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ablehnung im europäischen parlament deutet sich an

Steht ACTA vor dem Aus?

News von Daniel Nagel
veröffentlicht am 29.03.2012

acta

Steht ACTA vor dem Aus?

Selten hat ein völkerrechtlicher Vertrag eine so massive Protestbewegung hervorgerufen wie ACTA. In ganz Europa demonstrieren Bürger gegen das Vertragswerk, das eigentlich internationale Standards im Kampf gegen Produktpiraterie und Urheberrechtsverletzungen etablieren sollte. Nun könnte der Vertrag im Europäischen Parlament scheitern.

Die massiven Proteste in vielen europäischen Staaten gegen ACTA scheinen ihre Wirkung nicht verfehlt zu haben. Der zuständige Ausschuss des Europäischen Parlaments entschied mit überraschend klarer Mehrheit, das Parlament zügig über das Abkommen abstimmen zu lassen und nicht das Urteil des Europäischen Gerichtshofs über ACTA abzuwarten, wie es die EU-Kommission vorgeschlagen hatte. Bereits im Juni oder Juli könnte das Europäische Parlament eine endgültige Entscheidung über das Schicksal von ACTA fällen. Wenn das Parlament gegen ACTA stimmt, ist der Vertrag tot.

Eine rasche Abstimmung macht eine Ablehnung aus verschiedenen Gründen wahrscheinlicher. Zum einen findet sie zu einem Zeitpunkt statt, in dem ACTA noch stark im Bewusstsein der Öffentlichkeit verankert ist. Zum anderen verfügt ACTA im Europäischen Parlament nicht über breite Unterstützung: Keine Fraktion hat sich klar für die Ratifizierung des Vertrags ausgesprochen, Linke, Grüne und Sozialdemokraten eindeutig dagegen und auch aus den Reihen der christdemokratischen bzw. liberalen Fraktionen wurde Widerspruch laut.

Außerdem ist es kein Geheimnis, dass es zum die Beziehungen zwischen EU-Kommission und Europäischem Parlament nicht zum besten bestellt ist: Die Entscheidung des Parlaments, gegen den Willen der Kommission ACTA bald zur Abstimmung zu stellen, könnte also dazu dienen, den Vertrag scheitern zu lassen. Die EU-Kommission hält aller Widerstände zum Trotz an ACTA fest und macht eine "aggressive pan-europäische Kampagne" für die Proteste verantwortlich. In einem Sachstandsbericht, der heise online zugespielt wurde, wird aber deutlich, wie schlecht es um ACTA bestellt ist.

Bedroht ist ACTA nämlich von drei Seiten: Nach dem Willen der EU-Kommission soll der Europäische Gerichtshof entscheiden, ob ACTA mit den Europäischen Grundrechten und dem Europäischen Gemeinschaftsrecht insgesamt vereinbar ist. Daran könnte der Vertrag ebenso scheitern wie an der Ablehnung des Europäischen Parlaments. Eine dritte Möglichkeit des Scheiterns besteht darin, dass die Mitgliedsstaaten der EU, deren Zustimmung zwingend erforderlich ist, den Vertrag nicht ratifizieren.

In einem indirekt wiedergegebenen Vortrag des Vortrag des für ACTA zuständigen EU-Kommissar Karel de Gucht klingt das dann so: "22 Mitgliedsstaaten hätten das Abkommen bisher gezeichnet, die verbleibenden fünf seien zur Zeichnung verpflichtet. Die Kommission habe wenig Verständnis für manche Äußerungen aus den Mitgliedsstaaten in der letzten Zeit."

Diese Äußerungen sind deshalb bemerkenswert, weil sie verdeutlichen, welche Hürden ACTA auf der Ebene der EU-Mitgliedsstaaten überwinden müsste, um jemals in Kraft zu treten. Damit das geschieht, müssen die Parlamente aller siebenundzwanzig Mitgliedsstaaten zustimmen. Kein einziger Mitgliedsstaat hat ACTA bislang ratifiziert, aber Polen, Tschechien, die Slowakei, Slowenien, Lettland, Litauen, Rumänien, Bulgarien, die Niederlande, Österreich und Finnland haben die Ratifikation ausgesetzt. Deutschland hat den Vertrag nicht einmal unterzeichnet. Die EU-Kommission sieht buchstäblich ihre Felle davonschwimmen.

Die EU-Kommission argumentiert, ACTA sichere den Schutz des geistigen Eigentums. Das darf angesichts der geringen Zahl der Unterzeichner von ACTA doch sehr bezweifelt werden. Unterschrieben haben ACTA nämlich nur die EU, die USA, einige weitere "westliche Demokratien" wie Australien und Kanada sowie ein paar weitere Staaten. Abwesend sind alle Länder, in denen Produktpiraterie eine große wirtschaftliche Rolle spielt, beispielsweise China. Überhaupt haben nur wenige afrikanische, arabische, südamerikanische und asiatische Staaten ACTA unterzeichnet.

Interessanterweise betrachten die USA ACTA nicht als völkerrechtlichen Vertrag, sondern als Regierungsabkommen. Das bedeutet, die USA werden den Vertrag nicht ratifizieren (was eine schwer zu erhaltende 2/3-Mehrheit im Senat erfordern würde), sondern lediglich als unverbindliche Empfehlung betrachten, die alle anderen Staaten bindet, aber nicht sie selbst. Welchen Nutzen soll ein solcher Vertrag aber dann erzielen? Das fragt sich offensichtlich auch das Europäische Parlament, und zwar in dieser Einschätzung.

Selbst wenn ACTA scheitert, wird die Diskussion um ein zeitgemäßes Urheberrecht weitergehen. Die Frage, ob und wie illegale Downloads von Musik und Filmen zu stoppen sind, wird uns noch viele Jahre beschäftigen.

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