Schill-Outs 2009: Ben*Jammin (Nationaltheater Mannheim, 2009)
Foto: René Peschel

Schill-Outs 2009: Ben*Jammin (Nationaltheater Mannheim, 2009) Foto: René Peschel © regioactive.de

Die Schillertage 2009 und mit ihnen die "Schill Out"-Parties am Abend, bei denen zu Livemusik und DJ-Sets bis in die Nacht gefeiert wird, begeisterten auch dieses Jahr wieder ein zahlreiches Publikum. Doch der letzte Abend fand ein unrühmliches Ende. regioactive.de ist Medienpartner der Schillertage und blickt zurück auf die Ereignisse und dadurch ausgelöste, kontrovers geführte Diskussionen.

{image}Es ist ein schlagzeilenträchtiger Fall, der mittlerweile Wellen bis in den Baden-Württembergischen Landtag schlägt: Am letzten Abend der 15. Schillertage 2009 am Mannheimer Nationaltheater löste die Polizei die Veranstaltung auf und griff dabei zu harten Maßnahmen: Der Auftritt des Einsatzkommandos mit elf Streifenwagen, Schlagstöcken, Pfeffersprühern und Kampfhund im Theater kam nicht nur für das Publikum überraschend. Soviel steht fest: Bis zum Ende der betreffenden Nacht ging das ganze vorangegangene Festival friedlich über die Bühne. Doch an jenem Abend hatten Anwohner durch ihre Beschwerden wegen Ruhestörung bereits dreimal dafür gesorgt, dass die Polizei – jedoch mit bei solchen Fällen normaler 2-Mann-Stärke – der Veranstaltung ihre Aufwartung gemacht hatte. Soweit, so normal für ein großes, gutes und dementsprechend lautes Fest in Mannheim.

Unverhältnismäßiger Polizeieinsatz

{image}Gegenüber regioactive.de stellt die Marketingleiterin des Theaters, Martina Edin, die weiteren Ereignisse wie folgt dar: Man habe zu bereits fortgeschrittener Stunde von Seiten der Security den Hinweis bekommen, dass einige stark alkoholisierte Gäste durch "aggressive Gesten" mehr und mehr negativ auffielen. Dennoch wollte man, so der für die Schillertage verantwortliche Holger Schulz, den Abend "noch nicht beenden. Aber aufgrund der guten Arbeit, den unsere Security die vorangegangenen Tage geleistet hatte, mussten wir deren Bedenken ernst nehmen". Das Theater-Team forderte daher selbst nochmals 2 Beamte an, die die Situation im Auge behalten sollten. "Mit dem Eintreffen der Beamten übernahm die Polizei alle weiteren Entscheidungen", erläutert Edin.

Die Situation eskalierte schnell: Nicht nur dass die Polizei, ähnlich der Security, ganz offenbar ein Gefahrenpotenzial konstatierte und deshalb die weiteren Streifenwagen anforderte – der folgende wuchtige Auftritt der Beamten in der genannten Anzahl und Ausrüstung sorgte unter den friedlichen Gästen des Abends für erschrockenes Erstaunen und großes Entsetzen. Einige der von diesem martialischen Polizeieinsatz überraschten Besucher begannen damit, das Geschehen auf Fotos und Videos festzuhalten. Diese Dokumentation der Ereignisse versuchte die Polizei zu verhindern. In Kombination mit der offenkundigen und in die Tat umgesetzten Absicht, das Theatercafé nun auch zu räumen, entstanden tumultartige Szenen. Hierbei kam es zu gewalttätigen Übergriffen durch Beamte auf das Theaterpublikum. Laut einhelliger Aussagen von Zeugen und unmittelbar Betroffenen, die sich mittlerweile untereinander auch vernetzt haben und rechtliche Schritte prüfen, sowie ärztlichen Bescheinigungen zufolge, wurden manchen Besuchern dabei belegbare Körperverletzungen zugefügt.

Die Frage, ob dieser Einsatz in seiner Art und Weise der Durchführung überhaupt nur annähernd gerechtfertigt war, muss dringend weiter aufgeklärt werden. Große Zweifel sind hierbei angebracht und die zitierte Anfrage an den Landtag kann nur einer der notwendigen Schritte sein.

Kontroverse Berichterstattung der Lokalpresse

{image}Sehr schnell lag der Fokus der nachfolgenden Debatte zur Aufarbeitung der Ereignisse jedoch auch auf weiteren Aspekten, die durch die initiale Berichterstattung der Tageszeitung "Mannheimer Morgen" befördert wurden. Nach Ansicht der von der Polizeigewalt betroffenen Schill-Out-Gäste sowie der Schillertage-Veranstalter wurden sowohl das harte polizeiliche Vorgehen, als auch die Abläufe an jenem Abend zu ungenau dargestellt, zudem seien Zitate verkürzt und missverständlich wiedergegeben worden.

So wurden in dem Artikel "Pfefferspray beendet Theater-Party" (29. Juni 2009) unter anderem Erklärungen des Polizeiführers vom Dienst verbreitet, darunter die Aussage, es habe eine an das gesamte Publikum gerichtete Aufforderung der Veranstalter und Beamten gegeben, den Raum zu verlassen. Dies steht im Widerspruch zu den Aussagen des Publikums, die eine solche klare Ansage vermisst haben. Weiterhin berichtete die Lokalzeitung, die Bühne sei gestürmt worden und das Publikum habe sich zunehmend aggressiv verhalten, was laut Augenzeugen-Berichten ebenfalls nicht dem vollen Umfang der Tatsachen entspricht. Der die Party mit seinen Sounds antreibende DJ Phono stützt diese Ansicht. Er selbst habe auch nur widersprüchliche Anweisungen darüber bekommen, ob er sein Set zu beenden habe oder nicht.

"Theaterfremdes Publikum"

{image}Eine weitere, lokalpolitisch ausgeprochen ärgerliche, Erklärung zu den Vorfällen lieferte scheinbar die Generalintendantin des Theaters, Regula Gerber: Am Abschlussabend der Schillertage habe sich "theaterfremdes Publikum" im Café befunden, das verantwortlich dafür gewesen wäre, dass die Situation "aus dem Ruder gelaufen" sei, so der "Mannheimer Morgen". Es konnte diesbezüglich allerdings kein Unterschied zu anderen Schill-Out-Abenden festgestellt werden. Mit Einführung dieses Begriffes schossen die Emotionen sowohl bei den Opfern der Polizeigewalt, als auch bei weiten Teilen der kulturinteressierten Öffentlichkeit nach oben. Nicht zu unrecht, handelt es sich dabei doch um eine begriffliche Konstruktion, die auf einem "wir/gut" versus "die/schlecht" basiert und eine Schuldzuweisung an die weitgehend selbe Gruppe transportiert, die an den anderen Schillertagen noch willkommen war. Ihnen, sowie allen unregelmäßigen Theater-Besuchern werde damit implizit signalisiert, als Gast ungeeignet, weil nicht Teil der entsprechend konstruierten Theater-Elite zu sein, lautet die konkrete Kritik. Obendrauf steht eine solche Auffasung im harten Widerspruch zu den kulturellen Ambitionen der gesamten Stadt Mannheim, sich neben der Positionierung als Ausgeh- und Musikstadt auch um den Titel "Europäische Kulturhauptstadt" zu bewerben. Ohne, dass man für all diese Ambitionen ein in der breiten Öffentlichkeit generell positives Klima gegenüber einem lebendigen Kulturleben in der Stadt schafft, wird man an solch hoch gesteckten Zielen zwangsläufig scheitern. Ausgrenzung ist definitiv der falsche Weg.

"Wir sind ein offenes Haus"

{image}Martina Edin und Holger Schulz brachten in einem Gespräch mit regioactive.de ihr Bedauern zum Ausdruck, dass der Begriff so verstanden worden war. Das Theater bemühe sich um eine Klarstellung: "Das Zitat wurde aus dem Zusammenhang gerissen, wesentliche Teile des Statements fehlten", so Edin. "Es wurde seitens des Theaters nicht der Bezug zwischen Randalieren und theaterfremdem Publikum hergestellt." Regula Gerber sei zudem bereits am frühen Sonntagmorgen von dem Lokaljournalisten kontaktiert worden; ein Zeitpunkt, zu dem der Generalintendantin – die beim betreffenden Schill-Out nicht pesönlich vor Ort war – noch keine ausreichenden Informationen vorgelegen hätten. Von "möglicherweise theaterfremdem Publikum" habe sie gesprochen und den umstrittenen Begriff als reines Gebrauchswort ohne implizierte Wertung benutzt. Holger Schulz ergänzt: "Alles andere steht doch auch im Widerspruch zu unseren eigenen Absichten und Wünschen. Wir sind ein offenes Haus, in dem jeder willkommen ist. Gerade zu den Schillertagen freuen wir uns immer wieder aufs Neue, dass bei den einzelnen Veranstaltungen soviele unterschiedliche Szenen friedlich aufeinandertreffen." Mit dem auch auf diesem Wege neu gewonnnenen Publikum wolle man "weiter gut arbeiten", betont Edin.

Deutliche Forderungen von Seiten der Betroffenen

{image}Während die Lokalzeitung "Mannheimer Morgen" wie beschrieben also anfangs vor allem die Version der Einsatzkräfte als gültig darstellte, druckte man in der Ausgabe vom 24. Juli 2009 auch zwei Leserbriefe ab: Eine ehemalige Praktikantin, mitverantwortlich für die Organisation der Schill-Outs, und ein weiterer Zeuge, beide mit anderen Gästen des Abends in persönlichem Kontakt, äußerten sich nicht nur zu dem polizeilichen Vorgehen, sondern auch zur Kontroverse um den Begriff des "theaterfremden Publikums". Sie und weitere der vom Polizeieinsatz direkt Betroffenen erwarten von den Verantwortlichen des Theaters nach wie vor eine öffentliche Entschuldigung wegen "mangelnder Distanzierung vom übertriebenen Vorgehen der Polizei". Eine Entschuldigung in aller Deutlichkeit und Konsequenz fordern sie selbstverständlich auch von der Polizei.

Unter Ausschluß der Öffentlichkeit hatten bereits Gespräche zwischen Theater und Schill-Out-Gästen stattgefunden. Martina Edin stellte auf Nachfrage die Ansicht des Hauses dar, dass man von Theaterseite aus alles im Rahmen der Möglichkeiten getan habe, um die Ereignisse aufzuklären, alle Beteiligten anzuhören und um zukünftige Vorgehensweisen mit allen zu diskutieren. "Darüberhinaus sollte das Thema nicht weiter hochgekocht und emotionalisiert werden", formuliert Edin. Doch wer sich jemals in einer ähnlichen Situation mit einem massiven Polizeiaufgebot konfrontiert sah, wird verstehen, dass die Verarbeitung eines solchen Erlebnisses nicht mit einem Wimpernschlag zu erledigen ist. Es bleibt daher abzuwarten, ob und wenn ja, welche Schritte die geschädigten Schill-Out-Besucher noch einleiten werden.

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