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30-jähriges Jubiläum

"Ein Club ist eine Spielwiese": Leif Nüske über Aufstieg, Abriss und Wiedergeburt des legendären Hamburger Mojo Clubs

Interview von Jan Paersch
veröffentlicht am 12.11.2019

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"Ein Club ist eine Spielwiese": Leif Nüske über Aufstieg, Abriss und Wiedergeburt des legendären Hamburger Mojo Clubs

Leif Nüske ist seit 1989 Inhaber des Mojo Clubs auf der Reeperbahn in Hamburg. © Miguel Ferraz

Der berühmte Mojo-Club an der Reeperbahn feiert 2019 sein 30-jähriges Bestehen. Wir sprachen mit Leif Nüske, einem der beiden Inhaber, über die Geschichte des Clubs, den Wandel der Clubkultur und die Neuerfindung des Mojo im Hamburger Untergrund.

Es war die Hochzeit von Rave und Acid Jazz: 1989 eröffnete der Mojo Club in Hamburg in einem ehemaligen Bowlingcenter an der Reeperbahn. Der von Leif Nüske und Oliver Korthals betriebene Club wurde bald für die Auftritte gefragter DJs und Livebands, vor allem im Bereich Soul, Jazz, Downbeat, Funk und Disco europaweit bekannt.

Der von Nüske und Korthals geprägte Genre-Begriff "Dancefloor Jazz" wurde durch eine erfolgreiche CD-Compilation-Reihe international populär. 2003 schloss das Mojo, und wurde zehn Jahre später im Untergeschoss des Neubaus Tanzende Türme wiedereröffnet.

Auf historischem Gelände

An einem warmen Sommertag empfängt Leif Nüske, Jahrgang 1964, seinen Besucher in der Küche. Die Mojo Club Reeperbahn GmbH sitzt in einem Altbau am Pferdemarkt, einen guten Kilometer nördlich des unterirdisch angelegten Clubs.

Dass er nach der Tür zum Büro noch eine schwere schmiedeeiserne Zwischentür öffnet, hat historische Gründe: bis Anfang des 20. Jahrhunderts residierte in dem Haus die erste Dependance des Tierpark Hagenbeck.

Backstage PRO: Leif Nüske, es ist 11 Uhr, du hast deinen Arbeitstag gerade begonnen?

Leif Nüske: Natürlich, das Hauptgeschäft geht schließlich gegen Abend los. Ich bin selten vor Mitternacht zu Hause.

Backstage PRO: Wie ist dein privates Ausgehverhalten?

Leif Nüske: Ich schaue mir Konzerte eigentlich nur bei uns im Mojo in Gänze an. Woanders fällt es mir schwer, mich wirklich auf Künstler einzulassen. In anderen Clubs werde ich oft von einer Unruhe gepackt. Dann schaue ich mich um und frage mich, wie die das mit der Lüftung regeln.

Backstage PRO: Dieses Jahr feiert der Mojo Club 30-jähriges Jubiläum. Schon Anfang der 1990er waren dort große Namen regelmäßig zu Gast: Kruder und Dorfmeister, Moloko, Massive Attack. Wie war das?

Leif Nüske: Ich habe solche Konzerte nie als besonderen Moment abgespeichert – es war einfach der Normalzustand. Jeden Freitag und Samstag gab es lange Schlangen. Damals hatte eine Club  eine ganz andere Funktion.

"Ein Club war früher ein ganz eigenes Soziotop"

Backstage PRO: Welche war das?

Leif Nüske: Ein Club war eine Begegnungsstätte, die etwas über das soziale Standing aussagte. Sag mir, wohin du gehst, und ich sage dir, wer du bist! Die Leute hatten das Gefühl, etwas zu verpassen, wenn sie eine Woche einmal nicht kamen. Die Eintritts-Hemmschwelle war niedrig, Stammgäste kamen umsonst rein. Für viele war es ein Wohnzimmer, man brauchte sich nicht einmal verabreden. Das war ein ganz eigenes Soziotop.

Backstage PRO: Gehen wir ein paar Jahre zurück: Wie fing es mit deiner Musikbegeisterung an? Warst du selbst in Bands?

Leif Nüske: Ich war komplett unmusikalisch, als einziger in meinem Freundeskreis. Meine Eltern haben erfolglos versucht, mich im Gitarrenunterricht unterzubringen. Und dann spielten plötzlich alle um mich herum in Bands. Um irgendwie mitmachen zu können, habe ich die Organisation übernommen. Das war der Anfang.

Backstage PRO: Warst du denn Jazz-begeistert, als du dann eine kleine Plattenfirma gegründet hast?

Leif Nüske: Wir haben 20 Platten auf eigenem Label veröffentlicht. Mod und Garage, später dann Soul. Dadurch entstand der Wunsch, tiefer in den Jazz einzutauchen. Jazz zum Feiern, nicht zum Zuhören! Soul Allnighter kannte man nur in England. Dort baute DJ Eddie Piller gerade sein legendäres Acid Jazz Label auf. Von dem bekam ich eines Tages ein ganzes Paket voller Platten. Eher simple House-Tracks, über denen jemand ein Saxophon-Solo dudelte. Aber das funktionierte in England.

Backstage PRO: Wie funktionierte es in Deutschland?

Leif Nüske: Damals fing man in der Szene an, Räume zu zweckentfremden und als Club zu nutzen. Wir brauchten 2000 Mark für die erste Auflage unserer ersten Single auf dem Label. Also veranstalteten wir unseren ersten Soul Allnighter. Das war der Gründungsmoment für den Mojo Club: zwei Abende in einem Kachelraum unter einem Schwimmbad im Stadtteil Eppendorf mit katastrophaler Akustik. Junge Typen, die DJ-mäßig Jazzplatten auflegten – das wirkte 1983 ziemlich skurril. Aber es war von Anfang an gut besucht.

Backstage PRO: "Mojo Club" – ein Name, der in den Neunziger Jahren als Synonym für Tanzbaren von Soul, Brasil und Jazz bis hin zu Funk und Disco galt. Den Sound nannte man "Dancefloor Jazz". Wie kamt ihr auf diesen Namen?

Leif Nüske: Der Name "Mojo" war sofort da – eine Sache von zehn Minuten. Ich habe mich mit meinem Kompagnon hingesetzt und überlegt. Da fiel uns der Songtitel "Got My Mojo Workin‘" ein. Wir wollten etwas Simples, schnell Begreifbares. Genauso wie "Dancefloor Jazz" – der Begriff kam nicht aus England. Unsere erste Veranstaltung hieß "Mojo Club presents Dancefloor Jazz for Cool Cats".

Backstage PRO: Wann hast du deinen Kompagnon Oliver Korthals getroffen?

Leif Nüske: Das war 1988 beim Auflegen im Club Kir. Er war von Anfang die treibende Kraft, was das Kreative und Inhaltliche des Mojo Club anging. Wir wollten nicht nur alte Sachen ausgraben, sondern wild mischen. Auch im HipHop entdeckte man gerade Jazz. Wir haben dann erste Veranstaltungen gemacht und im Oktober 1991 den eigentlichen Mojo Club eröffnet.

Backstage PRO: Der berüchtigte Betonklotz an der Reeperbahn Nummer 1.

Leif Nüske: Genau. Die korrekte Adresse war Zirkusweg 20. Klang natürlich nicht so gut. Aber gegenüber war die Reeperbahn 3-5. Die "1" gab es nicht, also haben wir sie uns einfach selbst verpasst. Unten war ein Musikgeschäft, oben die Bowlingbahn, nebenan ein China-Restaurant und dahinter eine Mercedes-Filiale. Bei Mercedes haben wir regelmäßig Alarm ausgelöst, weil die Fensterscheiben zu wackeln anfingen.

"Heute hat jede Imbissbude eine Corporate Identity"

Backstage PRO: In den 1990ern gab es immer wieder Schließungs-Gerüchte, wirklich abgerissen wurde das Gebäude dann erst 2009. Ihr musstet lange um eine Akzeptanz als Kulturort kämpfen.

Leif Nüske: In den Nullerjahren entstand nur langsam das Bewusstsein, dass es so etwas wie eine Musikwirtschaft gibt. Bis dahin sprach man nur von "Medienwirtschaft", bei Treffen saßen Verlagsmenschen mit den Bossen der großen Majorlabels zusammen. Das war völlig losgelöst von jeglicher Clubkultur. Hier die Clubs, da die großen Konzerne, das war kein Miteinander.

Backstage PRO: Schon vor der Wiedereröffnung im Jahr 2013 wurdet ihr mit Vorschusslorbeeren überschüttet. "Die Popkultur kehrt auf den Kiez zurück" lautete eine Überschrift.

Leif Nüske: Solche Headlines habe ich gehasst. Die Erwartungen waren unmöglich zu erfüllen! Jeder hatte damals seine individuelle Erinnerung an den Club. Egal, was wir vorhatten, es konnte nicht funktionieren. Das war einer der Gründe, warum wir alles anders gemacht haben.

Backstage PRO: Nämlich?

Leif Nüske: Zum Beispiel ist unser Logo weniger präsent: das große "M" prangt nur auf den Bodentoren, durch die man in den Club kommt. Ansonsten findet man es an nur an wenigen Stellen. Es machte im alten Mojo Sinn, diesem abgerockten Gebäude eine eigene Corporate Identity zugeben. Früher war alles mit dem Logo gebrandet, selbst die Rücken der Türsteher. Heute hat jede Imbissbude eine CI. Wenn man in unserer durchdesignten Welt mit einem kräftigen Designauftritt in ein neues Gebäude zieht, kann das wirken wie bei einer Kaffeehauskette. In einem Neubau muss man zurückhaltender sein.

"Die Leute im Club sollen miteinander reden!"

Backstage PRO: Wurde das neue Konzept gut aufgenommen?

Leif Nüske: Beim Testbetrieb vor der Eröffnung war der einzige Kritikpunkt der 50 eingeladenen Freunde die mangelnde Beschilderung. Wir hatten also alles richtig gemacht. Das Mojo ist ja kein Flughafen. Die Leute sollen miteinander reden!

Backstage PRO: Nicht nur der Mojo-Look ist ein anderer…

Leif Nüske: Auch die musikalischen Vorlieben haben sich geändert. Das neue Mojo ist viel mehr durch Liveshows geprägt. Eine funktionierende Bühne war uns deshalb noch wichtiger als früher. Es gab vor der Neueröffnung Kooperationspartner, die den Club schon als Wodka-selige internationale Partylocation sahen – das waren wir natürlich vorher nie gewesen. Bei uns geht’s mit dem Bier durch die Nacht, die Musik genießend.

Backstage PRO: Auch der Musikkonsum hat sich verändert.

Leif Nüske: Heute organisieren sich die Leute ihre Freizeit anders. Obendrein gibt es nicht mehr das Hoheitswissen eines DJs. Musik ist immer und überall zugänglich via Streaming, damit ist die originäre Funktion eines Clubs aufgehoben.

Backstage PRO: Heute müsst ihr sicher sorgfältiger wirtschaften als noch vor 30 Jahren, oder?

Leif Nüske: Wir haben eine gewisse Größe und dadurch wirtschaftlichen Druck. Würden wir den Club mit der jugendlichen Intoleranz, mit der wir damals vorgegangen sind, betreiben, würden wir wahrscheinlich für nicht einmal 200 Personen öffnen können. Damals gingen die Schlangen regelmäßig einmal um den Block – heute passiert so etwas nur, wenn besondere Events stattfinden.

"Wir wollen immer Neues machen."

Backstage PRO: Den Begriff "Dancefloor Jazz" hört man kaum noch. 2019 treten im Mojo Club auch Rockbands und Singer/Songwriter auf.

Leif Nüske: Wir schauen nicht zurück. Wir wollen immer Neues machen. Eigentlich ist es so: im alten Mojo spielte die Hülle keine Rolle, der Inhalt umso mehr. Heute ist die Hülle spektakulär, der Inhalt hängt aber sehr stark vom jeweiligen Künstler ab. Wir haben noch immer eine Linie und erlauben uns, Künstler abzulehnen, die bei uns spielen wollen. Die Bandbreite ist allerdings größer geworden.

Backstage PRO: Ihr habt auch eine eigene Booking-Abteilung. Wie läuft das Geschäft?

Leif Nüske: Es gibt insgesamt mehr Konzerte, bei einer gleichbleibenden Zahl von Bühnen. Früher haben wir Künstler vier Monate vorher gebucht. Aktuell gehen wir auf einen Vorlauf von einem Jahr zu, das hat sich im letzten Jahr noch verschärft. Früher haben wir viele Künstler direkt in England kontaktiert, heute geht fast alles über Agenturen. 2013, im ersten Jahr nach der Wiedereröffnung, hatten wir vielleicht 20 Konzerte im Jahr, jetzt sind es weit über 100.

Backstage PRO: Die Zahl der Touristen in Hamburg wächst ständig. Ist es schwerer geworden, die angesichts der Musical- und Elbphilharmonie-Konkurrenz in den Club zu kriegen?

Leif Nüske: Touristen sind für uns kein Thema. Die Elbphilharmonie betrifft uns, weil sie ein neuer, hochsubventionierter Player ist. Es gibt etliche Konzerte im Jahr, die bei uns laufen würden, wenn es das Konzerthaus nicht gäbe. Unsere Auflagen sind enorm, die unterscheiden sich kaum von denen von Theatern – und wir sind komplett privatwirtschaftlich finanziert. Was wir alles bewegen könnten, wenn wir einen Bruchteil der Unterstützung hätten, die die Elbphilharmonie bekommt!

Backstage PRO: Vor einem Jahr wurde das Problem der Kiosk-Trinker viel diskutiert. Viele Nachtschwärmer haben nicht mehr die Bereitschaft, Geld für Drinks im Club zu auszugeben.

Leif Nüske: Irgendwas ist immer. Früher war der Preisunterschied zwischen einem Bier am Kiosk und einem Bier im Club nicht so groß. Heute müssen die Clubs eine viel umfangreichere Struktur bereithalten! Der Bierpreis trägt somit auch zur Struktursicherheit bei.

"Ein Club ist eine Spielwiese"

Backstage PRO: Den Charme des Mojo machen die Details aus. Zum Beispiel das Poster-Design und die Toiletten-Kabine, in der manchmal DJs auflegen.

Leif Nüske: Ein Club ist eine Spielwiese, die bedient werden will. Es muss Spaß machen, und wir suchen immer nach neuen Möglichkeiten. Auf dem Klo hat übrigens schon Jan Delay aufgelegt.

Backstage PRO: Im Jahr 2004 gehörtest du zu den Gründern der Interessensgemeinschaft der Hamburger Musikwirtschaft (IHM). Weshalb braucht es die?

Leif Nüske: Hamburg ist nicht nur Hafen und Airbus. Eine funktionierende Stadt braucht Popkultur. Heute ist die IHM der größte örtliche Musikverband. Musik wird als Faktor wahrgenommen, das war vor 15 Jahren nicht der Fall. Da hängt nicht nur Musik dran, der Bereich Games wird zum Beispiel immer größer. Alles hängt zusammen – hast du keine Clubs, hast du irgendwann auch keine Programmierer mehr. Alles befruchtet sich gegenseitig. Die Politik hat das mittlerweile verstanden.

Backstage PRO: Was tut ihr, damit sich Bands im Mojo Club wohlfühlen?

Leif Nüske: Alles ist aus einer Hand organisiert. Der Backstage ist hübsch eingerichtet, und es gibt eine vierspurige Carrera-Bahn. Außerdem steht da eine riesige alte Orgel, an der schon alle möglichen Künstler saßen – von Paul Weller bis Cameron Carpenter!

Backstage PRO: Leif, danke für deine Zeit!

Locations

Mojo Club

Mojo Club

Reeperbahn 1, 20359 Hamburg

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