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"Misserfolge können inspirierend sein"

Interview mit Thomas Kreidner vom Wacken Open Air und SST Seaside Touring

Interview von Daniel Nagel
veröffentlicht am 25.10.2017

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Interview mit Thomas Kreidner vom Wacken Open Air und SST Seaside Touring

Thomas Kreidner. © SST SEASIDE TOURING GMBH & Co. KG

Als Chef-Booker von SST Seaside Touring und langjähriger Booker des Wacken Open Airs zählt Thomas Kreidner zu den erfahrensten Bookern des Landes. Wir haben mit ihm über seine vielfältigen Aktivitäten gesprochen.

Backstage PRO: Thomas, du bist "Head of Booking" bei Seaside Touring. Was heißt das genau?

Thomas Kreidner: Das heißt erst einmal gar nichts (lacht). Wie ich zu diesem Titel komme, weiß ich auch nicht; wahrscheinlich, weil ich schon so lange der Firma bin. Ich bin schon seit 15 Jahren dabei, was für so eine schnelllebige und dynamische Branche eher ungewöhnlich ist.

Backstage PRO: Beschäftigst du dich hauptsächlich mit dem Booking fürs Wacken?

Thomas Kreidner: Das war früher so. Im Augenblick habe ich mit dem Wacken kaum noch etwas zu tun. Dennoch äußere ich gerne meine Meinung, wenn ich gefragt werde. Aufgrund meiner langjährigen Erfahrung kommen die anderen Mitarbeiter natürlich häufig auf mich zu.

Backstage PRO: Wie viele Leute sind denn für die Planung des Wacken Open Air zuständig?

Thomas Kreidner: Das kann man sich kaum vorstellen, aber täglich arbeiten etwa 50 Leute ganzjährig an der Organisation. Langeweile kommt da keine auf!

"Man braucht ein gewisses Gespür"

Backstage PRO: Wie bucht man Bands für Festivals wie Wacken?

Thomas Kreidner: Das ist schwierig zu sagen, es kommt auf jeden Fall auf frühzeitige Planung an. Als Veranstalter muss man natürlich für solche etablierten Riesenevents wie Wacken immer weltbekannte Headliner parat haben, aber gleichzeitig nicht die kleineren Bands vernachlässigen. Für diese Mischung braucht man einfach ein gewisses Gespür, das sich mit der Zeit einstellt.

Backstage PRO: Wie lange im Voraus plant ihr die Acts ein?

Thomas Kreidner: Sehr unterschiedlich. Im Schnitt ein Jahr, andere ziehen wir sehr kurzfristig an Land. Aktuell führen wir sogar schon Gespräche für das Line-Up des Jahres 2019. Wichtig ist, niemals den Gesprächsfaden mit den Bandmanagern abreißen zu lassen.

Backstage PRO: Kommunikation ist also eine deiner Hauptbeschäftigungen?

Thomas Kreidner: Auf jeden Fall, es ist wichtig, ständig mit allen Beteiligten in Kontakt zu sein.

Backstage PRO: Dass die Karten für ein Festival gleich nach Beginn des offiziellen Vorverkaufs gleich vergeben sind, kommt nicht allzu häufig vor. Ein Traum für einen Booker, oder nicht?

Thomas Kreidner: Im letzten Jahr war das Wacken erst im Mai vollkommen ausverkauft. Wenn man jahrelang daran gewöhnt ist, schnell ausverkauft zu sein, stellt sich auch eine gewisse Erwartungshaltung bei den Fans ein. Für uns ist das dann im Umkehrschluss schwierig mit der Vermarktung, da die meisten denken, dass sie nach ein paar Tagen keine Tickets mehr bekommen würden und der Sache nicht mehr nachgehen.

Backstage PRO: Worauf kommt es den meisten Wacken-Besuchern eigentlich an?

Thomas Kreidner: Für einige ist es ein Happening, andere sind eingefleischte Fans, die schon seit Jahren kommen. Wie bei jedem Festival steht die Musik zwar im Vordergrund, macht aber nicht alles aus. Viele möchten sich auch einfach mit Freunden aus dem letzten Jahr treffen und eine schöne Zeit zusammen verbringen. Hinzu kommen die ganzen Gimmicks, die in den letzten 27 Jahren beständig zugenommen haben.

Backstage PRO: Wie zum Beispiel?

Thomas Kreidner: Abschließbare Fächer, die Bandbreite sanitärer Anlagen, beleuchtete Wege, W-Lan, um nur einiges zu nennen. Eines der prägnantesten Aushängeschilder ist natürlich unsere Bier-Pipeline.

Backstage PRO: Das stimmt allerdings, wie kamt ihr auf die Idee?

Thomas Kreidner: Im Gegensatz zu anderen Festivals wie Rock am Ring oder Southside haben wir keine asphaltierten Straßen: es findet alles hauptsächlich auf Feldern statt. Bei Regen wird das natürlich schnell ungemütlich und auch aus logistischer Sicht schwer zugänglich. Die Begehbarkeit des Geländes konnten wir mit der Maßnahme jedenfalls verbessern und gleichzeitig etwas cooles anbieten, was es sonst nicht oft gibt.

Backstage PRO: Wo liegen die Entwicklungsmöglichkeiten für ein Festival dieser Größe?

Thomas Kreidner: Insgesamt wollen wir das Festival nicht vergrößern, sondern nur an den gegebenen Stellschrauben drehen. Ob für die Bands, Besucher oder Mitarbeiter, wir versuchen jährlich den dargebotenen Service zu verbessern.

Backstage PRO: Habt ihr eigentlich schon einmal daran gedacht, einen Wacken-Ableger auch im Süden Deutschlands zu veranstalten?

Thomas Kreidner: Das hatten wir ja schon. 2007 gab es das Wacken-Rocks und das Wacken-Seaside, was jedoch trotz Headlinern wie Slayer, Volbeat und In Extremo nur mäßig gut ankam. Wir probieren gerne viel aus, doch man muss auch nicht alles erzwingen.

"Das Wichtigste ist, dass man sich mit der Musik identifizieren kann"

Backstage PRO: Wie sieht dein jetziges Tagesgeschäft aus?

Thomas Kreidner: Im Tagesgeschäft buche ich ca. 30-40 Bands in der ganzen Welt. Von Deutschland- und Europatourneen bis über Konzertreihen in Japan, Nord- und Südamerika ist alles dabei.

Backstage PRO: Vor einiger Zeit hat sich SST Seaside Touring vom ICS Network abgespalten. Wie kam es zu diesem Entschluss?

Thomas Kreidner: Wir wollten unseren Horizont erweitern und uns mit anderen Musikstilen als Metal beschäftigen.

Backstage PRO: Habt ihr eure Ziele erreicht?

Thomas Kreidner: Es gibt kein eigentliches Ziel, das man erreichen kann. Aber wir bedienen jetzt auch Punk-Bands wie Betontod, Serum114 oder Klassiker wie Fury In The Slaughterhouse, die mit Metal wenig oder nichts zu tun haben. Für uns ist das eine gelungene Abwechslung.

Backstage PRO: Und wie kommt das neue Konzept an? Habt ihr mehr Schwierigkeiten eure Bands zu buchen als mit dem ICS Network?

Thomas Kreidner: Im Moment läuft es sehr gut, allerdings bin ich perfektionistisch veranlagt und daher nie ganz zufrieden. Das Tourgeschäft ist jedenfalls gut aufgestellt und wir haben uns einen Namen gemacht.

Backstage PRO: Wie unterscheidet sich das Booking für eine Tournee von einem Festival?

Thomas Kreidner: Ganz wesentlich. Bei der Tourneeplanung arbeite ich sehr nah mit dem Künstler und seinem Management zusammen. Dabei versuchen wir gemeinsam Lösungen auszuarbeiten und Kompromisse zu finden, ohne irgendjemandem etwas aufzuzwingen. Meistens entwerfen wir dann einen Fahrplan für die nächsten sechs bis zwölf Monate. Als Festivalveranstalter fragt man die Künstler nur für einen Tag an, da baut sich natürlich keine große Nähe auf.

Backstage PRO: Was ist bei dem gemeinsamen Entwurf eines Tourneeplans am wichtigsten?

Thomas Kreidner: Ganz wesentlich ist die Kommunikation untereinander. Man sollte sich von vornherein auf Augenhöhe begegnen. Das nimmt für alle Beteiligten viel Stress heraus und eröffnet ganz neue Perspektiven.

Backstage PRO: Für jemanden der jetzt neu in der Booking-Branche Fuß fassen möchte. Empfiehlt es sich von vornherein selbstständig zu agieren oder sich einer größeren Firma anzuschließen?

Thomas Kreidner: Meiner Ansicht nach sollte man einfach das machen, was man bevorzugt. Das Wichtigste ist, dass man sich mit dem angebotenen Produkt, der Musik, identifizieren kann. Wenn ich nicht vollkommen hinter dem von mir promoteten Künstler stehe, werde ich ihn auch nur schwer anderen vermitteln können.

"Heutzutage ist der Markt übersättigt"

Backstage PRO: Wie hat sich die Metalszene deiner Meinung nach verändert?

Thomas Kreidner: Ende der 1980er gab es bei weitem nicht so viele Bands und Auftritte, da war jedes Konzert etwas Besonderes. Heute haben wir in Hamburg ca. zwei bis drei Metalkonzerte am Tag. Auch der Fankreis hat sich vergrößert, Metal ist alltagstauglicher geworden. Früher hätte man es sich nicht vorstellen können, dass Metallica mal im Radio laufen werden.

Backstage PRO: Wie treten die Bands an euch heran?

Thomas Kreidner: Heutzutage ist das aufgrund des Internets sehr einfach geworden. Wir erhalten Emails, bekommen CDs zugeschickt oder stöbern selbst im Netz. Wir halten auch auf anderen Veranstaltungen Ausschau nach noch unbekannten Bands, in denen wir Potential sehen.

Backstage PRO: Wie hat sich die Signifikanz von Liveauftritten generell geändert?

Thomas Kreidner: Aufgrund der Zugänglichkeit der Musik im Netz ist der Bühnenauftritt zu einer Hauptfinanzierungsquelle herangewachsen. Die Notwendigkeit für die Künstler ist zwar auf der einen Seite schön für uns Booker, doch darf man nicht übertreiben. Heutzutage ist der Markt übersättigt, weshalb es schwer ist sich attraktiv zu halten. Ich empfehle da oftmals eine längere Pause in bestimmten Ortschaften einzulegen, damit die Leute der Musik nicht überdrüssig werden. Das ist aufgrund der Verlockung natürlich nicht einfach einzuhalten, lohnt sich jedoch langfristig.

Backstage PRO: Wie gehst du mit Fehlschlägen im Beruf um?

Thomas Kreidner: Ich glaube nicht viel anders als man das in anderen Branchen macht. Oftmals habe ich sogar die Erfahrung gemacht, dass Misserfolge sogar sehr inspirierend sein können, um auf neue Konzepte und Ideen zu kommen. So gesehen sind Rückschläge im Beruf auch eine Bereicherung, wenn man mit ihnen umzugehen weiß.

Backstage PRO: Was war denn zuletzt eine eurer besten Ideen, die ihr in die Realität umsetzen konntet?

Thomas Kreidner: Da fällt mir spontan das Full Metal Cruise ein. Auf einem Kreuzfahrtschiff steuern wir verschiedene europäische Häfen an und die Bands kommen meist für ungefähr zwei Tage an Board. Das ist ein recht neues Konzept, was jedoch sehr gut ankommt. Für das Publikum als auch die auftretenden Künstler ist das etwas Neues, weshalb wir das mit viel Freude organisieren.

Backstage PRO: Wie findet diese Kreuzfahrt bereits statt?

Thomas Kreidner: 2018 findet bereits die sechste Kreuzfahrt statt, ist jedoch schon ausgebucht. Im April werden wir dabei zwischen Marseille, Valencia und Palma de Mallorca verkehren, wobei die Erfahrung der letzten Jahre dafür spricht dass das wieder ein Mordsvergnügen wird.

Backstage PRO: Na dann mal Ahoi und alles Gute!

Thomas Kreidner: Danke, bis zum nächsten Mal!

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