Port O'Brien

Port O'Brien © Lindsey Byrnes

Nein, es stimmt leider nicht. Entgegen der romantischen Vorstellung kommen Port O’Brien nicht aus dem eisigen Alaska. Genau das Gegenteil ist der Fall. Die warme Sonne Kaliforniens ist ihre Heimat, für Alaska jedoch schlägt nach wie vor ihr Herz. Dieser Kontrast hat bei Sänger Van Pierszalowski seine Spuren in den Songs hinterlassen. Von diesen durfte sich das Hamburger Publikum nun bei dem grandiosen Konzert im Molotow mitreißen lassen.

{image}Zunächst jedoch kamen im Vorprogramm die zwei Schwestern Klara und Johanna Söderberg von First Aid Kit auf die Bühne im Hamburger Molotow. Mit ihren verspielten Outfits erinnerten sie sofort an zwei Blumenmädchen aus der Hippiezeit und neben der Gitarre und dem Keyboard ließ vor allem auch die mitgebrachte Zither auf feinste Folkmusik hoffen. A cappella stimmten sich die nur 15 und 18 Jahre jungen Schwestern in ihr erstes Lied In the Morning ein und man merkte sogleich, dass das Publikum solche kraftvollen und harmonischen Stimmen nicht erwartet hatte. Aber es waren nicht nur die gesanglichen Qualitäten der zwei Schwedinnen, die das Publikum überzeugten, besonders ihr Songwritertalent führte dazu, dass man den zwei gerne noch ein Weile länger auf ihrer musikalischen Lebensreise gefolgt wäre.

{image}Ein absoluter Ohrwurm stellte ihr neues Lied Hard Believer mit seiner antreibenden und noch lange im Kopf nachhallenden Zeile "and it's one life and it's this life and it's beautiful" dar, welches dazu führte, dass das Publikum sich nun voll und ganz für First Aid Kit begeisterte. Dies führte dazu, dass man die zwei Schwestern – auch nachdem sie sich für die Performance ihres letzten Liedes, dem Fleet-Foxes Coversong Tiger Mountain Peasant Song, nun auch noch in das Publikum begaben und die Menge dazu aufforderten, einen Kreis um sie zu bilden – einfach nicht mehr gehen lassen wollte. Passend zur Vorweihnachtszeit folgte daher auch noch als kleine Zugabe eine andächtige Interpretation der Johnny Cash Coverversion von Blue Christmas.

Dann war es endlich soweit und Port O’Brien stürmten die Bühne. Überraschenderweise fehlte die weibliche Besetzung der Band in Form von Cambria Goodwin, was der Stimmung jedoch keinen Abbruch tat. Im vollgepackten Club wartete man, Schulter an Schulter gedrückt, voller Spannung auf die melancholisch-schönen Geschichten eines Fischerlebens auf Alaska, welche Port O’Brien auf ihrem 2008 erschienen und umjubelten Debütalbum All We Could Do Was Sing zum Besten gaben. Sie enttäuschten das Publikum nicht und nahmen es mit Don’t Take My Advice zunächst auch noch einmal mit in die Vergangenheit, wobei die Lyrics "but I'm not ready to settle down / I just started looking round" den musikalischen Wandel bereits vorzeichneten.

Seit Oktober haben Port O’Brien nämlich eine zweite Platte namens Threadbare auf dem Markt und verabschieden sich damit langsam aber sicher von der rauen Seemannswelt, um neue Ufer anzusteuern. Dieser Sinneswandel kam jedoch leider nicht ganz freiwillig zustande. Während die Band nämlich dabei war, Ideen für ein neues Album zu sammeln, verunglückte der jüngere Bruder von Cambria Goodwin. Somit lassen sich die Lieder auf Threadbare durchaus als musikalische Therapie verstehen. "Threadbare" lässt sich dementsprechend in zwei Richtungen übersetzen: 1.) abgedroschen und 2.) abgenutzt. Während sich ersteres vor allem auf die Seemannsthematik des ersten Albums beziehen dürfte, welche Van Pierszalowski in einem Interview als beendet bezeichnete, da er diesbezüglich bereits alle seine Gefühle auf All We Could Do Was Sing zum Ausdruck gebracht hat, könnte sich die zweite Interpretationsmöglichkeit auf den allgemeinen Seelenzustand der Band nach solch einem schrecklichen Schicksalsschlag beziehen.

{image}Bei ihrem Konzert machten sie jedoch insbesondere ein Statement: egal, wie ausweglos eine Situation auch scheinen mag, ob nun allein auf weiter See oder gefangen in der eigenen Trauer, es sind doch diese Momente, welche die Kreativität zu einem Maximum reifen lässt. Und so ist es auch nicht verwunderlich, dass das Publikum an diesem Montagabend Zeuge einer musikalischen Glanzleistung wurde. Es ging natürlich besinnlich zu, vor allem bei den Liedern Fisherman’s Son und Calm Me Down, doch dabei wurde das Konzert von einer unglaublich kraftvollen Energie geprägt, bei der kein Fuß mehr stillstehen konnte. Die fünf Jungs von Port O’Brien gaben wirklich alles. Es wurde auf der Bühne herumgehüpft, geschrien und man gab seinen Gefühlen freien Lauf. Wer sentimentale Indie-Musik erwartet hatte, wurde vielleicht enttäuscht, alle anderen wurden mit erstklassiger Musik belohnt und einem Konzert, das alle Register gezogen hat.

Denn während sich die Texte des neuen Albums vorwiegend mit Trauer und der daraus wachsenden persönlichen Entwicklung beschäftigen, setzte das Live-Konzert von Port O’Brien auf berauschende Lebendigkeit. Diese wurde mit dem letzten Lied I Woke Up Today definitiv zum Höhepunkt gebracht. Sänger Van Pierszalowski forderte das Publikum mit "Beat the shit out of everything you have!" dazu auf, die Band gesanglich zu begleiten und das ließ man sich natürlich nicht zweimal sagen. Auch wenn der Chorus aus einem einfachen "Ohhhhh, Hooohooo!" bestand, war der Effekt überwältigend und es wurde bis zum letzten Rest Luft gegrölt. Für einen kurzen Moment fühlte man sich wieder nach Alaska zurückversetzt. Natürlich nicht auf die einsame See, sondern eher in die Stammkneipe der Fischer, die nach monatelanger Einsamkeit und Stille das Leben regelrecht wieder aus sich herausschreien möchten.

{image}Natürlich wollte man auch Port O’Brien nach diesem beeindruckenden Abgang nicht so einfach wieder entschwinden lassen und die Jungs erfreuten das Zugabe-Fordernde Publikum dann noch mit den Liedern Stuck on a Boat sowie Close the Lid. Port O’Brien haben bei diesem Konzert eindeutig bewiesen, dass sie sich weiterentwickelt haben. So wie das Leben niemals linear verläuft, so ist natürlich auch die Musik von Port O’Brien Veränderungen unterworfen. Das Konzert im Molotow war jedenfalls von einer solchen kalifornischen Lebendigkeit und Lebensfreude geprägt, dass man Alaska gerne zurücklässt. Auf zu neuen Ufern!

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