Marc Weissenberger von Rock the Biz

Marc Weissenberger von Rock the Biz

Das Musikbusiness befindet sich zur Zeit in einer enormen Umbruchsphase. Die Dokumentation "rockthe.biz" will der Sache auf den Grund gehen. Darum reist der Initiator Marc Weissenberger, der seit acht Jahren die erfolgreiche, unabhängige Newcomer-Sendung "Local Heroes Radio" auf Radio Darmstadt betreibt, durch Europa und führt Interviews mit Experten, Bands und anderen Playern im Musikmarkt. Wir haben den Spieß aber erstmal umgedreht und Marc zu einem Gespräch mit regioactive.de eingeladen.

{image}RA: Hallo Marc. Unsere Wege kreuzen sich nun wiederholt. Immer wieder gräbst du neue interessante Projekte aus, die uns neugierig machen. Mit Rockthe.biz  erzeugst du aktuell mächtig Wirbel. Worum geht es dir dabei?

Marc: Es geht bei Rock The Biz darum, den Wandel im Musikbusiness, der unbestreitbar vonstatten geht, anhand von Musikern, Labels, Portalen und Menschen, die sich mit alternativen Marketing- und Vertriebsstrategien auseinandersetzen, darzustellen. Viele Musikschaffende haben ein neues Selbstbewusstsein entwickelt, trauen sich, ihre Musik unter ihrer Kontrolle zu belassen, frei über die Vermarktung und den Vertrieb zu entscheiden und sich nicht händeringend nach einem Majordeal umzuschauen. Dabei entstehen fantastische, hochqualitative Projekte und Tonträger, die einen Vergleich mit Mainstreamproduktionen nicht scheuen müssen: Und das muss einfach in einem Film dokumentiert werden, um anderen Künstlern Mut zu machen und Musikinteressierten einen Zugang zu diesen Künstlern zu geben.

Wie kam es zu dieser Idee?

{image}Ich arbeite seit sieben Jahren für meine Newcomersendung "Local Heroes Radio" (www.localheroes-radio.de). Anfänglich auf lokale Künstler beschränkt, erhalten wir mittlerweile Einsendungen aus aller Welt, vieler Independent-Labels und Promoagenturen. Dabei zeigte sich in den letzten Jahren, dass hier keinesfalls "Spaßmusiker" am Werk sind, sondern ambitionierte Künstler, die professionell arbeiten und durch ihre Kunst ein Einkommen haben. All dies geschieht jedoch ohne große Aufmerksamkeit in den Massenmedien, neben den üblichen Chartrotationen, und ohne enorme Finanzspritzen von einem der vier etablierten Majorlabels. Ich bekomme immer wieder Emails bezüglich meiner Sendung, in denen ich von Musikinteressierten gefragt werde, wie ich denn an diese Musik komme und warum man davon nichts in den anderen traditionellen Musikmedien hört. Auch Künstler sehen sich wieder in ihrer Arbeit bestätigt und fragen bei mir an, wie denn dieser oder jener vorgestellte Musiker aufgestellt ist, denn sie wollen einen ähnlichen Weg gehen. Nach sieben Jahren für localheroes-radio.de bin ich überzeugt, dass es nun an der Zeit ist, all diese Fragen in einem Dokumentarfilm zusammenfassend zu beantworten.

Das Projekt ist grenzübergreifend und erstreckt sich von der Schweiz bis nach Skandinavien. Erzähl uns doch kurz von der Route. Nach welchen Kriterien wurde sie geplant?

Wir werden im Juni 2009 fast 10.000 Kilometer zurücklegen und dabei viele Menschen besuchen, die in unterschiedlichster Weise das neue Musikbusiness vertreten. Künstler wie Daloco, der aus einem Majorlabel-Vertrag ausgestiegen ist, weil der Softrelease ihn nur gebunden, aber nicht vorwärts gebracht hat, den Buchautor von "Bandologie", Nils Kolonko, der jahrelang für ein Majorlabel gearbeitet hat und interessante Einblicke in das Business hat. Natürlich werden ich auch eine Menge Bands wie The Whip, Blackmail oder Bikini Machine besuchen. Und nicht zu vergessen: Portale wie regioactive.de, die schon früh den Zusammenhang von Musikbusiness und Internet erkannt und gefördert haben. Uns ist es wichtig alle Bereiche des Biz zu beleuchten, von daher haben wir auch die Menschen und Institutionen ausgewählt, die auf die eine oder andere Art erfolgreich sind. Bei Interesse kann man sich unter www.rockthe.biz/events.html ansehen, wen wir wann und wo interviewen.

Habt ihr für euren Bus überhaupt eine Umweltplakette?

Haha, der Bus ist am 11.11.1977 zugelassen worden. Wir sind froh, wenn wir den überhaupt noch über den TÜV bekommen.

Wie genau erfolgt die Berichterstattung mit "Rockthe.biz – Der Film"? Wie und wann wird er produziert, wann veröffentlicht?

{image}Man kann das ganze Projekt seit November 2008 auf www.rockthe.biz nachverfolgen. In der Videosektion gibt es "Behind The Scenes", "Making Of" und Interview-Beiträge, die den Usern einen Einblick in die Entstehung des Projektes vermitteln. Die Tour werden wir – soweit es zeitlich geht – fast täglich mit kleinen Videobeiträgen auf der HP darstellen, so dass man diese beinahe live im Netz mitverfolgen kann. Natürlich werden wir auch eifrig twittern. Direkt im Anschluß an die Tour beginnt die Sichtung und das Editing des DV-Materials in Zusammenarbeit mit der SAE-Frankfurt und seinen Studenten, die Rock The Biz als Projektarbeit eingebunden haben. Sollte alles glatt laufen, dann kann man Anfang 2010 die Dokumentation, und etwas später das Musikroadmovie sehen. Wir streben eine Veröffentlichung "free on demand" an, auf "Creative Commons"-Basis. So kann man die Filme frei im Netz sehen. Sollten sich andere Medien dafür interessieren, legen wir Wert darauf, dass die freie Zugänglichkeit zum Film gewahrt wird. Natürlich sind wir auch in sämtlichen Videoportalen vertreten und mit vielen Interessierten über myspace verbunden.

Auf einem der Videotrailer liest man "Fuck the Majors". Ist Rockthe.biz als Abrechnung zu verstehen?

Weniger als Abrechnung, mehr als Postulat. Die Monopolstellung der Majors hat sich dank der neuen Medien in den letzten Jahren aufgeweicht. Rock The Biz will Alternativen darstellen, die sich bewährt haben. Nicht umsonst lassen bekannte Künstler ihre Majorlabel-Verträge auslaufen und wenden sich neuen Vermarktungs- und Vertriebswegen zu. Während sich die Major-Companies noch in den 90er Jahren als einziger Flaschenhals zum Musikbusiness darstellen konnten, ist diese Legitimation nun nicht mehr gegeben und Künstler können durchaus den "symbolischen Mittelfinger" heben.

Was genau haben die Majors deiner Meinung nach falsch gemacht?

Sie waren und sind sich ihrer Monopolstellung zu sicher, haben den Wandel hin zu digitalen Medien zu spät erkannt und zu lange boykottiert, anstatt ihn als Chance zu begreifen. Des Weiteren beklagen viele Künstler den ungerechten Verteilungsschlüssel, was die Einnahmen betrifft, die immer krasser werdenden Verträge (360 Grad-Deals, 3 Alben in drei Jahren etc.) und das "ausgeliefert Sein" für mehrere Jahre. Die Künstler wollen die Kontrolle über ihre Kunst zurück, ein Fakt, der bei vielen Independent-Labels ganz oben steht. Ebenso waren sich die Majors zu sicher, was ihre Verknüpfung mit den Medien betrifft. Musik-TV und Labels gehören teilweise demselben Unternehmen. Internet-Radios- oder Portale hingegen finden immer größeren Anklang bei den Usern und stellen eine ernst zu nehmende Konkurrenz dar. Kurz gesagt, die Majors arbeiten gedanklich noch mit Methoden aus den 60er Jahren, das rächt sich nun.

Haben die Majors heutzutage noch ihre Daseinsberechtigung?

Grundsätzlich hat jedes Label seine Daseinsberechtigung. Es stellt sich nur die Frage, welches Unternehmen den besten Service bietet. Ich zumindest verstehe ein Label als Dienstleister.

Du sagst, dass neue Medien und die Veränderungen innerhalb der Musikbranche viele Chancen für Bands und Musiker bieten. Woran denkst du da insbesondere?

{image}Eindeutig an die freie Wahl von Marketing-, Vertriebs- und Vermarktungsmöglichkeiten. Über die neuen Medien kann jede Band, wenn sie sich ernsthaft damit auseinandersetzt, all diese Punkte in die eigene Hand nehmen und optimieren. Das geht von freien Downloads auf diversen Portalen, über E-Shops für Tonträger und Merchandising, bis hin zur Fanbase-Bindung. Über eine Creative Commons Lizenz kann man seine Musik z.B. in einem Film unterbringen oder von interessanten DJs in einem Mash-Up verarbeiten lassen. Interessante Videos auf Video-Portalen können die Band ebenso nach vorne bringen. Aber auch hier ist es ganz wichtig konzentriert und professionell vorzugehen, denn die neuen Medien haben neben dem Vorteil der Massenerreichbarkeit auch den Nachteil, dass sie oft ungefiltert und inflationär sind, was den Content betrifft. Ein Myspace-Profil alleine reicht lange nicht, um die neuen Medien effektiv zu nutzen.

Wird deine Europatour genügend Material bereitstellen um die Musikszene- und Branche der einzelnen Länder zu vergleichen? Und wenn ja, hast du denn schon Erkenntnisse über die Strukturen in den angepeilten Ländern?

Wir werden fast jeden Tag ein bis zwei Interviews führen, da kommt eine Menge Material zusammen. In den Prequal-Interviews hat sich bereits herausgestellt, dass die Künstler eher globaler denken, als national, und bisher hat uns keiner vom Musikparadies berichtet, das in Schweden oder der Schweiz oder sonst irgendwo liegen soll. Es kämpfen alle mit ähnlichen Problemen. Während in Skandinavien die musikalische Schulbildung weit besser ausgebaut ist, als z.B. in Deutschland, kämpfen auch dort die Musiker gegen die Heavy-Rotations der Sender an. Trouble Over Tokyo zog von London nach Wien und manche Bandmitglieder sitzen in verschiedenen Ländern. Sie produzieren teilweise über das Internet. Die Probleme scheinen überall ähnlich zu sein.

Kennst du internationale Beispiele für Bands, die es komplett aus eigener Kraft geschafft haben, von ihrer Musik zu leben?

Grundsätzlich muss jede Band erst aus eigener Kraft zum Erfolg kommen. Wenn es um Bands geht, die sich nicht einem Major-Vertrag unterworfen haben, dann wären da zu nennen: Blackmail (D), Der Tante Renate (D), The Whip (GBR), Bikini Machine (F) oder Nom De Guerre (SE). Und ich bin mir sicher, da gibt es noch einige andere, die wir auf unserer Tour treffen werden.

Wie sieht für dich die Musikbranche in 10 Jahren aus? Wie werden Bands und ihre Musik vermarktet, wie wird der Vertrieb aussehen?

Wüsste ich das, hätte ich jetzt schon eine entsprechende Firma gegründet. Ich denke, dass die Unternehmen, die sich jetzt schon im Netz aufgestellt haben, dann Marktführer in der Online-Distribution sein werden. Ähnliches denke ich auch über Netlabels. Es wird auch weiterhin Selbstvermarktung geben und neue Medien im Netz auftauchen. Ich kann mir auch durchaus vorstellen, dass DJs ganze Clubs auf einmal beschallen mit einer Art "Pay-Per-View"-Performance, die via Videobeamer in die Clubs übertragen wird. Vermarktung- und Vertrieb werden zu einem Großteil online vonstatten gehen. Aber da wir aus den letzten 20 Jahren Internet eines gelernt haben, nämlich, dass sich nichts so schnell ändert wie im Netz, kann es durchaus sein, dass ich dieses Interview 2019 mit Kopfschütteln noch einmal lese.

Wird es "Rockthe.biz 2010" geben, oder soll das ein einmaliges Projekt bleiben?

Primär ist uns die Realisierung der beiden Filme wichtig. Aber wir denken auch über weitere Projekte nach und finden, dass der Brand von Rock The Biz durchaus interessante Möglichkeiten bietet, sich zu einer Institution für das neue Musikbusiness zu entwickeln.

Wir danken dir für das Interview, Marc, und wünschen dir eine erfolgreiche Reise!

 

Weitere Infos, die Reise-Termine und Trailer findet ihr auf der Webseite von Rock The Biz.

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