Bonaparte

Bonaparte

Die Berliner Underground-Band Bonaparte wird gerne als "demokratisches Kollektiv mit verrücktem Diktator" beschrieben. Bei ihrem Heimspiel im Admiralspalast war die Truppe um Mr.Bonaparte nun zusammen mit der dänischen Rockband Figurines am Werk. Diese Band steht für klassischen Indie-Rock, der zudem mit den verschiedensten Einflüssen der 80er und 90er angereichert ist. Es wurde ein Konzert, das unseren Autor begeisterte.

{image}Was bedeutet eigentlich der Begriff "Circus"? Laut Wikipedia nennt man so ein Unterhaltungsunternehmen oder eine Gruppe von Artisten, die eine Vorstellung mit verschiedenen, artistischen Darbietungen zeigen. Dazu gehören die Akrobatik, die Clownerie, die Zauberei und die Tierdressur. Was das alle mit Konzerten zu tun hat? Nun, die Berliner Underground-Band, die am vergangenen Dienstag Abend zusammen mit der dänischen Band Figurines auf die Bühne des Studios des Admiralspalasts stieg, bezeichnen ihre Live-Auftritte auf ihrer laufenden Tour selbst als "Circus-Shows". Der Name der Band: Bonaparte. Klar, dass jetzt alle Leser hier zuerst an den französischen Staatsmann und Kaiser Napoleon Bonaparte denken. Doch mit dieser historischen Figur hat Bandgründer Tobias wohl nur die Körpergröße gemein, und vielleicht noch ein wenig strategisches Geschick. Der Schweizer, der sich selbst auch Mr.Bonaparte nennt und seit 2006 in Berlin lebt, hat seit der Idee zu einem zunächst geplanten Soloprojekt, welches er der Legende nach in einem kleinen Zimmer in Barcelona aus der Taufe hob, seine Musik in verschiedenen Formationen und Inszenierungsstilen der Welt präsentiert. So gibt es von ihm wahlweise Solo-DJ-Sets, Karaoke-Shows bei denen Tobias alleine mit Gitarre, Laptop, Mikro und der obligatorischen Maske auftritt, traditionelle Band-Shows im Rockn’Roll-Stil, oder eben die oben erwähnten Circus-Shows zu sehen, in denen zusätzlich zu der Band noch eine Vielzahl Tänzer die Bühne erstürmt. Das Genre, in das man den karnevalesken Auftritt dieser Elektro-Clash-Punk-Truppe einordnen könnte, reicht von "Kleinkunst" über Elemente von "Burleske" bis zu "Musiktheater". Spiel und Maske sind die entscheidenden Merkmale ihrer Performance.

{image}So tragen alle Bandmitglieder schon zu Beginn des Konzerts Masken, als sie auf die Bühne des Studios des Admiralspalastes treten. Während sich Sänger Tobias eine Strohmaske ausgesucht hat, präsentiert sich der Keyboarder dem Publikum mit einer höhnisch grinsenden Clownsmaske. Gitarrist und Schlagzeuger tragen Admiralsfracks, passend zum Namen der Location. Während der Gitarrist obendrein mit einer verfremdeten, löwenähnlichen Tiermaske auftritt, erinnert der Schlagzeuger mit seiner menschenähnlichen und mit einem Schnurrbart verzerrten Maske ein wenig an das Gesicht von William Cutting (gespielt von Daniel Day-Lewis im Film "Gangs Of New York" von Martin Scorcese).

{image}Das Element des Spieles greift dann im Laufe des "Maskenballs", in Form der immer wieder wechselnden Kostüme der Tänzer, mit in das Geschehen ein. So fällt auf, dass die Tänzer und Tänzerinnen sich in einer Art Mode-Trash-Show ständig in andere Charaktere verwandeln und auch nicht vor der Entblößung ihres eigenen Körpers Halt machen. Der erste Tänzer, anfangs in eine Zwangsjacke gefesselt, tritt mit einer Vogel-, genauer einer Amselmaske auf, um sich derer später zu entledigen, sich dann mit einer Monstermaske zu bekleiden, bevor er wiederum kurze Zeit später übergangslos in ein Skelettkostüm wechselt, mit dem er ekstatisch und scheinbar allen Kräften völlig entsagend über die Bühne krabbelt, bevor er sich schließlich – bis auf eine Boxershorts – allen Kleidern entledigt. Und auch der zweite Tänzer vollzieht diesen Übergang des Verpacktseins in verschiedene Maskeraden bis zur Entblößung des eigenen, natürlich, nackten Körpers. Er tritt, einen Discokugel-Helm und eine braune Pornobrille tragend, wie ein typischer Pornodarsteller mit Machogehabe auf, dessen Figur auch in so manch einen Trashfilm der siebziger Jahre passen würde. Bei dieser Vermutung irrt man sich nicht, denn wenig später entblößt auch er praktisch seinen ganzen Körper, um eine Art Striptease zu vollführen. Nur ein dritter Tänzer bleibt verborgen unter einem Hasenkostüm, das bei manchem Zuschauer auch Assoziationen zu der Filmfigur Donnie Darko aufkeimen lassen könnte.

{image}Die weiblichen Tänzer wiederum spielen zusätzlich mit dem Element der Farbe und der Kopfbekleidung. Auch sie tanzen immer mal wieder ekstatisch über die Bühne, stehen dann aber auch einfach nur elegant am Bühnenrand und machen Posen in Trippelschritten. Die eine Tänzerin wirkt mit ihrem Stab in der Hand ein wenig wie eine Fee, die andere Tänzerin mit ihrem weißen Rock wie ein Schneewittchen. Die Dritte erzeugt durch die verwischte rote Lebensmittelfarbe, die sie sich über den Körper geschüttet hat, einen etwas martialischen Eindruck. Nebenbei verwandeln sich alle immer mal wieder in Tänzerinnen mit Hasenohren und letzgenannte entblößt mit ihren ekstatischen Bewegungen schließlich – genau wie ihre männliche Kollegen – ihren gesamten Oberkörper.

{image}Das Publikum ist begeistert von dieser entfesselnden Performance. Die Leute bejubeln die maskierten Bonaparte und ihre ebenfalls in Mumien-Verbände umwickelten, filmenden Crewmitglieder, und sie tanzen wie wild zu den Klängen von Songs wie Do you want to party?. Das Denken sollte hier am besten ausgeschaltet werden. Stattdessen stehen Spaß und Laune im Vordergrund des Geschehens. Es soll getanzt und gefeiert werden. Auch deswegen ist es logisch, dass im Song Too much das "Zuviel-Wissen" beklagt wird. Allerdings auf ironische Weise. So heißt es in einer Textzeile: "You know churchill, i know kill bill/ you know Tolstoy, I know playboy/ You know politics, I know party chicks/”, und später dann: "You know too much two much, two two much" usw.. Passend dazu wird der Songtext später auch gesellschaftskritisch dadurch, dass er mit einer Aufzählung von Namen und Ereignissen die Überflutung und Schnelllebigkeit von Informationen in unserer heutigen durchtechnisierten Gesellschaft auf süffisante Art und Weise versteckt kritisiert. Dementsprechend benennen sie in ihrem Songtext dieses Problem mit einem bekannten Begriff, dessen Name sich auch in der Beschreibung der ein oder anderen Email wiederfindet: "Spam, spam, spam,spam". Und so ist Bonaparte nicht nur die Party-und Spaßcrew, als die sie sich durch ihre Performance darstellen, sondern spielen offen mit zwei Gesichtern: Einerseits dem Gesicht der feiernden Partyband, und andererseits dem zweiten Gesicht, das hinter der ersten Visage eine geistige Arbeit betreibt. Dafür wiederum ist das Maskenspiel bestens geeignet, denn auch die besitzen immer zwei Gesichter, die nur schwer gedeutet werden können und die immer wieder zwei Fragen hervorrufen. Welchen Charakter hat die Maske, und welche Persönlichkeit steckt eigentlich hinter der Maske? Eine solche Untersuchung ist eine komplexe Angelegenheit und würde hier wohl zu weit gehen. Deshalb freuen wir uns als Zuschauer lieber darüber, solch eine eindrucksvolle Performance gesehen zu haben, die eine willkommene Abwechslung zu den Auftritten einiger Rockbands darstellte, die bei ihren Konzerten wiederum allzu oft nur ihr Programm herunterspielen, ohne sich Mühe zu geben, den Zuschauern eine einprägsame Performance zu bieten. Deshalb, liebe Leser dieses Artikels, möchte der Autor euch hier eine Empfehlung à la carte ans Herz legen: Besucht eines der nächsten Konzerte mit der Berliner Band Bonaparte, denn es lohnt sich! In tiefer Verbeugung gezeichnet: der Autor.

{image}P.S. Nur einer hatte an dieser visuell beeindruckenden und alle Aufmerksamkeit auf sich ziehenden Performance von Bonaparte etwas zu leiden: Nämlich der Support-Act, die nicht weniger großartige dänische Indie-Rockband Figurines, die wegen oben genannter Bühnenshow nach dem Konzert etwas in Vergessenheit geriet, obwohl sie zuvor eigentlich, trotz ein paar Problemen in der Absprache der zu spielenden, träumerischen Songs, eine ebenso hervorragende und von den Zuschauern beklatschte und bejubelte Performance hingelegt hatten. Aber dieses Problem haben wir dieses Jahr schon einmal kennengelernt, wenn Electrotrash auf Indierock trifft. Man erinnere sich nur an das Treffen zwischen Pete And The Pirates und Crystal Castles (Review). Damals hatte die Indierock-Formation Pete And The Pirates einen glasklaren Punktsieg einfahren können. Diesmal gewann das Duell nun die Electroctrash-Band Bonaparte. Nun steht es 1:1. Der Gewinner wird sich deswegen wohl in einem dritten Duell zwischen beiden Musikstilen entscheiden müssen. Wir dürfen uns also vielleicht genau darauf freuen. Oder sollten wir es lieber doch nicht tun? Oder aus Sicht der Bands gefragt: Wäre es nicht besser für die von verschieden Musikstilen beeinflussten Bands, in zwei verschiedenen Clubs aufzutreten und dann auch mit Bands, die eher ihrem Musikstil ähneln?

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