Ryuichi Sakamoto.

Ryuichi Sakamoto. © Joi Ito

Im Rahmen des Enjoy Jazz-Festivals 2010 besuchte der japanische Komponist und Pianist Ryuichi Sakamoto die Stadthalle Heidelberg. Ein großartiger Abend sollte folgen, der aber eher selten Jubel und Heiterkeit brachte.

{image}Im Heidelberger Stadtsaal ist es stockdüster, als der letzte Gong vor dem Konzert ertönt und auch die letzten Menschen zu ihren Plätzen eilen. Einzig die grüne Notbeleuchtung und eine unverdeckte Glastür in den oberen Rängen, aus der gelbes Licht scheint, lässt noch etwas Beleuchtung hinein. Leicht geduckt betritt eine Gestalt die Bühne, der Saal ist noch verdunkelt. Im Hintergrund über der Figur erwacht die Leinwand zum Leben und zeigt undeutliche Bilder: Zwei Körper, ein Gesicht oder vielleicht doch ein Baum? Genaues ist nicht zu erkennen, nur Vermutungen können angestellt werden. Die Farben sind dunkel und wenig einladend. Langsam erklingen minimalistische elektronische Klänge, dazu ein Hauch Klaviermusik. Ryūichi Sakamoto hat sich während der Verwirrung um das Video ans Piano gesetzt. Aus den Lautsprechern erklingt die Stimme einer Frau, sie spricht über die Umweltsituation in Grönland, dass die Meeresbuchten jetzt auch im Winter eisfreie werden. Auf der Bühne geht endlich ein kleines Licht an und leuchtet genau auf Sakamoto, der wirkt, als würde er seinem Instrument zuflüstern.

Die erwartete kurze Pause fällt aus, der Japaner spielt einfach weiter, weshalb sich die Musik auch kaum verändert. Ähnlich bleibt es auch bei den Bildern, Undefinierbarkeit herrscht vor. Sieht man Wolken oder Schnee, Bäume oder Flecken? Die Augen spielen dem Gehirn Streiche. Die einzelnen Töne des Klaviers haben eine alles andere als warme oder einladende Wirkung und zwischen ihnen meint man beinahe, das Publikum atmen hören zu können; es herrscht Totenstille. Das Lied bricht langsam ab, Sakamoto macht seine erste Ansage, wodurch sich die Stimmung schlagartig ändert: "Ist es immer dermaßen kalt hier in Heidelberg," fragt er lachend und der gesamte Saal lacht mit ihm. Das zuvor durch die Musik geschaffene Eis ist schnell wieder gebrochen. Sakamoto spricht mit einer sehr warmen, freundlichen Stimme und zieht die ersten Wörter jedes Satzes in die Länge. Den folgenden Rest spricht er danach immer weitaus schneller. Weg vom Publikum und wieder zu seinem Tasteninstrument hingedreht spielt er weiter, die Musik wird langsam freundlicher, die Visualisierungen ändern sich. Abstrakte Bilder aus Kreisen, dünnen und dicken Strichen und Quadraten entstehen. Sehr wenig davon ist zu sehen, oft nur einzelne Figuren. Kurz darauf ist, man möchte es kaum glauben, die erste Stunde vergangen. "Bisher habe ich nur Lieder aus meinem aktuellen Album gespielt." Wohl wahr, denn bisher stammen alle Stücke aus seinem neuen Album Out of Noise, das wie man spätestens jetzt merkt sehr elektronisch geworden ist. "Nun aber spiele ich nach Gefühl, dem Gefühl hier im Saal zwischen mir und ihnen."

{image}Der große Stapel Noten auf seinem Klavier wird durchwühlt, er spielt wirklich einfach so, wie es ihm gerade gefällt. Die Videos gleiten endgültig ins Abstrakte ab, musikalisch hingegen müssen die dunklen Töne weichen, es wird sanfter und melodischer. Auf einmal zieht er ein besonderes Blatt aus seinem Stapel und freut sich: "Ah, Ennio Morricone. Ich respektiere ihn sehr und das hier ist eines meiner Lieblingsstücke von ihm: 'Playing Love' aus dem Film 'Legend of 1900'." Man merkt seine Hingabe zu dem Stück mit jeder einzelnen gespielten Note. War der Titel im Film bereits wunderschön, hier wird er für einen kurzen Moment unsterblich. "Eigentlich spiele ich immer nur meine Lieder." Gesagt getan, und schon erklingt sein wohl bekanntester Titel Merry Christmas, Mr. Lawrence. Das Publikum geht vor Freude an die Decke, im Hintergrund bilden weiße Punkte dreidimensionale Figuren. "Ich verehre Nagisa Oshima. Er kam zu mir und sagte: 'Du spielst in dem Film eine der Rollen'. Wenn man nun jemanden so verehrt, kann man nicht nein sagen. Du kannst einfach nicht nein sagen. Also tat ich es, obwohl ich Musiker bin. Eine Woche vor Produktionsschluss rief er mich nocheinmal an: 'Kannst du noch die Filmmusik schreiben?"

Vor der ersten von insgesamt vier Zugabe verlassen die ersten Menschen leider bereits den Saal. Die Musik wird wieder dunkler und sehr minimalistisch, man merkt förmlich, wie die Temperatur sinkt. Beim letzten Lied scheinen es viele Zuschauer kaum noch aushalten zu können und klatschen bei einer kleinen Pause mitten im Lied. Sakamoto bekommt noch Blumen geschenkt und verschwindet von der Bühne. Im Hintergrund läuft ein Abspann, der alle an der Tour beteiligten Personen nochmal nennt. Draußen vor der Tür fährt ein Bus mit flackernder Anzeige vorbei. Irgendwie fühlt sich die Welt gerade genau so an.

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