Joan Baez (live in Mannheim 2010) - Foto: Rudi Brand Fotostrecke starten

Joan Baez (live in Mannheim 2010) - Foto: Rudi Brand © Rudi Brand

An diesem Abend rückte man eng zusammen im Rosengarten. "Restlos ausverkauft" ließ man an der Abendkasse verkünden und dies war keiner geringeren zu verdanken, als der amerikanischen Folklegende Joan Baez. Nachdem man dieser strahlenden Frau mit der so gläsernen Sopranstimme ganz andächtig fast zwei Stunden lang gelauscht hat, stellt sich einem als Schreiberling folgende Frage: Kann man eigentlich einen Konzertbericht über Joan Baez schreiben, ohne darin gesellschaftskritisch zu werden?

{image}Zunächst brauchte man sich darüber noch keinen Kopf zu zerbrechen. Es hatte alles noch recht harmlos angefangen. Als es sich alle auf ihren Plätzen gemütlich gemacht hatten, wartete man ganz gebannt auf den Auftritt von Joan Baez. Als diese jedoch nicht wie geplant um Punkt 19.30 Uhr auf der Bühne erschien, wurde sie mit inständigem Applaudieren auf jene gefordert. Frau Baez ließ sich auch nicht lange bitten und erschien kurze Zeit später ganz in elegantem Schwarz gekleidet mit ihrer vierköpfigen Band – allesamt Männer – auf der Bühne des Mozartsaales. Es gab keine Begrüßung. Nur ein Ton. Dann die Melodie. Und das Publikum wusste sofort Bescheid. Es brauchte keine Begrüßung. Mit dem traditionellen amerikanischen Folksong Lily of the West, das nicht zuletzt durch die Interpretation von Baez weltweit bekannt wurde, hatte sie das Publikum sofort auf ihrer Seite.

Obwohl die Band durch den Hintergrund in ein lila-türkises Licht gesetzt wurde, erschien vor allen Dingen Joan Baez zunächst noch etwas unsicher und bedrückt. Nachdem sie jedoch nach diesem rasanten Einstig vom Publikum jubelnd willkommen geheißen wurde, versprach sie, dass es noch ein langer Abend werden würde mit "50 years to travel" von den Songs ihres neuen Grammy-nominierten Albums Day After Tomorrow, bis hinzu den legendären alten Songs.

{gallery 2,5}

Es bleibt einem nicht viel anderes zu sagen, als dass die Reise durch das musikalische Meisterwerk von Joan Baez definitiv gehalten hat was anfangs versprochen wurde, wenn nicht sogar noch viel mehr. Obwohl sich auf dem neuen Album natürlich auch wieder Baez-typische Antikriegslieder finden lassen, wie zum Beispiel Scarlet Tide, das zweite Lied an diesem Abend, von T-Bone Burnett und Elvis Costello geschrieben, wurde die musikalische Reise durch das Lebenswerk von Joan Baez jedoch vor allen Dingen von einer spannenden Vielfalt geprägt. Es wurde nicht nur ganz leise aber bestimmt protestiert, sondern auch alte Liebeswunden wurden mit sanftem Humor verarbeitet und sogar spanischer Wehmut entfacht. Außerdem schien es als hätte man an diesem Abend insbesondere eines geschafft: nicht nur die Musik sondern auch das Publikum zu seinen Ursprüngen zurückzuführen. Dies zeigte sich ganz deutlich in der Verwandlung des hauptsächlich von Vertretern des 50+ geprägten Publikums, welche mit jedem weiteren Lied ein Stück ihrer Jugend und der tief begrabenen Ideale zurückzuerlangen schienen. Insbesondere bei den Liedern Love Song to a Stranger, der beinahe in akzentlosem Deutsch gesungenen Version von Sag mir wo die Blumen sind, oder auch bei dem Lied Suzanne wünschte man sich förmlich die positive und hoffnungsgeladene Energie des Publikums bündeln und einfangen zu können. Man könnte es fast schon magisch nennen, wie Joan Baez es schafft, mit ihren fast 70 Jahren noch so eine Kraft, Hoffnung und Lebendigkeit nicht nur in sich zu tragen sondern auch noch weiterzugeben.

{gallery 7,5}

Mit ihrem großartigen musikalischen Reichtum und einer nicht weniger großartigen Band, bestehend aus dem Bassisten John Doyle, dem Multi-Instrumentalist Dirk Powell, dem Gitarristen Todd Philipps sowie Baezes Sohn Gabriel Harris an der Percussion, schaffte sie an diesem Abend einen spielenden Wechsel von traditioneller amerikanischer Folkmusik, zum Blues, zu Ragtime bis hinzu traditionellem Gospel, wie mit dem Lied Gospel Ship.

Natürlich wurde auch auf dieser musikalischen Reise ihr früherer Partner und musikalischer Begleiter Bob Dylan, der gerade mit dem Kunstpreis des Weißen Hauses ausgezeichnet wurde, nicht verleugnet und Joan Baez würdigte ihn wie immer auf ihre Art und Weise mit einer genialen Imitation des Dylan-Klassikers Don’t Think Twice, It’s All Right und ihrem legendären Diamond and Rust. Es dürfte an diesem Abend allen klar geworden sein wer als erhabener Gewinner aus dieser Verbindung emporgestiegen ist.

{gallery 13,5}

Nachdem Joan Baez, ohne sich auch nur eine Pause gegönnt zu haben, nach Jerusalem dem vorerst letzten Lied des Abends die Bühne für einen kurzen Augenblick verlassen hatte, brach nicht nur ein tobender Applaus aus, sondern es gab auch stellenweise Standing Ovations und die Leute konnten sich teilweise nicht einmal mehr auf ihren Plätzen halten. Sie wollten noch näher an ihr Idol herankommen und begaben sich daher für die Zugabe direkt vor die Bühne. Joan Baez ließ wieder nicht lange auf sich warten und beglückte das Publikum nicht nur mit einer, sondern gleich vier Zugaben: The Night They Drove Old Dixie Down, Gracias a la Vida, John Lennons Imagine und ganz überraschend und definitiv als einer der Highlights des Abends anzusehen, folgte als vierte und letzte Zugabe Joan Baezes Interpretation des Bettina Wegner Klassikers Sind so kleine Hände. Schließlich verließ Joan Baez dann unter heftigem Beifall die Bühne mit den noch lange nachwirkenden Sätzen: "Grade klare Menschen, wär’ ein schönes Ziel. Leute ohne Rückgrat, hab’n wir schon zuviel."

{image}Mit der Interpretation des Wegner Klassikers lässt sich das Phänomen und die Legende Joan Baez am anschaulichsten erklären. Natürlich stand auch an diesem Abend im Rosengarten während der fünfzigjährigen Zeitreise mit Joan Baez ganz klar ihr musikalische Talent im Vordergrund, doch ihre Ausstrahlung und ihr unbändiger Lebenshunger welcher sich in jedem Ton miterstreckt, haben den größten Anteil daran, dass ein Konzert von Joan Baez eben mehr als nur ein Konzert ist. Es ist ein klares Statement zu mehr Engagement, mehr Idealismus, mehr Leben.

Am Ende angekommen sollte sich der Kreis nun wieder schließen. Bleibt also noch die Frage zu Beginn. Ich muss mich jedoch entschuldigen. Ich muss die Frage ganz klar anders stellen. Will ich eigentlich einen Konzertbericht über Joan Baez schreiben ohne gleich politisch und gesellschaftskritisch zu werden? Lasst mich mit Bob Dylan antworten:

"May you always know the truth
And see the lights surrounding you
May you always be courageous
Stand upright and be strong
May you stay forever young"

Ich wünsche mir mehr Joan Baezes in dieser Welt. May your song always be sung.

Alles zum Thema:

joan baez