Gogol Bordello (live auf dem Highfield, 2018)

Gogol Bordello (live auf dem Highfield, 2018) © Christian Grube

Montag. Jede Woche aufs Neue der Tiefpunkt im Biorhythmus. Zumal, wenn auch noch "1. Dezember" dahinter steht, der Himmel sich in schwere, graue Mäntel hüllt, es den ganzen Tag gar nicht erst richtig hell wird, und es einem langsam dämmert, dass jetzt erstmal eine ganz schön lange Weile Winter sein wird. Elektrisches Licht, trockene Luft und braune Rollkragenpullover, keine Sonne, keine Bikinis, und zu Lachen sowieso nichts. Wohl dem, der vorgesorgt, und sich den todsicheren Rettungsanker in den Terminkalender geklebt hat: Ein Ticket für Gogol Bordello!

Nur die Härtesten unter den Rauchern harren noch eine Weile vor dem Gebäude aus, während sich eine dicke Menschenschlange ab Punktschlag 20 Uhr durch die Einganstore der Alten Feuerwache zwängt. Drinnen braucht man auch nicht lange darauf warten, dass der offizielle Tour-Support-Act Superamazoo auf Play drückt. Irgendwo im Bereich von lässig, funky und verrückt feuern sie mit Drum&Bass- und Ragga-Beats, umrankt von Ska-esken Bläsersets, virtuosem Minnesang, shreddigen Gitarren und groovigen Rap- und Beatboxing-Parts. Auch wenn dem geneigten Zuschauer das anregende Bild eines Drummers und die beruhigende Wirkung eines menschlichen Bassisten fehlt, kann dem tadellos vorgetragenen Set weder Ideenarmut noch fehlender Enthusiasmus nachgesagt werden. Die von Radio Bemba-Bassist Gambeat unterstütze belgische Band wird in Zukunft wohl noch einiges von sich hören lassen.

In der darauf folgenden Pause versammeln sich nach und nach immer mehr Gogol-Bordello-Shirts in den vorderen Reihen. Langsam aber sicher macht sich eine geradezu vibrierend aufgekratzte Stimmung breit. Körper an Körper, nervös und zappelig wie ein Korb voll frischer Fische, harrt die hier zusammengeflossene Menge treuer Fans auf den Startschuss. Gerade so, als müsse hier auf der Bühne jeden Moment ein Ufo landen. Und das tut es auch.

{image}Mit einem Mal steht er da: Eugene Hütz. Ganz allein mit seiner Klampfe sägt er mit einem breiten Schnurrbartgrinsen die ersten Akkordfolgen ab. Und während er fast gemächlich, wie in Vorfreude auf einen weiteren wilden Abend seine ruppige Stimme dazu erklingen lässt, springen hinter ihm Drummer und Bassist unter begeisterten Zurufen an ihre Instrumente. Ehe man sichs versieht, sind neben dem zweiten Gitarristen auch der alte Pirat mit der Geige und der verschmitzte Spitzbub mit seinem Akkordeon auf der Bühne, und der Saal verwandelt sich im Handumdrehen in einen Hexenkessel. Energiebündel Eugene jagt das tanzende Volk ohne jede Gnade von einem Kracher zum nächsten. Er selbst, obgleich für sein zartes Alter von 36 Jahren schon ein wenig angefressen aussehend, und mit wohl tourbedingten, breitbereiften Augenringen, scheint mit dem Begriff Verschnaufpause auch nichts anfangen zu können. Mit routinierter Präzision, die jedoch nichts an Spritzigkeit und Spontaneität verloren hat, ziehen er und seine Truppe den Inbegriff einer Gypsypunk-Show ab. Auch nach Auftritten im Vorprogramm von Madonna oder der Mitwirkung in dem erfolgreichen Film "Alles ist erleuchtet" von 2005, ist noch die gleiche Authentizität und Begeisterung spürbar wie bei früheren Konzerten.

{image}Es fehlt nicht viel, und die versprühte Magie müsste ausreichen, um ganz Mannheim in eine riesige russische Hochzeit zu verwandeln. Und kaum möchte man sich in der tobenden Meute entspannt zurücklehnen, schütteln die Jungs erst ihre beiden heimlichen Asse aus dem Ärmel: Pamela und Elizabeth, die beiden sympathisch-überdrehten Tanzmariechen, diesmal im Japan-Sport-Look, abwechselnd mit unterschiedlichen Percussioninstrumenten, Pauke oder Cymbals bewaffnet, und mit graziöser Vollkraft dabei, auch noch den letzten Schweißtropfen aus den dampfenden Poren zu pressen.

Mit einer extended Version von Start Wearing Purple, bei der Eugene unter anderem seine Deutschkenntnisse unter Beweis stellt, wird nach einer kurzen Unterbrechung die lauthals eingeforderte Zugabe eröffnet. Ein paar hundert bewegungsintensive Takte später geht zur großen Erleichterung der langsam weich werdenden Beinmuskulatur das Licht wieder an, und ein Saal voll Menschen geht mit der Genugtuung nach Hause, dem hereinbrechenden Winter ein ganz gehöriges Schnippchen geschlagen zu haben.

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