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Trendumkehr auf beiden Seiten des Atlantiks

Urheberrecht und Musik, Teil 2 - Neue Entwicklungen beim Sampling in Deutschland und den USA

Spezial/Schwerpunkt von Daniel Nagel
veröffentlicht am 20.05.2022

urheberrecht sampling musikbusiness

Urheberrecht und Musik, Teil 2 - Neue Entwicklungen beim Sampling in Deutschland und den USA

Die rechtlichen Hintergründe zum Sampling entwickeln sich in Deutschland und den USA gegenläufig. © Techivation via unsplash.com

Die Sampling-Kultur hat ihren Ursprung hauptsächlich in der Hip-Hop-Szene der USA. Allerdings sind die goldenen Zeiten des Samplings in den USA lange vorbei, während ausgerechnet das vielfach gescholtene Urheberrecht in Deutschland und der EU liberaler zu werden scheint. Damit beschäftigt sich Teil 2 unserer Artikelserie über Urheberrecht und Musik in Deutschland und den USA.

Vielfach existiert die Ansicht, in den USA herrsche dank der Fair Use-Doktrin ein ungezwungener, lockerer Umgang mit "copyrighted material", der als Vorbild für das oft restriktive deutsche oder europäische Urheberrecht dienen könnte.

Allerdings ist die US-amerikanische Rechtspraxis weitaus komplexer als Schlagworte denken lassen. Das betrifft sowohl das Sampling anderer Songs im Speziellen und die Fair Use-Doktrin im Allgemeinen. 

Die guten alten Zeiten sind vorbei

Tatsächlich herrschte in den USA vor allem in den späten 1980er- und 1990er-Jahren im Hinblick auf Sampling eine vergleichsweise große Freiheit. Das 1989 veröffentlichte Beastie Boys-Album "Paul’s Boutique" enthält Samples von 105 verschiedenen Songs, die nach Aussage der Produzenten The Dust Brothers "sehr leicht" lizenziert werden konnten. 

Ein vergleichbares Unterfangen wäre im Jahr 2022 finanziell und organisatorisch fast nicht mehr zu bewältigen. Die damalige lockere, kooperative Haltung gegenüber dem Sampling hat sich auch in den USA vollends ins Gegenteil verkehrt. 

Jeder Rechteinhaber wacht eifersüchtig über seine Songrechte und versucht, die Einnahmen aus Lizenzierungen zu maximieren. Das ist natürlich eine direkte Folge der Mega-Deals mit Songrechten und der Konzentration dieser Rechte bei wenigen großen Musikverlagen.  

Robert Fripp vs. Kanye West

Dieses Vorgehen erfasst aber auch weitaus kleinere Musikverlage. Ein Beispiel dafür ist die von Robert Fripp, Mastermind von King Crimson, kürzlich in Großbritannien initiierte Klage gegen Universal, die Plattenfirma von Kanye West. Dieser veröffentlichte ein Sample von King Crimsons "21st Century Schizoid Man" auf seinem Album "My Beautiful Dark Twisted Fantasy".

Der Rechteinhaber DCM streitet im Namen von Robert Fripp mit Universal nicht etwa über die Tatsache, dass West dieses Sample verwendet hat, sondern um die Höhe der Lizenzeinnahmen, die Universal an Fripp und DCM abführen muss. Kein anderes Beispiel könnte den Wandel der Rechtskultur im anglo-amerikanischen Recht in Bezug auf Sampling nachhaltiger verdeutlichen.

Die Legende von "Fair Use"

Vollends verfehlt ist die Idee, die US-amerikanische Fair Use-Doktrin erlaube in der Praxis eine liberale Verwendung von urheberrechtlich geschütztem Material. Im Gegensatz zu weit verbreiteten Ansichten in Deutschland ist "Fair Use" nicht etwa eine Art Freibrief, sondern ein exakt definiertes Rechtsinstitut, das in einer Vielzahl von Urteilen entwickelt wurde und ständig weiterentwickelt wird.

Solange die Verwendung von "copyrighted material" keine kommerzielle Nutzung beinhaltet (wie beispielsweise bei vielen Memes), kann sich der Ersteller unter bestimmten Voraussetzungen auf die Fair Use-Doktrin berufen. Es ist dann möglich, kurze Clips, Bilder oder Teile von Musikstücken in einem eigenen Werk zu verwenden, ohne dafür eine Erlaubnis einholen zu müssen.

Liegt aber eine kommerzielle Nutzung vor, beispielsweise durch die Verwendung des Samples eines Hit-Songs in einem anderen Lied, kann das copyrighted material in der Regel nicht frei verwendet werden. Im schlechtesten Fall handelt sich derjenige, der dieses Sample ohne Zustimmung verwendet, eine Klage wegen der Verletzung des Copyrights ein, die außerordentlich kostspielig sein kann.

Europa wird liberaler

Während das vormals liberale Copyright-System in den USA zunehmend strengere Regeln entwickelt, gibt es in Europa Liberalisierungstendenzen. Das hat mit der höchst umstrittenen Reform des EU-Urheberrechts zu tun, die in der Umsetzung durch den deutschen Gesetzgeber aber für nicht-kommerzielle Nutzungen Erleichterungen brachte. 

So existiert nach § 10 Urheberrechts-Diensteanbieter-Gesetz in Deutschland neuerdings die Möglichkeit, bis zu 15 Sekunden einer Tonspur ohne Erlaubnis im Rahmen einer geringfügigen Nutzung zu verwenden - vorausgesetzt, dass damit keine nennenswerten Einkünfte erzielt werden.

Das Pastiche macht es möglich

In Hinblick auf das (kommerzielle) Sampling entschied jüngst das Hanseatische Oberlandesgericht (OLG Hamburg) im endlosen Rechtsstreit zwischen Kraftwerk und Moses Pelham, dass nach dem neuen Urheberrecht das von Moses Pelham verwendete Sample von "Metall als Metall" als Form des Pastiches (§ 51 UrhG) erlaubt ist. Dieses Urteil ist aktuell nicht online zugänglich, liegt aber der Redaktion vor.

Das OLG Hamburg stellt fest, es sei noch unklar, welchen exakten Inhalt der Rechtsbegriff des "Pastiches" im deutschen Urheberrecht besitze, unternimmt aber dann den Versuch einer Annäherung: Bei einem Pastiche handele es sich "um einen kommunikativen Akt der stilistischen Nachahmung, der eine bewertende Referenz auf ein Original voraussetzt, wobei auch die Übernahme fremder Werke oder Werkteile erlaubt ist."

Ausgleich zwischen Kreativen

Das OLG erklärt, der Gesetzgeber habe mit der Regelung des § 51 UrhG eine Grundlage "für die erkennbare Übernahme der schöpferischen Züge konkret in Bezug genommener Werke" schaffen wollen. In Hinblick auf mögliche Nutzungsformen verweist das OLG auf den Diskussionsentwurf der EU aus dem Jahr 2020 (PDF), der beispielsweise Remixes, Memes, GIFs, Mashups, Fan Art, Fan Fiction oder Sampling als übliche Praktiken im "Social Web" nennt.

Wie bei Karikatur und Parodie müsse aber auch der Pastiche die "Auseinandersetzung mit dem vorbestehenden Werk oder einem sonstigen Bezugsgegenstand erkennen lassen". Falls diese "Interaktion mit dem benutzten Werk oder dessen Urheber stattfindet, solle "kreatives Schaffen erlaubt" und ein "Ausgleich zwischen Kreativen" ermöglicht werden.

In Abgrenzung zum "unzulässigen Plagiat" müsse "das ältere Werk allerdings so benutzt werden, dass es in einer veränderten Form erscheint. Dazu reicht es aus, dem Werk andere Elemente hinzuzufügen oder das Werk in eine neue Gestaltung zu integrieren." Das sei bei dem Sample von "Metall auf Metall" der Fall.

Nicht jede Nutzung ist erlaubt

Damit die "transformativen Nutzungen die berechtigten Interessen der Rechtsinhaber nicht beeinträchtigen", führt das OLG Hamburg einen dreistufigen Test durch, um einen "angemessenen Ausgleich zwischen den Interessen und Rechten" des ursprünglichen Urhebers (in diesem Fall Kraftwerk) und des Benutzers (in diesem Fall Moses Pelham) zu gewährleisten.

Eine Nutzung in Form des Pastiches ist nämlich nur dann erlaubt, wenn sie nur in bestimmten Sonderfällen angewandt wird, wenn sie die normale Verwertung des Werkes nicht beeinträchtigt und wenn sie die berechtigten Interessen des Rechteinhabers nicht ungebührlich verletzt. Auch hier kommt das OLG zu dem Ergebnis, dass die Nutzung des Samples erlaubt sei.

Aus dem Urteil sollte man aber nicht schließen, dass Sampling in allen oder den meisten Fällen erlaubt sein wird. Es kommt immer auf den Einzelfall und die konkrete Verwendung des Samples an.

Das Urteil des OLG Hamburg wird sicherlich von höheren Instanzen überprüft werden. Sollte es Bestand haben, wird Sampling in Deutschland und/oder der EU liberaleren Regelungen unterliegen als in den USA. Damit hätte sich die ursprüngliche Ausgangsposition ins Gegenteil verkehrt.

Hohe Dynamik

Copyright oder Urheberrecht sind eben dynamische Rechtssysteme, die ständig in einem Wandel begriffen sind. Das liegt am technischen Fortschritt, an kreativen Innovationen oder an verändertem Nutzerverhalten.

Es wäre ein Fehler, diese komplexen Regelungssysteme auf einige wenige Schlagworte zu reduzieren: die komplexe Realität gibt das nicht annähernd wieder.

Aus dem Urteil sollte man aber nicht schließen, dass Sampling in allen oder den meisten Fällen erlaubt sein wird. Es kommt immer auf den Einzelfall und die konkrete Verwendung des Samples an.

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