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Will Oldham ist nicht bloß irgendein bärtiger Blockhütten-Barde. Der Amerikaner weiß uramerikanische Songs und Eigenkompositionen solo mit einer Aufrichtigkeit zu spielen wie nur wenige andere Musiker.

Schon seine Silhouette im Dunkeln ist unverkennbar, als er von der Seite die Bühne betritt. Die Glatze, der Bart! Er tritt vors Mikrofon, im bis obenhin zugeknöpftem Hemd, zuckt mit den Mundwinkeln, zwinkert. Ist das schon eine Kontaktaufnahme oder bloß ein nervöser Reflex, eine Form von Lampenfieber?

Will Oldham alias Bonnie Prince Billy ist einer der produktivsten Singer/Songwriter Nordamerikas. Mehr als 50 Singles hat er seit 1993 veröffentlicht, dutzende von EPs und 20 Alben, ganz zu schweigen von den unzähligen Duetten und Kollaborationen mit befreundeten Künstlern wie Matt Sweeney oder Alasdair Roberts.

Henry David Thoreau mit Gitarre

Für Typen wie ihn wurde der Begriff "Schrat" erfunden. Gleichzeitig verkörperte er das seit einigen Jahren oft bemühte Stereotyp des bärtigen Blockhütten-Barden schon, als William Fitzsimmons und Bon Ivers Justin Vernon noch jedes Barthaar einzeln zählen konnten. Mit dem Unterschied, dass Will Oldham niemals etwas auf Äußerlichkeiten oder gar Hipness gegeben hat. Vollbart und Halbglatze gehören genauso zu ihm wie seine Herkunft aus dem ländlichen Kentucky.

Oldham mag ein Sänger von Folk- und Country-Songs sein und aus einem zutiefst religiösen Bundesstaat kommen, aber seinen Texten liegt jede Bigotterie oder Engstirnigkeit fern. Er besingt lieber die Freuden körperlicher Liebe, die Schönheit der Natur, die Suche nach Spiritualität. Ein Henry David Thoreau mit Gitarre.

Billy, der Schrat

Anders als die meisten anderen Deutschlandkonzerte, findet der Auftritt in Hamburg nicht in einer Kirche, sondern in der Fabrik statt. Der Sänger, dessen Organ man sich wie die besänftigende Stimme eines Wildtierhüters vorstellen muss, stellt sein aktuelles Album "Bonnie Prince Billy" vor, solo. Sofern man von "aktuell" sprechen kann bei jemandem, der jede Woche neue Songs produziert.

Gesang und Gitarre werden nur durch ein altmodisches Kondensatormikrofon abgenommen. Genau so müssen auch schon Folksänger vor 80 Jahren aufgetreten sein.

Mal stimmt er noch während der Applauspause das nächste Lied an, mal lässt er zwischen den Songs seinen Assoziationen freien Lauf: Er fände die Vorstellung verlockend, sich in einem Sumpf ganz der Verrottung hinzugeben und Liebessklave einer Bärin zu werden.

Will Oldham gefällt es sichtlich, das Schrat-Image des Bonnie Prince Billy zu kultivieren. Die rosa lackierten Fingernägel an der Griffhand sind dabei mehr verspieltes Beiwerk.

Noch besser mit Mitmusikern?

Songs von seinem 2013er Everly-Brothers-Coveralbum "What The Brother Sang" sind im Programm genauso wie "New Partner", ein Song seines ersten Künstler-Alter-Egos Palace Music in den 90er Jahren. So intensiv und einlullend seine Performance während der 90 Minuten ist: wäre sie mit ein, zwei Mitmusikern nicht noch großartiger?

Ein Sänger mit solch Wehmut und Ernsthaftigkeit in der Stimme braucht zwingend weder pedal steel noch Geige noch E-Gitarre, aber wer Bonnie Prince Billys Musik kennt, weiß, welch melancholische Wucht diese Instrumente hervorrufen können. Mal ganz abgesehen von solch fabelhaften Gesangspartnerinnen wie Scout Niblett oder Angel Olsen.

Ob Oldham unbekannte Folk-Traditionals oder Eigenkompositionen spielt, ist kaum auszumachen, auch im Publikum scheinen nur wenige einen Song zu erkennen. Nicht, dass das eine Rolle spielen würde. Alle sind Teil des großen Americana-Songbooks, das der Sänger ohne Zweifel in sich trägt. Wir werden Will Oldham nicht als Liebesknecht an die Tierwelt verlieren. Er ist längst Sklave des Songs.

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