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Nach Schließung des Leipziger Clubs "Distillery"

LiveKomm fordert nationale Maßnahmen gegen Clubsterben

Spezial/Schwerpunkt von Daniel Nagel
veröffentlicht am 23.05.2023

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LiveKomm fordert nationale Maßnahmen gegen Clubsterben

Distillery Garten. © Distillery

Der Leipziger Traditionsclub Distillery muss am 31. Mai 2023 die Türen schließen und ist damit das jüngste Opfer des anhaltenden Clubsterbens. Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken, formuliert die LiveKomm in einem 15-Punkte-Plan Forderungen zur Verbesserung der rechtlichen Rahmenbedingungen von Musikclubs.

Wie so viele andere Clubs fiel der bundesweit bekannte Techno-Club Distillery "deutschlandweit wirksamen Verdrängungsprozessen" zum Opfer. Im Klartext: Auf dem Gelände soll ein neues Wohnviertel entstehen. Ähnliche Entwicklungen lassen sich überall in Deutschland beobachten

Dem Aus ging ein jahrelanger Kampf voraus, der aber trotz positiver Beschlüsse des Leipziger Stadtrats zum Nachteil des Clubs ausging. Ob der Club an einem anderen Standort eine Zukunft hat, ist aktuell unklar. 

Gelegenheit zum Schutz der Clubkultur

Laut LiveKomm zeigt der Fall, dass die Instrumente zum Schutz der Clubkultur bei weitem nicht ausreichen würden. Politische und gesetzgeberische Maßnahmen seien dringend erforderlich. Noch 2023 bestünden Gelegenheiten, Verbesserungen vorzunehmen, denn die Technische Anleitung zum Schutz gegen Lärm (TA Lärm) und die Baunutzungsverordnung sollen entsprechend dem Koalitionsvertrag novelliert werden. 

Änderungen sowohl der TA Lärm als auch der Baunutzungsverordnung sind im Bundesrat zustimmungspflichtig, weshalb neben Bundesministerien auch die Bundesländer in die Beschlussfassung eingebunden werden müssen.

Als Beitrag zu dieser Diskussion veröffentlichte die LiveKomm einen Forderungskatalog mit 15 Punkten. [Link zum PDF

Musikclubs neu einstufen

Die LiveKomm fordert, Musikclubs "mit nachweisbar kulturellem Bezug" gemäß Koalitionsvertrag bei der nächsten Novelle des Baugesetzbuchs als Anlagen kultureller Zwecke im Sinne der Baunutzungsverordnung (BauNVO) einzuordnen. 

Es handelt sich dabei um eine alte Forderung, die trotz jahrelanger Bemühungen und eines entsprechenden Bundestagsbeschlusses bislang nicht umgesetzt wurde.

Nach den Plänen der LiveKomm soll diese Regelung an § 13a BauNVO (isolierte Regelungen zu Ferienwohnungen) angelehnt werden, damit der Wille des Verordnungsgebers explizit in einem eigenständigen Paragraphen zum Ausdruck kommt. 

Damit beabsichtigt ist neben der rechtlichen Aufwertung auch eine symbolische Stärkung von Livemusikclubs in der gesellschaftlichen Wahrnehmung. Darüber hinaus sollen Anlagen kultureller Zwecke auch in Gewerbe- und Industriegebieten zulässig sein.

Kulturelle Orte gesetzlich schützen

Die LiveKomm beabsichtigt zudem, kulturelle Orte als Schutzgüter zu behandeln und schlägt daher ein Bundeskulturraumschutzgesetz vor. Kulturorte seien teilweise über Jahrzehnte gewachsen und hätten maßgeblich zu Kulturförderung, Stadtentwicklung und Identitätsbildung beigetragen. Sie würden bei Verdrängung Gefahr laufen, unwiederbringlich verloren zu gehen. 

Daher sollte es oberster Grundsatz sein, vermeidbare Verdrängungen solcher Räume zu unterlassen. Unvermeidbare Verluste sollten durch Ausgleichs- oder Ersatzmaßnahmen kompensiert werden, was Investoren verpflichten würde, betroffene Kulturorte bei der Suche nach Ersatzstandorten zu unterstützen.

Wohnbebauung darf Clubs nicht schaden

Entstehende Wohnbebauung soll jedenfalls benachbarten Liveclubs nicht schaden. Aktuell genießen aber Wohnungsbauprojekte nach bestandskräftiger Baugenehmigung Bestandsschutz, was dazu führen kann, dass benachbarte Musikclubs nach dem Verursacherprinzip wegen des von ihnen ausgehenden "Lärms" unter Druck geraten und im schlimmsten Fall sogar schließen müssen.

Die LiveKomm schlägt vor, das Verursacherprinzip umzukehren und bestehende Liveclubs vor heranrückender Wohnbebauung zu schützen und sicherzustellen, dass diese trotz geänderter Rahmenbedingungen bestehen bleiben können. Um die Kulturorte im Vorfeld zu identifizieren, soll die Einführung flächendeckender Kultur-Kataster in der Stadtplanung verbindlich werden.

Investoren und Städte verpflichten

Die Umsetzung solcher Regelungen würde Investoren dazu zwingen, Clubs aktiv zu schützen und ihre Existenz nicht durch neue Wohnungsbauprojekte in Frage zu stellen. Die Suche nach Ersatzstandorten ist dabei nicht die einzige Möglichkeit.

Gerade bei Bauprojekten wie in Leipzig stellt sich auch die Chance, einen bestehenden Club (eventuell in Form eines städtisch finanzierten oder bezuschussten Neubaus) in ein neu entstehendes Wohnviertel zu integrieren, so wie das beispielsweise bei der halle02 in Heidelberg der Fall war.

Einrichtung eines Bodenfonds

Zudem solle ein "Bodenfond für Live-Kultur" eingerichtet werden, der den Kauf oder die Übernahme von Grundstücken und Liegenschaften ermöglicht, um Kulturräume und Flächen für (Pop)Kultur in Deutschland zukünftig zu erwerben, zu sichern und langfristig zu erhalten. 

In diesem Zusammenhang könnte auch die 2021 gegründete Bundesstiftung LiveKultur eine wichtige Rolle spielen. Sie wäre in der Lage, die Clubs nach Erwerb der Grundstücke mit langfristigen Mietverträgen auszustatten.

Paradigmenwechsel beim Schallschutz

Zu den weiteren Forderungen der LiveKomm zählt ein Schallschutzprogramm, das die Übernahme baulicher Maßnahmen und die Einrichtung von Konfliktlösungsmechanismen zwischen Liveclubs und Anwohnern finanziert. 

Zudem strebt die LiveKomm die Verabschiedung einer Kulturschallverordnung an, die sicherstellen soll, dass Livemusikclubs nicht wie andere Lärmquellen behandelt werden sollen. Weitere Informationen findet ihr in diesem Artikel.

Neuer Umgang mit Clubs

In einigen Punkten erscheinen die Aussichten auf die Umsetzung der Forderung der LiveKomm günstig. Die Einstufung von Musikclubs als Kulturorten wurde etwa vom Bundestag bereits beschlossen, aber vom zuständigen Ministerium bislang nicht umgesetzt.

Eine Umsetzung wäre aber bedeutsam, denn sie könnte einen grundsätzlichen Wandel im Umgang mit der Clubkultur auslösen. Jedenfalls wäre die Einstufung von Clubs als Kulturorte ein wichtiges Signal, dass Livemusikclubs grundsätzlichen Schutz verdienen. 

Chancen der Umsetzung

Auf dieser Basis wäre es möglich, andere rechtliche Bestimmungen zu ändern: Wenn die Forderungen der LiveKomm umgesetzt werden, müssten Städte die Existenz von Clubs bei der Stadtplanung berücksichtigen und Investoren wären dazu angehalten, die Existenz dieser Spielstätten zu sichern, entweder durch Einbeziehung der Clubs in die Planung ihrer Projekte oder in der Unterstützung bei der Suche nach Ersatzstandorten.

Man sollte sich nicht täuschen: Es wird einige Zeit vergehen, bis auch nur ein Teil dieser Forderungen umgesetzt wird. Dennoch ist die Gelegenheit zumindest einen Grundschutz von Musikclubs zu erreichen, aktuell vielleicht so gut wie schon lange nicht mehr. Es gilt die Chance zu nutzen.

Um diesen Forderungen Nachdruck zu verleihen hält die Distillery in Kooperation mit der LiveKomm am 29. Mai eine Kundgebung vor den Türen des Clubs unter dem Motto #clubsAREculture ab.

Locations

Distillery

Distillery

Kurt-Eisner-Str. 108, 04275 Leipzig

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