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Alligatoah (live bei Rock im Park, 2014) © Dominic Pencz

Weniger Terrorist, dafür umso mehr Kreativität: Alligatoah machte auf der Akustik-Tour "Akkordarbeit" zusammen mit dem grandiosen Sandro Giampietro im Heidelberger Karlstorbahnhof halt. Wer eine Karte ergattern konnte, hatte großes Glück: Die meisten Konzerte der Tour waren nach nicht einmal zehn Minuten ausverkauft.

2014 war mit Sicherheit ein gutes Jahr für Alligatoah: Gold-Status für die Single "Willst du" und das Erfolgs-Album "Triebwerke", eine Echo-Nominierung, ausverkaufte Hallenshows, gefeierte Festival-Auftritte und gleichzeitig noch eine Tour und diverse Festivalgigs mit Trailerpark. Das Release-Datum des neuen Trailerpark-Albums "Crackstreet Boys 3" ist für den 5. Dezember angesetzt und die Aufnahmen sind abgeschlossen. Was macht man also mit der wenigen übrigen Zeit? Urlaub? Entspannen? Endlich mal wieder die Blumen gießen? Nee, noch eine Tour!

Der Rubel rollt? 

Ja klar, "Wenn's Brei regnet, soll man den Löffel raushalten", und auf dem Gipfel des Hypes noch eine Akustik-Tour nachschieben, da klingelt die Kasse! Die Akkordarbeit-Tour läuft allerdings etwas anders ab: Die Locations sind klein und ausgewählt, der Zuschauerraum bestuhlt. In den sowieso schon schnuckeligen Karlstorbahnhof passen so noch an die 200 Leute. Die freuen sich schon vor dem Einlass einen Ast ab, denn viele andere sind beim Kartenvorverkauf leer ausgegangen. Lauschig und sehr überschaubar also. 

Das Publikum ist wesentlich durchmischter, als man es von früheren Alligatoah oder Trailerpark-Shows gewohnt ist. Kein Gedrängel beim Einlass, kein Blutvergießen trotz freier Platzwahl – fehlt nur noch der Eisverkäufer und man könnte glatt die Schuhe ausziehen. Und das soll ein Konzert werden? Das Bühnenbild sieht jedenfalls nicht danach aus, es besteht aus einem Baugerüst mit passendem Arbeitsgerät und einem "Dach" mit Schornstein. Aber alles zu seiner Zeit. 

"Ich weiß, das spielt man anders, aber das kann ich nicht" 

Zuerst gehört die Bühne nämlich BRKN, ebenfalls Rapper, ebenfalls aus Berlin und an diesem Abend ebenfalls akustisch unterwegs. Er präsentiert seine Songs in einer durchgeknallten One-Man-Show mal am Klavier, mal an der Gitarre. Beides spielt er zwar nur so mittelmäßig gut, diese Tatsache zelebriert er allerdings so ausgiebig und sympathisch, dass ihm deswegen keiner böse sein kann. Am Merch-Stand nach dem Konzert bringt er dann seine neue EP "Yeah Bitch Yeah" unters Volk: "Kauft bitte eine CD Leute, es wird Winter und in meiner Einzimmerwohnung ist es ziemlich kalt." 

Nach einer kurzen Umbaupause (Der kleine Schornstein auf dem Dach qualmt jetzt!) geht es direkt weiter mit Alligatoah und Sandro Giampietro. Viele haben sich von dieser intimen Atmosphäre einen etwas engeren und persönlicheren Draht zum Publikum gewünscht als bei der "Reise nach Jerusalem"-Tour, eben ein lauschiges Akustik-Konzert mit einem Alligatoah zum Anfassen. Ein Schauspiel-Rapper wäre allerdings kein Schauspiel-Rapper ohne eine gewisse Prise Inszenierung, deshalb ist das Konzept ein völlig anderes: Die beiden Musiker sitzen in Bauarbeiterkluft auf dem Gerüst, machen gerade Pause, und da sie sowieso keine Lust zum Arbeiten haben, wird halt ein wenig musiziert. 

Ehre wem Ehre gebührt 

Bevor es weitergeht, erst einmal eine große Portion Lobhudelei für Sandro Giampietro, der für dieses Konzert einfach unverzichtbar ist! Als Begleitung für sein Projekt hat sich Alligatoah auf jeden Fall den Richtigen ausgesucht, die Songs sind grandios interpretiert und bei so manchem Gitarrensolo kann einem fast schon schwindelig werden. Große Klasse!  

Überhaupt haben es sich alle Beteiligten hier wirklich nicht einfach gemacht: Der Aufwand hinter dieser Show muss enorm gewesen sein, viel größer auf jeden Fall als bei der abgenutzten "Ein Mann und ein Stuhl und eine Gitarre"-Nummer. Nicht nur die Musik selbst ist aufwändig umarrangiert worden, die Songs sind eingebettet in sorgfältig einstudierte "Sketche" und Comedyeinlagen, das Gerüst wackelt ab und zu gefährlich bei den akrobatischen Verrenkungen des Rap-Stars und selbst die Arbeitsgeräte wie Eimer, Kelle und Zange werden als Instrumente miteingebunden. Wer das abmikrofoniert hat verdient einen Orden. 

Zeitreise

Während des knapp 90-minütigen Programms liefern die beiden Bauarbeiter einen Querschnitt durch Alligatoahs musikalischen Werdegang vom Internet-Phänomen zum Chartstürmer. Dabei kommen weder die älteren Klassiker wie "Raubkopierah" oder "Mein Gott hat den Längsten", noch die bekannteren Songs vom Album "Triebwerke" zu kurz. Die Terroristen-Maske ist dieses Mal allerdings komplett zu Hause geblieben. 

Wer diese alten Tage noch kennt merkt schnell, dass sich der Musiker hinter der ganzen Maskerade in den letzten Jahren großartig weiterentwickelt hat. Sein Gesangstalent beweist Alligatoah ja schon seit einiger Zeit immer wieder, allerdings hat man spätestens nach diesem Abend das Gefühl, dass seine Stimme fast zu schade ist, um sie nur für zotige Trailerpark-Hooks zu verwenden.  

Pflicht und Kür

Zwischendurch wird es dann doch wieder ernst, die beiden müssen die "leidige Arbeit" hinter sich bringen: Den Song "Willst du". Dieses Lied ist für Alligatoah Fluch und Segen zugleich, aber eine lästige Aufgabe dann gottseidank doch noch nicht. Wie erwartet – die Leute freut's. Das absolute Highlight ist trotzdem ein anderes, nämlich die Zugabe: Sandro überlässt Alligatoah die Gitarre und die Bühne, und er spielt alleine ein Cover von Hannes Waders Anti-Kriegs-Hymne "Es ist an der Zeit". Gänsehaut inklusive. Gut, dass direkt darauf ein Trailerpark-Medley folgt, sonst hätte man ja fast noch ein Tränchen verdrücken können.  

Es ist etwas schade, dass Alligatoah erst ganz zum Schluss des Konzerts aus seiner Rolle ausbricht: "Ihr wart ein tolles Publikum. Vergesst eure Brieftaschen nicht auf den Stühlen, sonst klaue ich euer ganzes Geld!" Nichtsdestotrotz hat er im engen Kreis bewiesen, dass er nicht nur ein Entertainer, sondern ein großartiger Musiker ist. Und wem das alles zu unpersönlich war, der musste nur lange genug vor dem Merch-Stand warten, denn da nahm er sich nach dem Konzert für jeden Fan Zeit. 

Lieber Alligatoah: Mach mal Pause! 

Aber jetzt, eine Anweisung aus der Redaktion: Nach dem letzten Termin in Köln ist Entspannen und Kraft tanken angesagt! Gesichtsmasken, Gurkenwässerchen und Entspannungsübungen bitte – die Trailerpark-Tour wird wieder anstrengend!

Setlist

Es ist noch Suppe da II Raubkopierah II Narben II Fick ihn doch II Namen machen II Wer weiß II Klüger II Meine Band II Willst du II Was der Bauer nicht kennt II Amnesie II Trauerfeier Lied II Mein Gott hat den Längsten II Es ist an der Zeit (Hannes Wader Cover) II Trailerpark Medley (Selbstbefriedigung, Bleib in der Schule, Wohnwagensiedlung, Fledermausland) II Trostpreis 

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