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Countdown. Stagetime!

Cooler Auftritt trotz Lampenfieber: So gehst du entspannt mit deiner Versagensangst um

Tipps für Musiker und Bands von Reinhard Goebels
veröffentlicht am 05.01.2018

lampenfieber gig

Cooler Auftritt trotz Lampenfieber: So gehst du entspannt mit deiner Versagensangst um

Wir zeigen dir, wie euer Auftritt trotz Lampenfieber gelingt. © MKB 2017 (Band: Fréros)

Fast jeder Musiker kennt die Angst vor einem wichtigen Auftritt. Helfen können dabei nicht nur Strategien für mehr Selbstsicherheit und unmittelbare Beruhigung, sondern auch eine andere Sichtweise auf das Lampenfieber.

Zitternde Knie, flacher Atem, Übelkeit, Schweißausbrüche, ein trockener Mund, oder vielleicht ein ununterbrochenes Bedürfnis zu gähnen – solltest du eines oder mehrere dieser Phänomene vor Auftritten häufig bei dir beobachten, befindest du dich in bester Gesellschaft:

Bei einer repräsentativen Umfrage an der Hochschule für Musik und Theater Hannover gaben 38 % der Studierenden an, immer, und 60 % an, manchmal an Lampenfieber zu leiden. Auch erfahrene Profis und Stars bleiben davon nicht verschont.

Check your head!

Es handelt sich dabei also um nichts, wofür man sich schämen, das man krampfhaft unterdrücken oder sich gar verbieten müsste. Die Angst juckt das ohnehin wenig, wenn du ihr erzählst, dass du sie gerade auf keinen Fall haben darfst; vielmehr wird dadurch nur mehr Aufmerksamkeit auf die Angst gelegt und sogar zusätzliche erzeugt: die Angst vor der Angst.

Das Lampenfieber zu akzeptieren und sich bewusst zuzugestehen, da es extrem weit verbreitet und zutiefst menschlich ist, kann hingegen ein großer Schritt im gelasseneren Umgang mit ihm sein.

Sieh's positiv – Lampenfieber als Ersatzakku

Bevor es überhaupt auf die Bühne geht, gibt es so allerhand, was ordentlich an den Kräften zehren kann: Frühes Aufstehen, ein anstrengender Arbeitsalltag, Transport des Equipments zum Ort des Geschehens (wobei du natürlich noch im Verkehr feststeckst), Aufbau, Warten auf den Soundcheck, irgendwann ein halbherziger Abendessensersatz... Zu allem Überfluss spielen noch zwei Bands vor dir, bei denen du dich unter das Publikum mischst, um sie kollegial abzufeiern.

Bevor es für dich losgeht, sind also alle Energiereserven, die du jetzt eigentlich dringend benötigst, schon aufgebraucht. Wie gut, dass es da das Lampenfieber gibt! Durch das freigesetzte Adrenalin ist die Erschöpfung wie weggeblasen – und das ganz ohne Substanzmissbrauch.

Kein Mut ohne Angst

Je mehr Mühe und Herzblut man in die Musik investiert und je wichtiger man subjektiv einen bevorstehenden Auftritt bewertet, desto größer ist der Wunsch, auf der Bühne eine überzeugende Leistung abzuliefern. Desto größer ist dementsprechend potentiell auch die Angst, das Publikum könnte der eigenen musikalischen Darbietung mit Ablehnung begegnen. So kann Lampenfieber auch als Indikator dafür gesehen werden, wie wichtig dir ist, was du tust.

Gänzliches Ausbleiben von Lampenfieber, beschreibt Cellist und Pädagoge Gerhard Mantel in seinem Klassiker "Mut zum Lampenfieber", kann nahezu nur bei völliger Gleichgültigkeit gegenüber dem eigenen musikalischen Schaffen stattfinden – wohl kaum ein erstrebenswertes Ziel.

Mantel betont zudem, dass es hilfreich ist, dir vorzuhalten, dass das eigene Tun nicht nur für dich selbst wichtig ist, sondern auch für das Publikum. Dadurch kann man das Gefühl der völligen Isolation durchbrechen, das durch Lampenfieber zuweilen entsteht.

Aus diesem Blickwinkel betrachtet, führt Mantel weiter aus, stelle Lampenfieber eine Chance dar, Mut zu beweisen und daran persönlich zu wachsen, indem du dich trotz der Angst der für dich und andere wichtigen Aufgabe stellst.

Sei achtsam

Grob vereinfacht geht es bei Achtsamkeit darum, zunächst sämtliche Dinge, die in dir vorgehen, als gegeben zu akzeptieren, und dann deine ganze Aufmerksamkeit auf deine Sinneswahrnehmung im Hier und Jetzt zu lenken.

Setze dich entspannt aufrecht hin und versuche, deine Aufmerksamkeit auf das Spüren deines Atems zu lenken. Dabei geht es nicht darum, sorgenvolle Gedanken gewaltsam zu unterdrücken, sondern sie zu akzeptieren ohne sie weiter zu verfolgen, und immer wieder die Aufmerksamkeit behutsam auf den Atem zurückzuführen. Das funktioniert natürlich nicht nur mit dem Atem – du kannst deine Aufmerksamkeit auch darauf lenken, wie sich deine Fußsohlen beim Gehen anfühlen, oder wie die Jack... ähem, die Cola vor dem Gig schmeckt.

Im Internet findest du unzählige weitere Ideen für Achtsamkeitsübungen. Indem du dich immer wieder unmittelbar ins Hier und Jetzt zurück begibst, kannst du auch die Angst vor dem bevorstehenden Auftritt lindern. Wie immer gilt: Je mehr du übst, desto leichter wird dir das ganze fallen.

Fehler zugestehen

Grundsätzlich ist eine sehr gute Vorbereitung natürlich immer das A und O für mehr Sicherheit. Aber auch dann kommt es immer wieder vor, dass man Fehler macht, da bei einem Live-Auftritt die Umstände eben ganz andere sind als im Proberaum oder zu Hause, und sie sich zudem auch von Auftritt zu Auftritt wieder ändern.

Insbesondere kann starkes Lampenfieber auch durchaus dazu führen, dass automatisierte Abläufe, über die man sich zuvor keine Gedanken gemacht hat, auf einmal fremdartig erscheinen oder man gar kurze Aussetzer hat. Halte dir all diese Widrigkeiten vor Augen und versuche, mit Verständnis auf deine Fehler zu reagieren.

Viele Fehler fallen einem selbst auf der Bühne deutlich stärker auf als den Zuhörern, und der Anspruch des Publikums wird im Allgemeinen ohnehin nicht sein, eine jederzeit technisch perfekte Leistung dargeboten zu bekommen. Viel eher möchte man doch als Konzertbesucher gute, leidenschaftlich dargebotene Musik hören und eine gute Show sehen – und da besteht natürlich ein gehöriger Unterschied.

Der Fluch der Perfektion

Wenn du unter Perfektionismus leidest, kennst du vermutlich das frustrierende Gefühl, dass deine Leistung für dich nie gut genug ist, und unterhalb einer perfekten Leistung stets direkt der Totalausfall zu lauern scheint.

Unzufriedenheit mit der eigenen Leistung kann natürlich ein starker Motivator sein, um besser zu werden. Ununterbrochen einem unerreichbaren, illusorischen Ideal der Perfektion hinterherzulaufen, führt jedoch häufig nur zu lähmenden Selbstzweifeln.

Ein erster Schritt kann daher sein, wenn du von dir selbst nicht verlangst, den perfekten Auftritt hinzulegen, sondern einfach unter den gegebenen Umständen dein Bestes zu geben – auch und insbesondere dann, wenn das bedeutet, dass du aufgrund starker Nervosität nicht 100 % von dem abliefern kannst, wozu du im Proberaum in der Lage bist. Mehr als dein Bestes geben kannst du ohnehin nicht.

Posen bis zum Abwinken

Vielen Musikern ist ihre Unsicherheit auf der Bühne peinlich und sie haben Angst, man könne ihnen diese sofort ansehen. In Wahrheit dringt meist nur ein Bruchteil deiner empfundenen Unsicherheit tatsächlich nach außen. Die weichen Knie fühlen sich vielleicht an, als würden sie unkontrolliert in weitem Bogen hin- und herschlackern, tun das in der Regel allerdings nicht wirklich, sofern du kein Elvis-Imitator bist.

Aber es gibt auch ein ganz einfaches, probates Mittel, der eigenen Unsicherheit zu begegnen: Fake einfach deine Selbstsicherheit. Performe so, als wärst du der selbstbewussteste Mensch auf der Welt. Da wir uns auf einer Bühne befinden, darf es ruhig auch mal eine Schippe mehr sein, schließlich will das Publikum auch eine Show sehen.

Sofern dein Instrument es zulässt, gehe raus auf die Bühne und begib dich direkt zum vorderen Bühnenrand, anstatt dich hinten im Nebel zu verkriechen. Stell einen Fuß lässig auf die Monitorbox – das sorgt auch für einen stabilen Stand bei wackeligen Knien – strecke die Brust raus, halte den Kopf hoch, setze einen entschlossenen Blick auf und schaue dem Publikum direkt in die Augen.

Auch wenn es etwas paradox klingen mag, so wirst du vermutlich bereits nach kurzer Zeit spüren, wie das vorgespielte Monster-Ego dir tatsächliche Selbstsicherheit gibt.

Auf Konfrontationskurs

Wie Psychiaterin und Gründerin der sogenannten Lampenfieberambulanz in Köln Déirdre Mahkorn in einem Beitrag des WDR aus dem Jahre 2014 erklärt, ist es beim Umgang mit Lampenfieber – wie auch bei anderen Ängsten – entscheidend, dass man sich den angstauslösenden Momenten, das heißt dem öffentlichen Auftritt, immer wieder erneut stellt.

Der wohl sicherste Weg zur Festigung von Ängsten ist Vermeidungsverhalten. Daher heißt es: Tritt so oft in der Öffentlichkeit auf wie nur möglich – und wenn du auf einer Party ein Ständchen hältst. Suche dir bewusst möglichst viele Gelegenheiten, bei deren Vorstellung dir etwas mulmig wird, und siehe diese als spezifische Aufgabe an, anhand der du deiner Angst entgegentreten kannst.

Beruhigung? Mach's mit links!

In einem kurzen Beitrag des SWR lässt Sportpsychologe Jürgen Beckmann zwei Teams zum Elfmeterschießen antreten. Das Team, das vor jedem Schuss einen Tennisball mit der linken Hand drückt, trifft am Ende signifikant häufiger, als das andere, das mit der rechten drückt.

Was sich vielleicht erst einmal ähnlich anhört wie das Aufspüren störender Wasseradern kann indes durch Messung der Hirnströme tatsächlich nachgewiesen werden: Das Drücken mit der der linken Hand führt zur Ausbreitung beruhigender Alphawellen im Gehirn. Du kannst diese Übung sogar mit Achtsamkeit kombinieren, indem du deine ganze Aufmerksamkeit auf das Drücken des Balls (oder etwa eines GripMasters) lenkst.

Patentrezepte gibt es nicht

Das hier Vorgestellte erhebt natürlich nicht den Anspruch, ein Patentrezept im Umgang mit Lampenfieber zu liefern, da die individuellen biografischen Ursachen für Lampenfieber so unterschiedlich sein können wie die Menschen selbst. Vielleicht kann dich jedoch der eine oder andere Ansatz ein Stückchen weiter bringen.

Hast du bereits etwas davon ausprobiert? Was hat dir sonst bisher geholfen? Berichte uns in den Kommentaren von deinen Erfahrungen!

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