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Cari Cari (live beim Reeperbahn Festival, 2022) © Falk Simon

Zum Abschluss der Festivalsaison feiert das Reeperbahn Festival 2022 die Rückkehr der Livemusik mit einem Programm, das jede Menge Raum für Entdeckungen bietet. Dass sich nicht alle Hoffnungen erfüllen, ist dabei nur natürlich.

Das Reeperbahn Festival 2022 fühlt sich an wie vor der Pandemie. Zum ersten Mal seit 2019 findet das RBF wieder vollständig als Präsenzveranstaltung mit voller Auslastung statt. Nach offziellen Angaben besuchten 41.000 Zuschauer das viertägige Festival.

Entspanntes Festivalerlebnis

Im Gegensatz zu den Jahren vor der Pandemie fühlt sich das Festival aber nicht so überfüllt an, dass Besucher lange vor den Clubs warten müssen, um Einlass zu erhalten. Der Wechsel zwischen den Venues gestaltet sehr entspannt, egal ob man Delegate bzw. Journalist oder normaler Besucher ist.

Wie so häufig wird das Reeperbahn Festival auch 2022 wieder vom Wetter verwöhnt. Abgesehen von einem tagsüber regnerischen Samstag ist es trocken und verhältnismäßig warm, was den Konzerten und dem Zusammensein im Festival Village und auf dem Spielbudenplatz entgegenkommt.

Zwei werden vermisst

Es ist aber zu vermuten, dass die Veranstalter das Kartenkontingent reduziert haben, da in zwei der größten Locations, dem Docks und der Großen Freiheit 36 keine Konzerte stattfinden. Der Grund besteht darin, dass der Inhaber sich mit fragwürdigen Aussagen zur Corona-Pandemie selbst ins Abseits befördert hat. 

So bedauerlich das ist, das vielfältige Programm lässt sich auch in den übrigen Clubs und Locations gut unterbringen. Los geht es mit einem Knalleffekt, als Kraftklub die Reeperbahn mit einem kurzfristige angekündigten Konzert lahmlegen und dabei Gäste wie Bill Kaulitz und Casper spontan auf der Bühne begrüßen.

Starke Acts und Hoffnungsträger

Von den Opening Konzerten ist vor allem der Auftritt von Lloye Carner erwähnenswert. Carner präsentiert sich als vielseitiger Rapper, dessen Einflüsse aus Soul, Pop und Jazz für jede Menge Abwechslung sorgen. Gleichzeitig punktet Carner durch ein sympathisches, unprätentiöses Auftreten. Die jungen Fans im Stage Operettenhaus feiern den Engländer begeistert ab.

Ebenfalls frenetisch bejubelt wird auch die deutsch-kurdische Rapperin Ebow bei ihrem Auftritt in der Thomas Read Disco: Wenngleich sich der Saal nach dem vorherigen Auftritt von Sophia Portanet bei Ebow doch deutlich leert, glänzen die verbleibenden Gäste durch ihre Textsicherheit und rappen jeden Song des Sets frenetisch mit. 

Die Kirchen stechen hervor

Ansonsten gibt es von vielen Höhen, aber auch von ein paar Enttäuschungen zu berichten. Für ein Highlight sorgen Cari Cari in der St. Michaelis Kirche. Die österreichische Band, deren Psychedelic Rock an die Musik von Tarantino-Filmen erinnert, spielt ein leidenschaftliches Konzert, das die Zuschauer in der edlen Kirche vollends mitreißt.

Der junge deutsche Musiker M.Byrd präsentiert sich mit einer Band in der St. Pauli Kirche als Hoffnungsträger für die Zukunft. Sein Sound erinnert stark an die US-Indie-Rock-Band The War On Drugs, lässt aber vermuten, dass er bald eigene Wege einschlagen wird.

Am gleichen Ort spielt Altmeister Daniel Lanois ein wunderbar sakral anmutendes Konzert, das mit herrlichem mehrstimmigen Gesang und einer Mischung aus Folk und Gospel punktet. Lanois, der hierzulande nicht oft live zu erleben ist, präsentiert sich als souveräner Instrumentalist und vor allem auch als hervorragender Sänger.

Einiges an Mittelmaß

Andere junge Acts sind eher nett anzuhören als wirklich eigenständig. Donkey Kid aus Berlin klingt gefällig genug, aber wie so viele andere Acts auch, müssen der junge Musiker und seine Band noch beweisen, dass sie über genug Talent verfügen, um dauerhaft Erfolg zu haben. 

Die britische Band Petrol Girls transportiert ihre feministische Botschaft zwar mit jeder Menge Wut und Energie, aber musikalisch ist die "In deine Fresse"-Musik und die fast durchweg auf Anschlag dargebotenen Vocals doch ziemlich gleichförmig.

Der Auftritt des Belgies Warhaus in der Elbphilharmonie offenbart eine seltsame Diskrepanz zwischen der guten instrumentalen Performance der Band und dem schwachen Gesang. Angesichts der Tatsache, dass Warhaus schon mit Nick Cave verglichen wurde, kann man sich darüber nur wundern.

Höhepunkte zum Abschluss

Besser macht es da Anna Calvi, deren düstere, intensive Musik auch in der Elbphilharmonie die Zuschauer vollkommen einnimmt und in ihren Bann schlägt. Es ist faszinierend mitzuerleben, wie sie völlig in ihrer Musik aufgeht und die Zuschauer trotz minimaler Interaktion erreicht.

Gleichermaßen einnehmend, wenngleich deutlich aggressiver, präsentieren sich auch Enola Gay im Molotow: Die irische Post Punk-Band prügelt sich durch ein so wütendes wie abwechslungsreiches Set, das vom Publikum enthusiastisch aufgenommen wird. 

Unzählige Möglichkeiten

Aufgrund der schieren Zahl der Konzerte und der viele Möglichkeiten, das Festival unterschiedlich zu gestalten, muss jeder Bericht beklagenswert unvollkommen bleiben.

Je nach Interessen und Plänen können die Zuschauer ganz unterschiedliche Reeperbahn Festivals erleben – und gerade das macht das Event so faszinierend.

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