sich so ein kleines Moshpit-Völkchen ein und zum wütenden Sound des Berliner Quartetts, der irgendwo zwischen Garage, dem CBGBs der späten 70er und (skandinavischen) Punkschuppenböden zuhause ist, drehte irgendwann sogar mal ein Crowdsurfer die Runde.

Dann wie immer (leider): Schluss, aus, nochmal allen gedankt, Applaus und während einige Immer-noch-Feierwilligen zum Bocelli-Brightman-Klassiker "Time to say goodbye"-Pirouetten vor der Bühne drehen drehte sich anderswo schon wieder die Gedankenspirale: Wer könnte denn nächstes Jahr spielen? Wir sind gespannt.