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Tracing Isadora (Pressefoto, 2014) © Hans Jörg Michel

Isadora Duncan gilt als eine der Wegbereiterinnen des modernen Tanzes. In ihrem ebenso anspruchsvollen wie faszinierenden Ballett "Tracing Isadora" spürt Choreographin Dominique Dumais der Kunst der einflussreichen Tänzerin nach. Von der Uraufführung am Nationaltheater Mannheim berichtet Tanja Binder.

Ein weißer Gaze-Vorhang. Ein kleines Mädchen schlüpft heraus, tänzelt gut gelaunt über die Vorbühne und springt leichtfüßig in die Höhe und weg ist es. War das Isadora? Ein Sinnbild für sie?

Auch Isadora Duncan (1877-1927) hat von Spitzenschuhen und rigider Balletttechnik nichts gehalten: Sie hat barfuß getanzt. Was heute ganz normal scheint – ein nackter Fuß –, war um 1900 eine Sensation.

Wegbereiterin des modernen Tanzes

"Die Duncan", wie sie genannt wird, gilt als eine der Mütter des modernen Tanzes. Mit dem Ziel einer wahrhaftigen Ausdrucksweise suchte sie neue Bewegungen, inspiriert von der Natur und der Kunst der Antike. Mit "Tracing Isadora", das am 28. Februar 2014 im Mannheimer Opernhaus seine Uraufführung feierte, spürt Dominique Dumais mit dem Kevin O'Day-Ballett dieser Reformatorin des Tanzes nach.

Wie schon zuvor in "Résonances Chopin" (2008), "Frida Kahlo" (2010) und "Rilke" (2012) widmet sich die Frankokanadierin erneut einer herausragenden Künstlerpersönlichkeit und ihrem Werk. Der dreiteilige Ballettabend ist zudem ein Projekt des "Tanzfonds Kulturerbe", welches die Erhaltung das tänzerische Erbes in Deutschland befördern möchte. Dies tut Dumais auf eine sehr kunstvolle Art und Weise.

Wechselspiel zwischen Tanz und Musik

Der erste Akt wird bestimmt von der Suche nach einer individuellen Bewegungssprache. Die Tänzer sitzen wie hinter einem Schleier. Einer nach dem anderen tritt auf die Vorbühne und entwickelt in einem spannungsvollen Wechselspiel mit dem grandiosen Pianisten Rainer Böhm die Choreografie. Während bei Maria Eugenia Fernández Flamenco-Elemente sichtbar werden, lässt Brian McNeal lässig Steptanzschritte aufblitzen und Luis Eduardo Sayago baut elegante Street Dance-Elemente ein.

Über den zweiten Akt hin zum finalen dritten verdichtet sich die Inszenierung zusehends: Aus Soli werden Pas de Deux und Gruppentänze. Am Ende steht das Ensemble als Ganzes, das in verschiedenen Formationen die Bewegung von Wasser und Wind in körperlichen Ausdruck umsetzt. Wellen durchziehen von unten nach oben und wieder zurück die Körper der Tänzer. Wogen gehen durch die Reihen, Wasserwirbel und Strudel setzten die Tänzer als Gesamtheit in Bewegung.

Der Klang elektronischer Teilchen

Die Verdichtung wird von der Musik gespiegelt: Auf Pianist folgt Kammerensemble, später das komplette Orchester. Joseph Trafton, musikalischer Leiter, hat mit der Choreografin Stücke von Gustav Mahler und Henry Cowell gewählt, beide Zeitgenossen von Isadora Duncan, aber auch moderne Komponisten, wie die Finnin Kaija Saariaho und der Amerikaner Nico Muhly, stehen auf dem Programm. Inspiriert vom Polarlicht empfindet Saariaho in "Lichtbogen" nach, wie es wohl klingen mag, wenn elektronische Teilchen auf die Erdatmosphäre treffen.

Hinreißend sind die atmosphärisch dichten Tabelaus, die Dominique Dumais zu kreieren versteht. Kongenial unterstützt wird sie von zwei langjährigen Mitstreiterinnen: Tatyana van Walsum hat mit weichen Materialien ein filigranes wie ausdrucksstarkes Bühnenbild erschaffen. Ihre griechischen Säulen, bestehend aus transparenten Kunststoffbändern, ziehen sich bis unter den Schnürboden und erlauben den Tänzern ein fließendes Spiel zwischen Innen und Außen.

Atmosphärisch dichte Tableaus

Perfekt in Szene gesetzt werden Bühnenbild und Tänzer auch in "Tracing Isadora" von der Lichtkünstlerin Bonnie Beecher, die mit einfachen Mitteln enorm stimmungsvolle Lichteffekte zaubert. Unnötig scheint indes eine Videoprojektion von Wasser im dritten Akt. Warum nicht einfach auf Choreografie und Ausdruckskraft der eigenen Gattung verlassen?

"Tracing Isadora" ist kein narrativer Ballettabend. Obwohl Dominique Dumais durchaus typische Bewegungen von Isadora Duncan – wie die extreme Rückenbeuge, das leichte Springen und ekstatisch wirkende Gebärden – als wiederkehrende Elemente einbaut, so erliegt sie nicht der Versuchung, Leben und Werk der Tanzpädagogin nachzuahmen, sondern bemüht sich vielmehr, all jene Aspekte ihrer Kunst zu vermitteln, die so bedeutend waren für die Entwicklung des modernen Tanzes. Anspruchsvoll, aber faszinierend.

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