Jan Delay & Disko No.1 (Live bei Rock im Park 2009)
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Jan Delay & Disko No.1 (Live bei Rock im Park 2009) Foto: Achim Casper © regioactive.de

Wenn der Nürnberger Bahnhof feierwütige Jugendliche ausspuckt und die Vororte vergreist wirken, dann ist es wieder soweit. Rock im Park lädt ein zu drei bis fünf Tagen Party, Drinks und vor allem Musik. RiP steht ja bekanntlich ein bisschen im Windschatten seines großen Zwillings Rock am Ring, und das, obwohl das Line-Up beinahe identisch ist und die Franken sich als herzliche Gastgeber erweisen. Vom 5. bis 7. Juni 2009 wurde dies wieder einmal bestätigt.

{image}Wer nicht schon Donnerstag, den 4. Juni 2009 angereist war und die Warm-Up-Party mitgenommen hatte, meldet sich krank, schwänzt Schule, lässt Vorlesungen ausfallen und ignoriert alle Verpflichtungen: Little Man Tate wollen nicht verpasst werden, weswegen spätestens Freitag zur Mittagszeit die Festivalanreise angesagt ist. Als Opener für die drei Tage Musik haben die Jungs um 12.45 Uhr auf der Alternastage nicht unbedingt die beste Ausgangssituation, machen aber das Beste daraus. Um genau zu sein sogar ein bisschen mehr als nur das Beste. Sie überzeugen in gewohnter Brillanz in karierten Hemden, mit ordentlichen Gitarrenklängen und locken noch während des ersten Liedes die Festivalbesucher unmittelbar vor die Bühne. Mit den stehfauleren Besuchern füllt sich derweil die Wiese und Little Man Tate singen mit verrotzter Stimme das Publikum warm und leiten perfekt ein in die Dinge, die da kommen werden: Gitarrenrock und ein Tag vor der AlternaStage.

{image}Direkt nach Little Man Tate warten bereits Kilians auf Beachtung. Das Pech der Band ist, dass sie Deutsch sprechen und man deswegen ihre sinnlosen Kommentare zwischen den Liedern versteht, was dem Spaß sehr abträglich ist: "Das nächste Lied heißt Fick die Hühner" ist als Ankündigung nicht wirklich witzig und nimmt tatsächlich den Charme, was aber der Begeisterung der Massen vor der Bühne keinen Abbruch tut. Jeder, der wach ist, steht, liegt und läuft zu dem Sound der Kilians rum. Sie performen von ihrem neuen Album They are calling your name unter anderem Hometown. Die Publikumsbilanz spricht für sich: 13:26 Uhr und es wird geklatscht, getanzt und sich gefreut. Kaum sind sie von der Bühne, wird es schlagartig leer vor der Stage. Das liegt aber nicht etwa an Middle Class Rut. Der erste Act, der die Centerstage bespielt, erklärt den Schwund an Publikum. Schade für alle, die die Alternastage verlassen haben, Middle Class Rut sind nämlich göttlich und die Reihen, die geblieben sind, wissen das auch zu schätzen. Es wird gepogt zu dem harten, halligen Geschrei. Die Zwei-Mann-Band bedient Schlagzeug, Gitarre und zweistimmigen Gesang. Damit produziert sie einen Sound, der nach viel mehr klingt. Vor allem nach "viel mehr davon". Middle Class Rut sollte man sich merken und nach Möglichkeit unbedingt live bewundern. Nach dem Gig mischen sich die Jungs aus Kalifornien unters Publikum und chillen erstmal in der Sonne.

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{image}An dieser Stelle muss dann doch ein Wechsel zur Clubstage erfolgen, denn Pain sind ihres Zeichens verkannte Größen der harten Musik. Wenn man in die Halle tritt, in der sich die Clubstage befindet, gelangt man tatsächlich in eine andere Welt. Draußen ist strahlender Sonnenschein, und drinnen ist es zappenduster. Pain schaffen Abhilfe und bieten die ausgewogenste Form der Metal/BangSzene seit Langem. Selbst für ungeübte Ohren ist die Melodie klar erkennbar und das obwohl alles geboten wird von bellen, über shouten zu den Dingen, die ein Vollhaarmetaller eben so tut. Dabei klingen Pain vor allem satter, voller und basser. Das Publikum wird aufgefordert mitzumachen und ist sofort voll dabei. Die Halle ist gut voll und alle heben die Patschehändchen in die Höhe und singen mit. Pain sind wohl schon lange über das Stadium des Geheimtipps hinaus und gehören definitiv ebenfalls zu den Bands, die man sich merken muss.

{image}Jetzt aber schnell zurück zur Alternastage und zu Tomte. Thees trägt rot und stellt die Band vor als "die Bierdose Gottes". Die Technik geht eindeutig gegen Thees und seine Mannen, bis zum letzten Lied dauert es, bis die Abmische endlich stimmt, davor heißt es Gesang zu undeutlich, viel zuviel Schlagzeug. Im Ganzen plätschert der Auftritt vor sich hin und Heureka gewinnt nicht wirklich viele neue Herzen. Bereits an Tomte Verfallene feiern ihre Helden selbstredend, sind aber an diesem Tag auch eher in der Minderheit. Aber so sieht das wohl aus, wenn Tomte kein Berliner Heimspiel haben, sondern nur von Berlin erzählen dürfen. Danach versuchen Peter, Bjorn und John ihr Bestes, nur leider nicht ganz so erfolgreich. Lediglich einzelne Lieder treffen auf Fußgewippe und gute Laune bei den wenigen Anwesenden. Wie bessere Fahrstuhlmusik sind sie aber immerhin ein netter, mostly harmless Zeitvertreib.

Noch ist aber nicht aller Tage Abend und Kettcar sind gekommen, um zu retten. Augenscheinlich mit wohlwollenden Ohren für die Hamburger Schule erweisen sich Kettcar als Meister der deutschen Musik und spielen mit absoluter Lebensfreude ihre bühnentechnischen Vorgänger Tomte in den Schatten. Kettcar klingen immer noch nach wilder Jugend und guter Musik und werden dabei brav von den Anwesenden mitgesungen. Gleichzeitig bitten Guano Apes auf der CenterStage zum Hüpfen. Die Fans pressen sich in den ersten Reihen platt, hauen sich die Nasen blutig und feiern die Band, das Auftrittsende, Lord Of The Boards wird überall mitgesungen und alle sind ermattet und glücklich.

{image}Jeder dritte Mensch unter 40 hat mindestens eine Billy Talent-CD im Regal und jeder zweite fragt sich, wieso das so ist. An den live-Qualitäten kann es nicht liegen. Zu leise in den hinteren Reihen, zu basslastig in den vorderen. Dazu kommt der Klassenclowneffekt. Ein Betrunkener kraxelt den Soundturm hoch, andere machen es ihm nach, ziehen blank und lassen sich von den anderen Betrunkenen anfeuern. Unter Gegröle blitzen nackte Hintern und unter noch mehr Gegröle holen die Securities die Spaßvögel wieder runter vom Klettergerüst. Billy Talent machen weiter in ihrem Programm und alles vor der Bühne macht mit. Limp Bizkit haben ihre Szeneblütezeit ja auch eindeutig überschritten und Fred Durst tendiert dazu zu nerven, macht aber nix. Denn sie sind Limp Bizkit und reissen Billy Talents Schande wieder raus. Und mit den Althelden, die durch den Festivalrahmen an Charisma zurück erlangen, ließe sich der erste Festivaltag ordentlich abschließen, wäre da nicht noch Peter Fox. Unglaublich gehypt wird er und hat demnach einige Erwartungen zu erfüllen. An diesem Abend reißt er mit, wer sich noch grade auf den Beinen halten kann. In Anbetracht der späten Stunde und des horrenden Alkoholpegels sollten das nicht mehr allzu viele sein. Aber Pustekuchen, die kleine Stage wird abgesperrt und trotz Ekelwetter wird den Anwesenden warm ums Herz und Peter Fox begeistert.

{image}Juliette Lewis ist mittlerweile eine Festivaloma und begeistert am Rock im Park-Samstag diesen Jahres auf der Centerstage, Sie ist nicht nur nett anzusehen, sondern vor allen Dingen spaßig anzuhören. Bei den ü30ern hat sie als Spatenschauspielerin eh einen Stein im Brett und nutzt das aus. Ihr Auftritt ist mitreißend und sehr publikumsnah. Das Ganze wird gekrönt von ihrem Sprung auf die ersten Reihen. Den Securities ist schon Angst und Bange. Danach heißt es auch schon: ab zum genialsten und tollsten Comeback des Jahres. Selig sind wieder da. Gut so! Nach ihren ausverkauften Tourgigs bieten die Festivals eine ordentliche Plattform. "Selig sind wieder da" trifft eigentlich auch schon den Kern. "Sie hat geschrien heut Nacht, lass mich rein, ich könnte wenn ich wollte"... vor der Bühne wird alles mitgesungen und es fühlt sich an, als wären sie nie weg gewesen. Mit ohne dich kippen sie auch noch schnell alle Liebe dieser Welt in alle Herzen und machen Hoffnung darauf, dass sie nieeeee wieder weggehen.

{image}Auf der zweiten Stage sorgen indes Enter Shikari für ordentlichen "Krach" und bringen gute Laune in die Massen. Dicht gefolgt von Papa Roach, die ein bisschen enttäuschen. Liegt aber eventuell auch einfach mal daran, dass es keine Leinwände gibt und man nur erahnen kann, wer grade wo auf der Bühne wie rumrennt. Es sind genug Papa Roach-Fans da, sodass die Stage gesperrt wird und die Securities alle Hände voll zu tun haben. In der Clubstage präsentieren sich Esser und enttäuschen ebenfalls ein bisschen. Sie haben sechs Reihen Fans mitgebracht und sind irgendwie zur falschen Zeit am falschen Ort. Allein in einem Club haben sie aber sicherlich nochmal ne Chance verdient!

Staind haben zwischenzeitlich die Menschenmasse für sich entdeckt und geben alles. Das Publikum auch und manch einer kommt mit angeknackten Rippen wieder raus. Parallel dazu begeistern Placebo ihre Fans. Da die Partystimmung auf dem Höhepunkt ist, begeistern sie auch "eigentlich find ich Placebo total doof"-Besucher und spätestens bei Every You, Every Me weiß eigentlich jeder, wer da auf der Bühne ist. Marylin Manson wird als Highlight gefeiert, scheidet aber eigentlich die Geister. Wer ihn liebt, der wird nicht enttäuscht, anders sieht's aus bei Zuschauern die irgendwas "Abgefahrenes" erwarten. Ein ganz normaler Auftritt von Marylin Manson eben. Dasselbe gilt für Korn und The Killers. Die Altfans feiern, haben Spaß und Neufans werden nicht gemacht. Ist aber eigentlich auch egal, schließlich ist Samstag, Festival und der Regen hört bestimmt auch wieder auf.

{image}Der Sonntag wirft schwierige Entscheidungen auf: Wen darf man hier denn jetzt verpassen? Die Clubstage beherbergt laut Program "brandheiße Newcomer", das sehen A Day To Remember, Alexisonfire und Duff McKagan's Loaded anders und zeigen ihren zahlreichen Fans, dass sie allen Grund haben, ihnen die Treue zu halten. Nicht mehr ganz so neu, dafür aber grandios und jedes erneute Live-Sehen mehr als wert. Für Bloc Party und Mando Diao gilt: wem's gefällt, dem macht es Freude. Stilsicher, einwandfrei und patzerlos ziehen beide Bands ihr Ding durch und ernten dafür volle Begeisterung. Selbst bekennende Nicht-Fans genießen und planen schon mal für Rock im Park 2010.

Das Wetter nervt mittlerweile ziemlich und vermiest das Geschubse vor den Bühnen. Zwischen Regen und Sonne, dann doch wieder Regen, ein bisschen Matsch und 3€-Bretzeln ist der Spaß das, was bleibt. Und mit einem höflichen Knicks bedanken wir uns bei Rock im Park und verabschieden uns mit einem friedlichen "Pfiadi".

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