Mit kämpferischem Pragmatismus
Gender Gap: Was hinter dem APPLAUS-Sonderpreis für Gleichstellung steckt
applaus initiative musik geschlechtergerechtigkeit
Das "Institut für Zukunft" in Leipzig wurde beim APPLAUS 2018 mit dem Sonderpreis für Gleichstellung ausgezeichnet. © Daniel / Alessio Troncone
Kulturstaatsministerin Prof. Monika Grütters las der Musikwirtschaft in den vergangenen Monaten gleich zweimal die Leviten. Einmal bei ihrer Eröffnungsrede des Musikwirtschaftsgipfels "Agenda Spezial", danach bei der Begrüßungsrede zum zehnten Geburtstag der Initiative Musik.
In ihrer Rede zur Agenda Spezial hielt Grütters fest:
"Die aus meinem Etat geförderte Studie 'Frauen in Kultur und Medien' hat offenbart, dass die Musikbranche, was faire Chancen für Frauen angeht, im Vergleich zu anderen Kunstsparten besonderen Nachholbedarf aufweist. Das betrifft insbesondere Führungspositionen in der Musikwirtschaft und in Musikverbänden. Aber auch bei der Verleihung von Musikpreisen sind Frauen nach wie vor stark unterrepräsentiert."
Konkrete Missstände
Es gibt genügen konkrete Beispiele für diese mangelnde Repräsentation: Bei der Jahrestagung des größten deutsche Labels, Universal, wurde deutlich, dass es in den Führungsriegen der Unterlabels wenige bis keine Frauen gibt. Auch beim Preis für Popkultur waren Frauen in der Unterzahl.
Kurzum: Die Branche hat ein Problem. Die Chancen, dies nachhaltig zu ändern, stehen allerdings gut. Was nicht etwa an der Einsichtigkeit der alten, männlich geprägten Strukturen liegt, sondern an neuen und etablierten Netzwerken, die diese aufbrechen wollen.
Female Pressure
Eine Vorreiter*innen-Rolle, die vor allem in der elektronischen Musik und deren Clubkultur aktiv ist, nimmt das bereits 1998 von Gudrun Gut, Acid Maria und anderen Musikerinnen gegründete internationale Netzwerk Female Pressure ein. Dieses stellt eine Datenbank mit Künstler*innen, Produzent*innen und DJs zur Verfügung und organisiert diverse Workshops.
Außerdem erhebt Female Pressure jedes Jahr den "Facts Survey", der den Frauenanteil bei elektronischen Festivals erhebt und langfristig dokumentiert. Er gibt aber auch konkrete Empfehlungen für alle, die den Kern des Problems innerhalb des bestehenden Systems sehen und dieses nachhaltig ändern wollen.
Einen ähnlichen Weg beschreiten die musicwomen-Netzwerke, die ebenso auf Vernetzung und Wissensaustausch setzen. Den Anfang machte das vom Hamburger Verein RockCity im Juni 2017 initiierte musicHHwomen. Inzwischen gibt es auch Ableger in Bayern und NRW.
50/50
Den größten Impuls der vergangenen Monate setzte die Initiative Keychange der britischen PRS Foundation. Diese zielt vor allem auf den Festivalmarkt und strebt dort eine Gender-Balance im Line-up von 50:50 bis zum Jahr 2020 an. Ihr Engagement strahlt dabei in die komplette Musikwirtschaft hinein – weil die von Männern dominierten Festival-Line-ups natürlich ein Abbild der dortigen Zustände sind.
Mittlerweile haben sich über 120 Festivals dem Ziel der Initiative Keychange verpflichtet. In Deutschland zum Beispiel das Jazz Fest, das Pop-Kultur, das Alínæ Lumr und das Reeperbahn Festival, das im Rahmen seiner Conference der Initiative eine große Bühne bot und den "Keychange Inspiration Award" verlieh.
Als eine von vielen namhaften offiziellen Keychange-Botschafterinnen formulierte die Songwriterin Alexa Feser den Spirit der Initiative sehr treffend:
"Für mich bedeutet erfolgreicher Feminismus, mit Männern friedlich und gleichberechtigt die Schönheit dieser Existenz erfahren zu können. Die Großartigkeit von weiblicher Energie in dieser Welt und diesem Universum sollte uns alle mit Freude und Respekt erfüllen. Umso mehr bin ich dankbar, neben solch international starken Frauen und Kolleginnen wie Imogen Heap, Shirley Manson und Emily Haines im Einsatz für Keychange zu sein."
Stille Vorreiter
Die Initiative Keychange setzt beim Thema Gleichstellung starke Impulse und gibt ihm die Aufmerksamkeit, die es schon lange verdient hat.
Dennoch – und hier schließt sich der Kreis zum APPLAUS und der hiesigen Clublandschaft – gibt es in Deutschland Clubmacher*innen unterschiedlichster Genres, die seit Jahren oder Jahrzehnten vorleben, wie selbstverständlich Gleichberechtigung auf Bühnen, im Backstage, im Arbeitsleben und vor allem im persönlichen Umgang funktionieren sollte.
Dazu gehören zum Beispiel das SO36 und ://about blank in Berlin, der Golden Pudel Club in Hamburg oder die diesjährige Spielstätte des Jahres, das Institut für Zukunft in Leipzig. Diese Clubs sind es, die mit ihrer Arbeit viele Ausreden der Branche, warum man beim Thema Gleichberechtigung noch nicht weiter sei, ziemlich hohl aussehen lassen.
Locations
SO36
Oranienstr. 190, 10999 Berlin
Golden Pudel Club
St. Pauli Fischmarkt 27, 20359 Hamburg
Institut für Zukunft
An den Tierkliniken 38, Kohlrabizirkus, 04103 Leipzig
Ähnliche Themen
Preisgelder in Höhe von 2,5 Millionen Euro
APPLAUS 2022 zeichnet 101 Spielstätten und Veranstaltungsreihen aus
veröffentlicht am 17.11.2022 1
Die Auszeichnung für besondere Programme
Clubbetreiber/innen und Veranstaltende können sich ab sofort für den APPLAUS 2022 bewerben
veröffentlicht am 26.04.2022
Viele Absichten
Das bedeutet der Koalitionsvertrag der Ampel für Kultur und Kreativwirtschaft
veröffentlicht am 26.11.2021 11
Förderung mit 2,67 Millionen Euro
APPLAUS 2021 zeichnet 123 Programmreihen und Spielstätten aus
veröffentlicht am 30.06.2021
Förderung herausragender Livemusikprogramme mit 1,8 Mio. €
Der APPLAUS 2019 geht an 107 Liveclubs und Programmreihen in ganz Deutschland
veröffentlicht am 28.11.2019