Tocotronic

Tocotronic © Sabine Reitmeier

Die Band Tocotronic gilt als eine der wichtigsten Vertreter der Hamburger Schule und hat die deutsche Musik stark geprägt. regioactive.de traf den Bassisten Jan Müller und den Schlagzeuger Arne Zank in Berlin und sprach mit ihnen über ihr neues Album "Schall & Wahn", das Aufbegehren, den Zweifel, die Macht und die Liebe, sowie über die deutsche Musikszene, Radio, Fernsehen, Musikdownloads und über die Förderung von Kunst und Kultur.

{image}RA: Euer neues Album heißt Schall & Wahn. Wie definiert ihr und was bedeutet der Begriff "Wahn" für euch?
Jan: Zunächst einmal erscheint uns der Begriff als eine sehr große Geste und im engeren Sinne ist Wahnsinn etwas, wo man sich fragen kann, ob es nicht auch Poserei ist, wenn man diesen Zustand für sich in Anspruch nimmt. Aber andererseits finde ich schon, dass man beim Musizieren den Geist öffnet und dort an seine Grenzen stößt. Ehrlich gesagt fällt es mir jetzt schwer, eine genaue Definition dieses Begriffes zu geben, aber erst einmal verbinden wir damit etwas Offenes und Positives. Das bezieht sich dabei natürlich auch auf die textliche Ebene des Albums und wie die Begriffe "Schall" und "Wahn" an sich funktionieren. Im Idealfall verbinden sich diese beiden Ebenen.

Arne: Ja, und ganz genaue Erklärungen mag man da selber auch gar nicht suchen, weil man sowieso oft nur vom Klang der Worte ausgeht. So hieß das Stück zuerst einfach so und wenn man sich dann für einen Albumtitel entscheidet, ist es manchmal nur ein bestimmter Klang, der entscheidet, ob dies ein Oberbegriff oder eine Perspektive sein könnte, wie man das Album betrachten kann. Und das fanden wir in dem Fall ganz passend. Das Muszieren an sich zu thematisieren und wie man dabei durch das Musizieren in Rauschzustände geraten oder das Bewusstsein verlieren oder erweitern kann. Und dass dies einem mehr bedeutet, als ein Festhalten an den realen Umständen, in denen man sich ja sowieso bewegt.

Jan: Vielleicht ist der Titel auch ein Gegenstatement, weil man mittlerweile oft das Gefühl hat, dass sich ein Teil der Rock-und Popmusik zu sehr im Alltag bewegt. Wir sind da ganz anders aufgewachsen und soziologisiert. Ich finde, dass Musik eher Grenzen sprengen sollte, als sich in so ein kleines Nestchen zu begeben.

Im Promo-Text konnte ich lesen, dass das neue Album der Abschluss einer Berlin-Trilogie wäre. Was hat es damit auf sich und wie seid ihr auf darauf gekommen? Klingt ja etwas hochtrabend…

{image}Jan: (lacht) Ja, das dachten wir auch und fanden es eigentlich ganz schön! Und klar, den Begriff "Trilogie" kennt man oft aus Filmen. Wobei ich finde, dass es ja oft der Fall ist, dass der erste Teil gut, der zweite Teil nur noch mittelmäßig und der dritte Teil dann das schwächste Glied der Reihe ist. Aber davon abgesehen: Uns fiel das mit der "Trilogie" eigentlich erst jetzt bei der Arbeit an dem neuen Album auf. Und dann dachten wir, dass die Platten Pure Vernunft Darf Niemals Siegen, Kapitulation und jetzt eben Schall & Wahn doch in vielerlei Hinsicht etwas miteinander zu tun haben. So sind sie alle von Moses Schneider produziert und am selben Ort aufgenommen worden. Dazu ist seit der Pure Vernunft Darf Niemals Siegen-Platte Rick McPhail mit dabei. Außerdem haben die Alben alle gemeinsam, dass sie als "Live-Aufnahme" aufgenommen worden sind. Das ist ja das Prinzip von Moses Schneider. Was bei der Pure Vernunft Darf Niemals Siegen-Platte begonnen hatte, ist mit Schall & Wahn nun vollendet worden.

Wie war die Zusammenarbeit mit Moses Schneider?

Jan: Eigentlich ist man ja nie lange bei ihm im Studio. Das geht immer recht schnell. Ich finde, er hat das Genie, eine große Verdichtung zu erzeugen. So gibt es bei ihm im Studio oftmals einen magischen Moment. Und das finde ich eigentlich sehr schön. Dass man bei ihm zwar nur sehr kurze Zeit im Studio verbringt, aber trotzdem sehr konzentriert arbeitet. Wie er das genau macht, ist mir allerdings auch nicht klar.

Arne: Das ist mir ebenfalls schleierhaft. Allerdings bereitet er die Aufnahmen lange vor. Man trifft ihn dann auch im Proberaum, wo er dann schon immer an der Entwicklung von Aufnahmekonzepten arbeitet. Konzepte, die er für jedes Album neu entwirft. Es ist auch oft interessant, mit ihm darüber zu reden. Diesmal hat er zum Beispiel Hitchcock-Bücher über Hitchcock-Filme gelesen. Dadurch kam er auf die Idee eine Sprache zu verwenden, die eher aus dem Filmbereich stammt und die klanglich verschiedene Perspektiven einnimmt, und dadurch einen Sound zu schaffen, aus dem man heran- und wegzoomen kann.

Jan: Da wird von seiner Seite aus auch sehr viel experimentiert. So gab es eine sehr dichte Mikrofonierung bis in die hintersten Ecken des Raumes. Das Gute war: Wir haben in einem Raum gearbeitet, wo Moses schon eine Platte von uns und ansonsten auch schon unzählige Platten von vielen anderen Bands aufgenommen hat. Er kennt den Raum in- und auswendig und konnte dadurch sehr experimentelle Techniken anwenden. Mit einem Ergebnis, mit dem man dann eigentlich rechnen konnte.

Ja, das Album klingt für mich sehr groß und filmisch.

Arne: Ja, genau das kam uns auch sehr entgegen, weil wir an sich vom Gesamtsound und den Arrangements wieder opulenter werden wollten. Und die Zusammenarbeit mit ihm ist und war eben sehr fruchtbar. Wenn man mit jemanden zusammenarbeitet, muss man ja möglichst immer eine gemeinsame Sprache finden und das klappt mit ihm wirklich ganz gut.

In eurem neuen Song Die Folter Endet Nie fordert ihr an einer Stelle "eine Lanze für den Widerstand". Das klingt ja fast wie eine Hymne für den Widerstand. Im Moment rufen an den Unis ja auch zahlreiche Studenten zum Widerstand gegen die Bildungsreformen aufgrund von Bachelor und Master auf. Was haltet ihr davon?

{image}Jan: Ich habe dazu eine sehr distanzierte Meinung, weil wir die Uni ja schon lange ohne Abschluss verlassen haben. Aber natürlich ist das erst einmal eine gute Sache, wenn man für das Recht auf Bildung kämpft. Aber es fällt uns schwer, da jetzt irgendwelche Anleitungen zu geben. Denn das Stück Die Folter Endet Nie erklärt den Widerstand ja aus einer sehr verwundeten Position heraus. Wenn man vom Stück Kapitulation von der letzten Platte ausgeht, setzt man sich zwar einem gewissen Widerspruch aus, aber es ist ja jetzt nicht das rein kämpferische Lied, sondern es ist so, dass man hier eher als Gemarteter den Widerstand erklärt.

Widerstand ist durchaus ein wiederkehrendes Motiv in euren Songs. Was haltet ihr denn von Harmonie?

Jan: Das ist eine Strategie, das wurde von uns ja mal gedichtet. Naja, ich finde, es ist etwas schwierig, das allgemein zu beantworten, aber es ist jetzt erst einmal nicht das, was das Wichtigste am Spielen in einer Band ist. Ich glaube, da kommt es eher auf andere Sachen an. Wenn darüber hinaus Harmonie entsteht, ist das natürlich eine schöne Sache.

Arne: Da man eine gewisse Tendenz zur Harmoniesucht hat, ist das ein weiter Bereich.

Ein anderer Song heißt Macht Es Nicht Selbst. Da beschreibt ihr eine Verweigerungshaltung, sich Dingen zu entziehen, anstatt immer auf die inneren Dämonen zu hören oder sich Verpflichtungen zu stellen.

Arne: Ich glaube, das ist grundsätzlich die Aufgabenstellung, die wir in einer Rockband gerne annehmen und was wir an der Musik mochten, mit der wir aufgewachsen sind. Musik, die immer einen befreienden Impuls hat und eben nicht zur Pflichterfüllung aufruft, was um uns herum ja genug geschieht, sondern dass diese zum Widerstand und manchmal auch gerne zur blinden Destruktivität, zum Zerschlagen von bestehenden Strukturen aufruft. An der Rockmusik mögen wir das Rebellische. Und da uns diese Form gefällt, arbeitet man sich daran dann auch ab. Und vielleicht ist es auch das, was wir am Besten können.

Wenn man sich gegen etwas auflehnt, dann beinhaltet das ja auch ein Zweifeln am Jetzt. Ein Song auf dem neuen Album ist Im Zweifel Für Den Zweifel und an einer Stelle in Keine Meisterwerke Mehr singt ihr: "Und aus tausend Gerüchten werden wir die Zweifelshefe züchten". Wie wichtig ist das Zweifeln für euch?

{image}Jan: Ich glaube, der Zweifel ist ein wichtiger Motor für unser Schaffen. So paradox das klingt, aber wenn ich jetzt einmal zurückblicke, wie die Platte entstanden ist, vor allen Dingen im Prozess des Arrangierens der Stücke, so haben wir doch immer wieder sehr viel verworfen. Und ich finde das eigentlich eine sehr viel fruchtbarere Arbeitsweise, als zu denken, dass man schon genau wisse wie's geht und Einflüsse von außen nicht wahrnimmt, da man denkt, diese nicht zu brauchen. So eine Haltung finde ich einfach nur ganz furchtbar, engstirnig und öde.

Arne: ...und sie bringt nur sehr langweilige Ergebnisse mit sich.

Jan: Deshalb glorifiziert ein Stück wie Keine Meisterwerke mehr auch so ein bisschen das Unfertige und Hexenhafte.

Arne: Wenn man den Zweifel mit einlädt und dem Fragment frönt, dann glaube ich, dass das Schöne am Unfertigen ist, dass man immer weiter spielen kann und es einfach nicht langweilig wird. Perfektion ist dagegen letztlich ja der Tod und etwas Vollendetes.

Weitere Themen auf eurem neuen Album sind die Macht und die Liebe. Das drückt ihr vor allem im Song Gesang des Tyrannen aus. Da heißt es an einer Stelle: "Meine Herrschaft beherrscht mich". Wie verändert einen die Macht?

Jan: Das ist ja eine sehr komplizierte Frage. Da könnte man ja schon eine Doktorarbeit drüber schreiben. Ich denke, dass wir uns zuerst eigentlich nicht als Personen wahrnehmen, die über Macht verfügen. Weil wir ja im weitesten Sinne eher Künstler sind. Ich weiß nicht, aber das ist eine Frage, die vielleicht für Herrn Westerwelle in vier oder fünf Jahren gut passen würde.

Die Macht und ihre Wirkung auf Politiker – das ist ja noch einmal ein ganz anderes Thema.

Jan: Ja, vor ein paar Wochen gab es im Gropiusbau eine interessante Ausstellung namens "Gesichter der Macht" von Herlinde Koelbl zu sehen. Da hat die Fotografin verschiedene Politiker wie Gerhard Schröder oder Angela Merkel über einen längeren Zeitraum fotografiert und dadurch die Veränderungen in den Gesichtern und den Gesichtszügen dokumentiert. Das fand ich einen sehr interessanten Gedanken, aber ich habe es mich für unsere Band noch nie gefragt, weil man ja auch nicht anstrebt, die "mächtigste" Band zu werden. Und um zum anderen Punkt zu kommen: Die Verbindung von Begriffen oder Themen wie Liebe und Macht, das ist etwas, was Dirk bei den Texten zu den Songs zum neuen Album sehr stark beschäftigt hat. Was mich da besonders gefreut hat war, dass Dirk den Mut hatte, die Liebe als Machtinstrument und wie dazu benutzt wird in Rocksongs zu thematisieren. Denn ich finde, das ist schon etwas sehr Neues. Ich meine, ich kenne das vor allem aus dem Filmbereich. Da ist das eines der großen Themen, zum Beispiel von Fassbinder, den ich im Übrigen sehr schätze, weil er die Liebe genau von dieser Seite, als Machtinstrument, betrachtet hat.

Weiter geht es auf eurem neuen Album auch noch um Laster wie Neid, Gier, Feigheit…

Jan: Ja, da geht es dann natürlich auch viel um die Umdeutung dieser Begriffe.

Arne: Und um das Unmoralische oder Antimoralische. Das ist in der Rockmusik ein klassisches Thema, welches man gerne wieder aufbrüht oder, anders ausgedrückt, gerne wieder in die Lieder einschreibt.

Wobei das in der deutschen Musik heutzutage ja teilweise alles sehr oberflächlich ist…

Arne: Das muss man manchmal mit der Lupe suchen, das stimmt! Aber deswegen brauchen wir so etwas umso dringender.

Kennt ihr neue deutsche Bands, bei denen ihr denkt, dass diese noch etwas zu sagen haben?

{image}Arne: "Neue" Bands, das ist eine Aufgabenstellung für sich.

Jan: Etwas Fremdes finde ich manchmal sehr sympathisch. Das höre ich zwar privat nicht so sehr, aber es gibt bestimmt immer wieder mal Bands, die spannend sind. Mir fallen jetzt gerade zum Beispiel 1000 Robota aus Hamburg ein. Ich glaube, ich verstehe es zwar nicht so ganz, aber diese Gruppe und welchen Ansatz sie verfolgen finde ich schon interessant. Und ansonsten fällt mir da noch Phantom/Ghost und so ein.

Arne: (lacht) Schöne Eigenwerbung!... Gerade neuerdings gibt es schon einige interessante Sachen. Vor allem finde ich es oftmals erstaunlich, welch begabte und hochtalentierte Leute es gibt und was für ein gesundes Bewusstsein sie mitbringen. Manchmal kommt man sich da schon ganz schön alt vor und man empfindet sie wiederum als viel schlauer, wenn man sieht, wieviel bewusster sie mit dem umgehen, was sie machen. Das mussten wir früher oft alles erst einmal lernen. Zum Beispiel, was man über diese Musik-Geschäfts-und Medienwelt wissen muss. Das finde ich sehr schön zu sehen.

Wenn ihr auf Tour geht, versucht ihr dabei junge Bands zu unterstützen, indem ihr sie als Vorband bucht?

Jan: Ja, normalerweise wählen wir eigentlich immer selbst aus, wer vor uns spielt. Für die neue Tour sind wir noch nicht ganz am Ende unserer Forschungen angelangt, aber es wird wahrscheinlich schon jemand sein, der wesentlich jünger ist, als wir selbst.

Arne: Sowieso kommen dann immer auch noch andere Umstände hinzu, die die Entscheidung beeinflussen. (Anmerkung der Redaktion: Dillon wird Tocotronic auf der kommenden Tour begleiten.)

Mit Stürmt Das Schloss seid ihr, genau wie mit Sag Alles Ab vom letzten Album Kapitulation, auch wieder sehr direkt. Dirk von Lowtzow geht da sehr enthusiastisch aus sich heraus. Ist das eine Zurückbesinnung auf euer älteres Material? Und trennt ihr altes mit neuem Werk oder bevorzugt ihr lieber das alte oder neue Liedgut?

Arne: Ja, die Songs sind recht schnell, oder? Wir waren selbst überrascht, wie flott wir da spielen können.

Jan: So wie diese drei neuesten Alben eine Trilogie waren, so gibt und gab es auch bei unserer Band bisher drei Phasen. Die Frühphase, die mittlere Phase und die aktuelle Spätphase. Und die letztere wird dann vielleicht irgendwann einmal die zweite, mittlere Phase sein.

Arne: (schmunzelt) Man könnte sie vielleicht auch als rote, gelbe und grüne Phase bezeichnen.

Jan: Genau, man teilt sich das dann doch schon vor allem eher scherzhaft in verschiedene Perioden ein. Was ich ganz langweilig fände, wäre, wenn jetzt der Eindruck entstehen würde, dass genau dieser Song wie etwas vom letzten Album und ein anderer Song wiederum wie ein Song von einem noch älteren Album klingt. Aber klar, es gibt Stücke, wie Sag Alles Ab oder Stürmt Das Schloss, die sich irgendwie aufeinander beziehen. Hier allein schon durch den Imperativ, der beiden innewohnt. Aber es gibt auch viele andere Stücke. Wie zum Beispiel Bitte Oszillieren Sie. Das erinnert mich von Musik und Thema her persönlich an ein viel älteres Stück namens Die Sache Mit Der Team Dresch Platte. Und ich finde das eigentlich schon schön, wenn man ein bisschen aus der eigenen Geschichte schöpfen kann und daraus dann trotzdem wieder etwas Neues entsteht.

Fällt es euch schwer, altes und neues Material auf euren Konzerten zu kombinieren?

Jan: Eigentlich gar nicht! Es gab vor ein paar Jahren mal so eine Phase, als wir dachten, dass wir ein paar alte punkrockmäßige Songs zum Schluss machen müssen, aber das ist uns irgendwann wahnsinnig auf die Nerven gegangen.

Arne: Da musste man sein Set schon ganz schön in Blöcken sortieren. Das hat uns nicht so behagt. Aber inzwischen sieht alles ganz schön aus.

Jan: Mal schauen! Wir haben das Programm für die nächste Tour ja noch nicht ausgearbeitet: Vielleicht stoßen wir dann noch an Hürden, die wir jetzt gar nicht erwarten, aber eigentlich sind wir ganz erwartungsfroh.

Ok, dann möchte ich mit euch jetzt noch auf die Kunst und Kultur allgemein zu sprechen kommen. Künstlern fällt es wegen der Finanzkrise im Moment ja immer schwerer, sich zu finanzieren. Habt ihr Vorschläge, wie man diese Situation in Zukunft verbessern und Kunst oder Kultur fördern kann?

{image}Jan: Was die Popmusik angeht, bin ich da eher skeptisch. Aber ich denke, es gibt auf jeden Fall in vielen kulturellen Bereichen die Notwendigkeit der Förderung. Im Moment gibt es ja auch ein paar große Entrüstungen. Wie in Hamburg zum Beispiel über die Kürzung des Kulturetats. Dem möchte ich auf jeden Fall zustimmen, dass das nicht angeht, weil es auch einfach Bereiche gibt, die sich nicht als Geschäftsmodell tragen können. In der Popmusik sieht es da schon ein bisschen anders aus. Ich bin mir gar nicht sicher, ob da eine kulturelle oder staatliche Förderung wünschenswert ist. Denn das bedeutet auch immer Beeinflussung.

Arne: Ja, da habe ich auch kein gutes Gefühl dabei. Wobei es letztlich so ist, dass – wenn man die Unabhängigkeit einfordert – man als Künstler auch das Recht dazu hat. Trotzdem kriege ich bei der Thematik Beklemmungen, weil man auch selbst klein angefangen hat und dabei immer einen riesengroßen Bogen um irgendwelche Rockwettbewerbe und anderen Krempel gemacht hat. Weil uns diese Dinge als ziemlich unschöne Sachen erschienen. Und weil es eben vor allem seltsame Abhängigkeiten aufbaut. Wenn man mit Punk aufgewachsen ist, dann wollte man nie etwas damit zu tun haben.

Jan: Die Diskussion um diese Thematik zieht sich bis in die Hochkultur hinein. Da fällt mir zum Beispiel Georg Kreisler ein. Der ist ein österreichischer Chansonier, der inzwischen schon 87 Jahre alt ist, eigentlich sehr aus der linken Ecke kommt und sich ganz generell gegen Kulturförderung stellt. Er hat damit zwar eine ziemliche Außenseiterstellung, aber das Beispiel finde ich deshalb interessant, weil es da genau um diese Beeinflussung geht. Wir selbst sind zum Glück in einer ziemlich privilegierten Situation, weil wir uns, denke ich, etablieren konnten. Aber wenn man als junge Band oder als junger Musiker einen Vertrag unterschreibt, dann ist die wirtschaftliche Beeinflussung natürlich gegeben. Aber ich wage jetzt mal zu behaupten, dass das der staatlichen Förderung noch vorzuziehen ist.

Verhindern kann man so etwas wie Bandcontests, die z.B. von privatwirtschaftlichen Unternehmen gefördert werden, doch sowieso nicht?

Arne: Nein, und da darf man auch keine klare und einbetonierte Position beziehen. Das muss jeder für sich entscheiden. Manche – da geht es wieder los mit der jüngeren Generation – manche können mit sowas auch einfach geschickter umgehen und damit spielen, was man es sich selbst vielleicht nicht zutrauen würde.

Jan: Man kann auch noch beobachten, dass Musik immer mehr zum Wettbewerb verkommt, obwohl das etwas ist, was man eher aus dem Sport kennt. Denn man hat sich mit der Musik eigentlich für ein anderes Feld entschieden, bei dem es normalerweise nicht um Gewinner und Verlierer geht. Zwar war die Musikindustrie schon immer auch ein Wirtschaftszweig, aber ich finde es dennoch komisch, wenn es in der äußersten Perversion so was wie "Deutschland sucht den Superstar" oder ähnliche Konsorten gibt. Das empfinde ich als ein sehr merkwürdiges Musikverständnis, das von meinem selbst sehr weit entfernt ist.

Was ja scheinbar endgültig gestorben ist, ist das ursprüngliche Musikfernsehen. Oder glaubt ihr, dass es in der Fernseh- oder Radiolandschaft noch Lichtblicke gibt?

{image}Jan: Im Fernsehen kenne ich mich ziemlich schlecht aus.

Arne: Ich glaube, da finden Strukturverschiebungen statt. So entstehen durch das Internet neue Internetradiosender, bzw. ganz generell hat sich da eine neue Nischenkultur ausgebreitet. Was allerdings aus diesen Nischenkulturen in Zukunft wird, das wird man sehen. Aber es gehen ja ständig an einem Ort Türen zu und anderswo wieder auf. Deswegen muss man einfach schauen, was die Zukunft mit sich bringt. Aber im Fernsehen sehe ich da nicht sehr viele Chancen.

Jan: Zunächst einmal habe ich den Eindruck, dass heutzutage mehr Live-Musik stattfindet als vor dieser Musikindustrie-Krise, und daran finde ich erst einmal nichts Schlechtes. So hat man heute die Möglichkeit, sehr viel Musik live wahrzunehmen. Und dazu gibt es auch noch eine unfassbare Anzahl und Vielfalt von Platten und Tonträgern, dass man schon manchmal Probleme bekommt, sich da etwas rauszusuchen.

Viele Bands gehen ja auch vor allem deswegen immer öfter auf Tour, weil sie nur noch dadurch ihr Geld verdienen können.

Arne: Ja, das stimmt. Viele Musiker müssen auf Tour gehen und das macht einem auch ein bisschen Angst, aber man kann ja auch gerne im Studio sitzen und alleine unter Ausschluss der Öffentlichkeit seine Ideen entwickeln.

Touren macht euch noch Spaß?

Arne: Ja, hier raus aus dem Büro zu kommen ist dann doch schöner!

Jan: Ich glaube, die Summe aus allem macht das, was einem an der Tätigkeit, die man ausübt, Freude bereitet. Denn, wenn man eine Platte im Studio erschafft, drängt es einen schon auch, das Material live vorzustellen.

Was haltet ihr von Albumdownloads? Bevorzugt ihr lieber den Kauf von CDs und LPs?

Jan: Ich kaufe mir lieber Tonträger, weil wir als Band dann doch sehr albumorientiert arbeiten. Und für uns hört das bei der Musik auch nicht auf, sondern man macht sich auch über die ganze Grafik und das ganze Artwork sehr viele Gedanken. Selbst welches Papier man auswählt oder welche Farben man beim Druck verwenden will spielen dabei eine Rolle. Und das ist durch eine digitale Veröffentlichung eher schwierig zu ersetzen.

Arne: Da hat innerhalb der Band jeder seine eigenen Vorlieben, was man bevorzugt oder was man auf Vinyl und was man nicht auf Vinyl haben möchte. Ich zum Beispiel kaufe inzwischen ganz viel online als digitalen Download, weil es so wunderbar schnell geht und ich es total praktisch finde.

Das hört sich jetzt kitschig an, aber ich finde, wenn man eine CD oder LP hört, hört man die Musik bewusster, als bei einem Download. Denn wenn man am Laptop sitzt, dann geht man nebenbei auch gerne mal ins Internet oder liest seine Emails. Wenn man sich jedoch eine CD anhört, dann setzt man sich oft auf einen Stuhl oder ein Sofa und hört viel bewusster.

{image}Jan: Klar, das sind durchaus gerechtfertigte Beobachtungen und ich sehe das ganz ähnlich, aber ich denke, ich bin eben auch so aufgewachsen und bin deswegen auch nicht bereit, mich jetzt den Zeiten anzupassen. Aber ich kann es auch völlig verstehen, wenn jemand, der zum Beispiel 17 Jahre alt ist, dafür wenig Verständnis hat oder es uncool findet, sich eine CD oder Vinylplatte zu kaufen.

Arne: Bei vielen von uns gibt es auch noch tonnenweise Kassetten, die im Keller lagern. Was sich da alles angesammelt hat, um es zu hören, ist schon sehr viel.

Jan: Aber diese schöne Sammelleidenschaft war viel Arbeit. Was ich dagegen schon heftig finde, ist dieses festplattenweise Tauschen von Musik. Das finde ich zum Teil sehr respektlos gegenüber den Künstlern.

Arne: Wichtig ist, dass einem bewusst ist, dass durch sowas kein Pfennig oder Cent mehr beim Musiker ankommt. Das ist etwas, was jeder ganz genau reflektieren sollte, was man durch sein Handeln eigentlich macht. Aber es gibt wiederum dann leider auch so Verteufelungen von bestimmten Leuten. Ich meine, sich ein Album illegal runterzuladen, das ist kein Handtaschendiebstahl von einer alten Oma, das ist nicht dasselbe! Das ist einfach Bullshit, wenn das die Musikindustrie sagt und behauptet. Oder sich eine DVD zu brennen oder einen Film herunterzuladen, das ist einfach eine andere kriminelle Energie, als eine Bank zu überfallen.

Jan: (lacht) Das sind ja Vergleiche...

Arne: (lacht) Ja, aber so wird das doch dargestellt! Dass es Diebstahl wäre! Dass es Piraterie wäre! Und davon will ich Abstand nehmen, weil dass das Thema völlig ins Lächerliche zieht. Es muss einem doch klar sein, was man mit seinem Handeln anrichtet und wen man damit unterstützt und wem man damit schadet. Das muss man einfach wissen. Im Endeffekt schadet man eben vor allem ganz kleinen Labels und winzigen Internetlabels, wenn man kein Entgelt entrichtet.

Jan: Und ganz allgemein kann man sagen, dass dadurch natürlich auch große Konzerne viele Leute entlassen mussten und müssen. Und darüber hinaus glaube ich, dass es für kleine Bands viel schlimmer als für große Bands ist, weil große Bands oder auch wir dann zwar vielleicht weniger Platten verkaufen, aber man kann trotzdem noch den Aufenthalt im Studio bezahlen und muss lediglich, um sein Leben zu finanzieren, ein bisschen mehr live spielen. Aber ich bekomme es ja von kleinen Bands mit. Da ist dann das Geld für das Studio nicht mehr da und das sind dann die Auswirkungen. Aber natürlich ist es für die Leute ganz einfach, wenn sie die Musik auch umsonst im Internet haben können. Die Frage, die sie sich dann stellen, ist: Warum sollen sie etwas bezahlen, wenn es auch im Internet zu haben ist. Dies umzupolen, halte ich für eine schwierige und ziemlich unmögliche Aufgabe.

Radiohead und Bloc Party haben zum Beispiel versucht, ihre Platten auch kostenlos oder zum frei bestimmbaren Preis als Download im Internet zur Verfügung zu stellen.

Jan: Klar, eine Band wie Radiohead... Ich finde das ein bisschen schwachsinnig. Denn sie sind in einer extrem privilegierten Position und ihre Platten sind Millionenseller. Klar, für diese Band funktioniert das. Aber für kleine Bands funktioniert das nicht. Denn es gibt zwar viele Konzepte, aber funktionieren tut das höchstens für so große Dinosaurier wie Radiohead.

Arne: Wenn man es von unserer Position recht entspannt sieht, finde ich das alles ziemlich spannend. Was da passiert und wie es damit weitergeht. Ich denke, dass wir uns in einer Umbruchzeit befinden.

Jan: Klar, der Wahnsinn ist erst einmal der technologische Umbruch und der wird einen gesellschaftlichen Umbruch nach sich ziehen und man ist da mittendrin. Als nächstes kommen dann irgendwie die "ibooks" und dann gibt es später vielleicht auch keine Taschenbücher mehr und was weiß ich alles. Mir kommt bei der ganzen Sache da ehrlich gesagt immer erst das Grausen. Aber das ist trotzdem immer nur eine Prognose, die man wagen kann. Man ist ja kein Soziologe und vor allem auch kein Futurologe. Man sitzt mittendrin und hat den Blick nach außen nicht.

Ok, dann komme ich jetzt noch zu einer allerletzten Frage und zwar: Was sind eure aktuellen Lieblingsplatten?

{image}Jan: (schmunzelnd) Oh, das sind ja heute sehr schwierige Fragen. Da wird so stark an die Spontanität appelliert...

Arne: (langes Nachdenken) Was habe ich mir nochmal so gekauft? Ich sage jetzt mal Jeremy Jay, weil man sich den so gut merken kann. Einige Lieder fand ich davon sehr schön.

Jan: (genervt und wiederholend) Ich hatte doch auch was! Aber ich komme jetzt nicht drauf! Ich hatte aber was! Ich komme jetzt nicht drauf, hatte aber was!

Arne: Die neue Prodigy-Platte, die ich mir runtergeladen habe. Das ist auch total herrliche Musik. Das ist ganz schlimme Knüppel-Auf-Den-Kopf-Musik. Es war schön, das mal wieder zu hören!

Jan: Ich komme immer noch nicht drauf. Mir fällt da jetzt nur George Crumb ein, auf den wir über unseren Arrangeur unserer Streicher kamen, der bei ihm studiert hat. Ich glaube, das Stück heißt Black Angels und es ist ein elektrisch verstärktes Streichquartett, wenn ich das jetzt richtig wiedergebe. Das empfinde ich als ganz herrlichen, infernalischen Krach der neuen Musik.

Arne: Hast du die Platte?

Jan: Nein, das habe ich mir tatsächlich nur als Stream angehört, um auf unser vorheriges Thema zurückzukommen. Aber ich will mir die Platte auf jeden Fall noch zulegen. Ich hoffe, dass es die Platte hier bei Universal in der Klassik-Abteilung gibt.

Vielen Dank für dieses ausführliche Interview!

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